„Wir müssen die gesamte Weltbevölkerung impfen“
Gespräch mit EU-Kommissarin Urpilainen: Deutschland und andere EU-Staaten sollen mehr Corona-Impfstoff spenden
Brüssel. Die EU-Kommission ruft Deutschland und die anderen EUStaaten zu neuen Corona-Impfstoffspenden für ärmere Länder auf. Die Europäische Union wolle bis Ende Juni insgesamt 700 Millionen Dosen von Corona-Vakzinen an Entwicklungsländer geliefert haben, sagte die EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Was wir jetzt brauchen, ist, dass die Mitgliedstaaten mehr Impfstoffdosen teilen, um dieses 700-Millionen-Ziel zu erreichen“, so die Finnin. „Ich zähle auf Deutschlands Unterstützung.“
Bis Ende vorigen Jahres hatte die Union nach Urpilainens Worten bereits 380 Millionen Dosen der Corona-Vakzine für Entwicklungsländer zur Verfügung gestellt. Die Kommissarin aus Finnland sprach von großen Fortschritten bei der weltweiten Verteilung von Impfstoffen und betonte, die EU sei weltweit der größte Spender von Covid-19-Impfstoffen. „Wir tun eine Menge, aber nicht genug. Das gilt vor allem für Afrika, wo wir mehr erreichen müssen.“
Weltweit liege der Anteil der vollständig Geimpften bei 50 Prozent der Bevölkerung, in der EU bei 64 Prozent – in Afrika dagegen nur bei neun Prozent. Urpilainen sagte, Europa sei dem Ziel verpflichtet, dass nächstes Jahr 70 Prozent der Weltbevölkerung geimpft sein sollten – einschließlich Afrika, dort vor allem müsse die Lücke geschlossen werden. „Wir müssen die gesamte Weltbevölkerung impfen, um die Pandemie zu beenden“, betonte sie. „Niemand ist sicher, bis alle sicher sind.“Sie äußerte sich aber zurückhaltend zu einer Impfpflicht in einzelnen Staaten oder weltweit: „Ich hoffe, dass wir nicht so weit gehen müssen. Ich denke und hoffe, dass immer mehr Menschen bereit sind, sich impfen zu lassen, damit es nicht nötig ist, zu einer Pflichtimpfung überzugehen.“
Die frühere finnische Finanzministerin betonte, die EU habe von Anfang Solidarität gezeigt: Sie beteilige sich etwa wesentlich an Covax – einer internationalen Initiative zur gerechten Verteilung der Corona-Vakzine – und sei dort mit drei Milliarden Euro der größte Geber. Die EU habe zudem ein CoronaHilfspaket im Umfang von 40 Milliarden Euro aufgelegt, um in ärmeren Ländern die Gesundheitsversorgung zu verbessern und die Folgen der Pandemie zu bewältigen.
Die Kommissarin zerstreute zugleich Befürchtungen, dass weitere Booster-Impfungen oder eine Impfpflicht in Ländern wie Deutschland zu einer zunehmenden Impfstoffknappheit weltweit führen könnten. „Im Moment ist die Versorgung nicht das Problem“, erklärte sie. Europa habe genug Impfstoff für seine Bürger und um Dosen mit den Bürgern anderer Länder zu teilen. „Aber die Lage ist fragil. Es geht nicht nur um Impfstoffe.“Immer häufiger gebe es Rückmeldungen, dass die Partnerländer zwar Impfstoff hätten, aber ihre Bürger nicht impfen könnten. „Immer wichtiger wird die Frage nach Verteilung, dem Umgang mit zögerlicher Impfbereitschaft und von genügend Gesundheitspersonal.“Die betroffenen Länder bräuchten Hilfe bei der Stärkung der Infrastruktur und des Gesundheitssystems. Urpilainen bekräftigte die kritische Haltung der EU gegenüber Forderungen, die Patente für Corona-Vakzine freizugeben: „Nur das Patent freizugeben, ist keine Lösung“.