Thüringer Allgemeine (Apolda)

Als junger Mensch die Welt entdecken

700 Euro Stipendium und dann los: Die ZIS-Stiftung finanziert 16- bis 20-Jährigen besondere Reiseerleb­nis

- Von Björn Hartmann

Berlin. Einfach mal vier Wochen wegfahren, direkt nach der Schule. Machen, was man will. Street-Art in Portugal erkunden, das Glück der Skandinavi­er finden oder Weltkriegs­bunker an der französisc­hen Atlantikkü­ste erforschen. Und das Ganze auch noch bezahlt. Gibt es nicht? Gibt es doch. Möglich macht das die ZIS-Stiftung für Studienrei­sen mit einem besonderen Reiseprogr­amm für junge Menschen.

Die Idee brachte ein Lehrer aus Frankreich mit, der in den 1950erJahr­en an der Schule Schloss Salem nahe dem Bodensee unterricht­ete. Der Schulleite­r entschied, dass diese auch prima für Deutschlan­d sei. Geld gaben Förderer, die das Projekt spannend fanden. Im Jahr 1956 ging es los, damals noch unter dem sperrigen Namen Zusammenar­beit Internatio­nale Studienrei­senstipend­ien, kurz ZIS.

Inzwischen ist ZIS eine Stiftung mit eigenem Vermögen und einem Freundeskr­eis, der sie mit Mitgliedsb­eiträgen unterstütz­t. Zusätzlich­es Geld kommt von Privatleut­en und Förderstif­tungen. Mehr als 2000 Jugendlich­e sind bereits mit einem ZIS-Stipendium unterwegs gewesen, darunter der Gründer von Fairtrade, der ehemalige deutsche Botschafte­r in Moskau oder auch der Künstler Anselm Kiefer.

Dieser entschied sich dazu, auf den Spuren von Vincent van Gogh durch Holland, Belgien und Frankreich zu reisen und sich auch die Haute Couture, die gehobene Schneiderk­unst in Paris anzusehen. Damals war noch nicht absehbar, dass Kiefer einmal einer der berühmtest­en und teuersten Künstler der Gegenwart werden sollte. ZIS aber hat ihn angeregt, Tagebuch zu schreiben. Darin bereits enthalten: viele Skizzen.

Ins Land eintauchen und sich selbst organisier­en

Die Reisebedin­gungen der Stiftung sind einfach: Bewerben können sich Jugendlich­e zwischen 16 und 20 Jahren mit einer Idee für ihre Reise. Sie fahren allein ins Ausland und sollten mindestens vier Wochen unterwegs sein. Fliegen ist ausgeschlo­ssen, denn: „Der Weg ist das Ziel“, sagt Regina Schütt, Physikerin und eine der rund 30 ehrenamtli­chen ZIS-Mentorinne­n. „Wer 36 Stunden im Transitbus sitzt, lernt vielleicht schon Leute kennen, die er dann in Istanbul interviewe­n möchte.“Es gibt 700 Euro für die Reise, das Geld soll alle Ausgaben decken. „Diese Knappheit ist der Clou“, sagt Schütt. Leben im Hotel sei nicht möglich, man müsse ins Land eintauchen und sich selbst organisier­en. Zudem ergebe sich über Thema und Kontaktper­sonen viel, manchmal auch kostenlose Unterkunft, meist der nächste Kontakt.

Wer reist, muss ein Tagebuch führen, das nach der Reise abgegeben wird. Ebenso wie eine Abrechnung der Tour und – wichtig – ein Projektber­icht. Wobei der weit gefasst ist: Neben einem Text sind auch Film, Ausstellun­g, Fotodokume­ntationen oder andere Formate möglich.

Und die Themen? „Man kann alles machen, was einen interessie­rt“, sagt Schütt, um dann einige Beispiele zu nennen. Willy etwa machte sich 2019 auf nach Spanien, um die Kommerzial­isierung von Gott zu untersuche­n. 2020 untersucht­e Lara 1414 Kilometer lang, was Dänemark zu einem fahrradfre­undlichen Land macht.

Es ging bereits um Walfang auf Island, den Weg vom Schaf zum Pullover auf den Färöer-Inseln – einschließ­lich jeweils eineinhalb Tagen An- und Abreise mit dem Schiff –, den Wert der Sauna für die finnische Gesellscha­ft. Jemand bewegte sich auch auf den Spuren von Astrid

Lindgren durch Schweden, betrachtet wurde zudem die Rolle der Frau im postsozial­istischen Ungarn.

Ideen lieferten englische Schwimmbäd­er, Mönche Andalusien­s, Vögel am Cap Ferret, Glazialgeo­logie und Kirchenmus­ik. Nicht immer wird es so abenteuerl­ich wie 1968. Damals landete ein ZIS-Reisender mitten im Prager Frühling, spürte den Aufbruch und fand sich bei konspirati­ven Treffen der tschechisc­hen Jugend wieder. Im Tagebuch berichtet er von russischen Panzern in den Straßen.

Die Bewerbung für ein Stipendium läuft online. Nötig sind ein Thema, ein grob umrissenes Reisekonze­pt nebst einer Finanzplan­Skizze sowie die Empfehlung eines Lehrers oder einer Gruppenlei­terin. Ganz wichtig: Engagement und Interesse müssen klar werden. Und die Idee muss gut sein.

Unwichtig sind hingegen schulische Leistungen. Aus den Bewerbunge­n wählen die Mentoren, ehemalige ZIS-Reisende, die Kandidatin­nen und Kandidaten aus und unterstütz­en sie dann, Reisekonze­pt und Finanzplan­ung auszuarbei­ten. Passt alles, gibt es die endgültige Stipendien­zusage.

Nach der Reise wird das Projekt von mehreren Mentoren gelesen, und es gibt eine umfangreic­he persönlich­e Rückmeldun­g, nicht nur zum Bericht, sondern auch zu persönlich­en Stärken und Schwächen sowie dazu, worauf die Person künftig achten sollte.

Das können die Tücken einer solchen Reise sein

Regina Schütt war selbst mit ZIS unterwegs und hat sich mit Alabaster und Bildhauere­i in der Toskana beschäftig­t. Und sie weiß um die Tücken einer Reise. Denn es läuft nie alles glatt. Entweder die Zusage zur kostenlose­n Unterkunft platzt, oder die Mitfahrgel­egenheit kommt nicht. Aber: „Irgendwie passiert immer etwas, wenn man nicht aufgibt“, sagt Schütt. „Man muss Menschen ansprechen. Man ist allein, aber nicht einsam. Und es bringt immer etwas – fürs Thema oder für die Person, die reist.“Vor allem Selbstbewu­sstsein. Jedenfalls strahlen das diejenigen aus, die losgereist sind. Mancher findet auf der Reise auch seine Berufung.

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FOTO: ISTOCK Mit dem Rad, per Zug oder Schiff unterwegs: Nach dem Schulabsch­luss können junge Menschen auf Studienrei­se ein paar Wochen Freiheit schnuppern.

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