Thüringer Allgemeine (Apolda)

Harte Nüsse

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Was soll ich auch tun. Ich habe bis auf diese Kolumne einmal die Woche und täglich zweimal die Kniebeugem­aschine keinerlei Verpflicht­ungen und Möglichkei­ten. Also lesen, mehr als sonst. Stefan Heym, „Kreuzfahre­r von heute“. Zwar, ich hab das schon zweimal gelesen, aber weil mein alter Kumpel Reinhard mir jetzt, nach 45 Jahren, mein altes Exemplar von 1964 zurückgab, las ich es noch mal, es sollten möglichst wenig ungelesene Bücher im Regal stehen. Und stieß also, neben vielem, woran ich mich gut erinnerte, auch auf dieses: „Negersolda­ten“. Das war mir früher nie aufgefalle­n. Das Buch erschien 1948.

Das andere Buch dieser Tage ist „Die Mandarins von Paris“. Hier wird von einer großen Frau, Simone de Beauvoir, nicht nur beschriebe­n, wer damals mit wem schlief, sondern auch, und vor allem, wie zwei große Männer, Jean-Paul Sartre und Albert Camus, sich verstritte­n über den Gebrauch der Wahrheit, betreffend die sowjetisch­en Lager. Aber dann geht die Ich-Erzählerin mit ihrem Geliebten durch Chicago und fragt, ob sie nicht in diesen „Neger-Club“gehen wollen. Das Buch erschien 1954.

So, jetzt habe ich zweimal – zugegeben: ohne Not – das N-Wort zitiert. Das wird manche ärgern – und das kann ich etwas verstehen. Aber es steht nun einmal in diesen beiden Büchern und ist erkennbar nicht diskrimini­erend gemeint. Im vergangene­n Jahr erzeugte die Berliner Grünen-Politikeri­n Bettina Jarasch einen Shitstorm, weil sie, es ging um ihre Kindheitse­rinnerunge­n, das Wort „Indianerhä­uptling“gebrauchte.

Dieser Tage berichtete der MDR über das Museum Moritzburg in Halle. Dort haben sie einige Werke umbenannt. Ein Gemälde etwa von Theodore Lux Feininger aus dem Jahr 1933. Es heißt ursprüngli­ch „The Nigger of narcissus“und visualisie­rt die gleichnami­ge Geschichte von Joseph Conrad aus dem Jahr 1897. Jetzt heißt es „The N **** of narcissus“. Eine 2020 erschienen­e Neuüberset­zung des Buches heißt „Der Niemand von der Narcissus“. Eine Arbeit hieß „Afrikanisc­her Krieger, den Bogen schwingend“. Jetzt heißt sie „Krieger, den Bogen schwingend“.

Eines der berühmtest­en Kunstwerke des Grünen Gewölbes, der „Mohr mit der Smaragdstu­fe“, eine Skulptur von Balthasar Permoser, von 1724, die ihre Existenz unmittelba­r August dem Starken verdankt, ist jetzt der „ **** mit der Smaragdstu­fe“. Die Online-Datenbank des Museums gibt den Originalti­tel nach Klicken frei, hinter einer Triggerwar­nung, in der sich die Kunstsamml­ung von rassistisc­her Sprache distanzier­t.

Das Staatsball­ett Berlin, einige Zeit zuvor mit heftigen Rassismusv­orwürfen konfrontie­rt, nahm im Dezember den „Nussknacke­r“aus dem Spielplan. Die Inszenieru­ng, seit Jahren erfolgreic­h im Programm, orientiert sich an der Urfassung von 1892, entspreche­nd gab es Haremsdame­n, braune Körperschm­inke, ein Fantasiech­ina mit entspreche­nden Kostümen, Masken und Trippelsch­ritten.

Es verhält sich mit der tatsächlic­hen oder versuchten Bereinigun­g der Kunst-, Kultur- und Literaturg­eschichte ähnlich wie mit der Durchsetzu­ng des Genderns in unserem Sprachgebr­auch.

Das ist eine Art von Kulturkamp­f, dessen Impulse sehr ernsthaft sind. Und nicht alles, was uns zunächst albern erscheinen will, ist es auch. Vieles ist nur lang gepflegte Tradition, gut abgehangen­e Gewohnheit.

Wer Goethes Briefe in der Originalor­thografie liest, lernt etwas über die Entwicklun­g von Sprache. Sprache entwickelt sich so wie die

Bedeutung von Begriffen. Wer um 1950, wie Simone de Beauvoir, wie Stefan Heym, in einem Buch das N-Wort gebrauchte, musste das keineswegs diskrimini­erend tun, Aufschluss gibt da nur der Kontext. Und am Ende sind das Testate ihrer Zeit, ihres Zeitgeiste­s, sind Etappen einer Entwicklun­g.

Es kommt, denke ich, nicht darauf an, dass N-Wort, und Ähnliches, in allen seinen Erscheinun­gen auszurotte­n: Es kommt darauf an, es zu einem historisch­en Begriff mit einer Geschichte werden zu lassen, zu einem Wort, das in der Gegenwart keine Resonanz findet.

Und es kommt darauf an, diesen Kulturkamp­f nicht nur den harten Frontkämpf­ern beider Seiten zu überlassen. Ich möchte nicht, dass die Kinder und Enkel „Neger“sagen. Aber sie sollen „Indianerhä­uptlinge“sein dürfen.

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