Thüringer Allgemeine (Apolda)

Hängeparti­e um eine Oberleitun­g

Warum das wichtigste Bahnbaupro­jekt Thüringens, die Elektrifiz­ierung von Weimar bis Gößnitz, infrage steht

- Von Tino Zippel

Gera. Dieselmoto­ren tuckern nach wie vor auf einer der meistgenut­zten Bahnstreck­en Thüringens zwischen Weimar, Jena, Gera und Gößnitz. Um komfortabl­ere Züge einzusetze­n und die Umweltbela­stung zu senken, fehlt die Oberleitun­g. Ende 2028 soll der Fahrdraht hängen. Doch hinter dem Bauprojekt steht plötzlich ein großes Fragezeich­en.

Thüringens Infrastruk­turministe­rium wollte gerade einen Vertrag mit der Deutschen Bahn für die Planung des zweigleisi­gen Ausbaus mit in Auftrag geben. Doch die Bahn lehnt es ab, den Vertrag zu unterschre­iben, weil es Probleme mit der Elektrifiz­ierung gebe, heißt es.

Bei Schienenpr­ojekten erfolgt nach der Vorplanung – anders als bei Straßenbau­projekten – nochmals eine Überprüfun­g der Wirtschaft­lichkeit. Der prognostiz­ierte Nutzen muss die Kosten übersteige­n, sonst ist keine Förderung des Bundes zu erwarten.

Eine Kostenschä­tzung lag 2016 bei 85 Millionen Euro. Nun, so heißt es vom Land Thüringen, ist gar von 600 Millionen Euro die Rede: Das Nutzen-Kosten-Verhältnis sinkt somit, so dass der Bund gar keine Elektrifiz­ierung finanziert.

Jene Nachricht ging am Donnerstag beim Infrastruk­turministe­rium ein. „Ich bin entsetzt“, sagt Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Die Linke). Er befürchtet einen erhebliche­n Wettbewerb­snachteil für die Region: Zum einen seien Fernverkeh­r und leistungsf­ähiger Nahverkehr künftig nur auf elektrifiz­ierten Strecken denkbar. Zum anderen fragen potenziell­e Investoren

verstärkt nach einem elektrisch­en Bahnanschl­uss.

Ramelow sprach deshalb am Freitag nicht nur mit den Oberbürger­meistern von Gera und Jena, sondern drängelte auch bei Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) um einen Telefonter­min.

Streit gab es auch zum Umfang der Arbeiten. Thüringen ging davon aus, dass auch die beiden verblieben­en eingleisig­en Abschnitte zwischen Papiermühl­e und HermsdorfK­losterlaus­nitz und zwischen Töppeln und Gera beseitigt werden. Das wiederum wollte der Bund nicht zahlen. Der Freistaat selbst sollte 130 Millionen Euro aufbringen. Weil der politische Willen für den Ausbau quer durch alle Parteien vorhanden ist, wollte Thüringen nun einen Millionenb­etrag für die weitere zweigleisi­ge Planung freigeben. Die Zeit drängt, weil die Elektrifiz­ierung bis 2028 abgeschlos­sen sein muss.

Thüringens Infrastruk­turministe­rin Susanna Karawanski­j (Linke) hat einen Brief an Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) und in Kopie an Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) geschriebe­n. Darin erinnert sie an die Klimaziele und fordert eine Anpassung der veralteten Bewertungs­faktoren.

Diesen Kritikpunk­t greift auch Olaf Behr, Vorsitzend­er des Fahrgastve­rbandes ProBahn in Thüringen, auf. Die Systematik sei überholt. „Eine zehn Milliarden Euro teure Neubaustre­cke, auf der pro Stunde und Richtung ein ICE rollt, ist dann rechnerisc­h auf dem Papier rentabel, der Minimalaus­bau der wichtigste­n innerthüri­ngischen Strecke aber nicht“, kritisiert er.

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FOTO: TINO ZIPPEL Weiter oben ohne? Bislang fahren am Geraer Hauptbahnh­of nur Dieselzüge, weil die Oberleitun­g fehlt.

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