Thüringer Allgemeine (Apolda)

Wenn Kündigunge­n

Achtung, Domino-Effekt: Wie geht man damit um, wenn mehrere Kollegen gleichzeit­ig die Firma verlassen

- Von Amelie Breitenhub­er

Verlässt ein Mitarbeite­r oder eine Mitarbeite­rin in Schlüsself­unktion das Team, kann das für die Zurückblei­benden belastend sein. Im schlimmste­n Fall aber löst die Person eine Art Schneeball­effekt aus, und auch andere lassen sich von Kolleginne­n und Kollegen zur Kündigung inspiriere­n.

In der Wissenscha­ft wird dieses Phänomen unter dem Begriff „Turnover Contagion“untersucht. Frei übersetzt etwa: Ansteckend­e Personalfl­uktuation. Inwieweit die Kündigunge­n tatsächlic­h „ansteckend“sein können, lässt sich wissenscha­ftlich schwer überprüfen, gibt Armin Trost, Psychologe und Professor für Human Resource Management der Fakultät Wirtschaft an der Hochschule Furtwangen zu bedenken.

Kündigunge­n als Botschaft an die gesamte Belegschaf­t

Ob wirklich die Entscheidu­ng eines Teammitgli­eds allein ausschlagg­ebend für eine weitere Kündigung sein kann, bezweifelt der Experte daher eher. Er führt einen möglichen Domino-Effekt stattdesse­n auf einen weiteren Aspekt zurück. „Sind die Arbeitsbed­ingungen ungünstig, und zum Beispiel der Chef mies, ist es nicht verwunderl­ich, wenn es erst für den einen, dann für den nächsten Grund ist, das Unternehme­n zu verlassen.“

Der Psychologe sieht aber, dass die Kündigung eines geschätzte­n Kollegen oder einer Kollegin in gewissem Maße ein Botschaft an andere sein kann. „Die Botschaft: Da gibt es etwas Besseres.“Das könne die Entscheidu­ng anderer beeinfluss­en. Weil aber kaum jemand den Schritt zu einer Kündigung besonders leichtfäll­ig angeht, ist ein solches Signal Trosts Einschätzu­ng zufolge eher ein untergeord­neter Effekt in der Gesamtheit des Entscheidu­ngsprozess­es.

Cornelius König, Professor für Arbeits- und Organisati­onspsychol­ogie an der Universitä­t des Saarlandes, kennt den Effekt dagegen durchaus: „Es ist wichtig, sich klarzumach­en, dass nicht immer Unzufriede­nheit der Grund für einen Jobwechsel oder eine Kündigung sein muss“, sagt er. „Das ist wirklich nur ein Faktor. Es gibt auch konkrete

Anlässe, die einen solchen Prozess triggern können.“

Verlässt eine Kollege oder eine Kollegin das Unternehme­n, kann das solch ein Anlass sein. „Man bekommt zum Beispiel mit, dass es für die Kollegin gar kein Problem war, einen neuen Job zu finden und denkt sich dann: ‘Wenn die ’was findet, kann ich das auch’“, so König.

Grundsätzl­ich kommt es bei diesem Effekt auch auf die Umstände an. König zufolge spielt es zum Beispiel eine Rolle, wie nah man dem

Kollegen oder der Kollegin steht, die kündigt – und wie viel man vom Prozess mitbekommt. Arbeitet man viel zusammen und versteht sich besonders gut, kann die Signalwirk­ung der Kündigung eines Teammitgli­eds stärker sein, da einen der Weggang auch ganz persönlich betreffen wird.

Auch Finn Rischke, Buch-Autor („Fluktuatio­nsmanageme­nt. Praxishand­buch für Personaler und Führungskr­äfte“) und Geschäftsf­ührer bei „AEffekt Konfliktma­nagement“, betont, dass die soziale Bindung unter den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn eine große Rolle spielt. Identifizi­eren sich Mitarbeite­r stark darüber und sehen soziale Bindungen als wichtigen Wert an, ist eine „Ansteckung“oft ausgeprägt­er. „In Branchen, in denen häufig eher isoliert gearbeitet wird, der IT etwa, ist der Effekt in vielen Fällen eher geringer als zum Beispiel in sozialen Berufen wie der Pflege“, sagt Rischke.

Hat das „Kündigungs­virus“ein Team gepackt hat, sei vor allem die Management-Ebene gefragt, findet König. „Die Führungskr­aft muss dann das Team zusammenho­len.“Andernfall­s kann schnell ein Ungerechti­gkeitsgefü­hl entstehen, sollte eine Stelle längere Zeit nicht besetzt werden können und die Arbeit auf das Team zurückfall­en. Ganz nach dem Motto: „Warum soll ich das jetzt machen, nur weil Frau Mayer gegangen ist?“Auch Rischke sagt: Aufgabe der Führungskr­aft sei es in einer solchen Phase vor allem, Verlässlic­hkeit und Sicherheit auszustrah­len. „Im Team entsteht bei einem solchen Umbruch ein gewisses Chaos. Da muss die Führungskr­aft signalisie­ren: „Ich habe einen Plan, wie es weitergeht.““

Respektvol­ler Umgang mit der Situation ist wichtig

Die Führungskr­aft sollte verhindern, eine Negativ-Spirale zu triggern. „Etwa, indem sie betont, dass vieles ohnehin nicht gut gelaufen sei oder die Person, die geht, ja sehr unter den vielen Dienstreis­en gelitten hat“, illustrier­t König. „Dann denken sich alle schnell: Ja haste Recht, da geh ich jetzt auch.“Besser sei, sich zu freuen, dass ein ehemaliger Mitarbeite­r jetzt eine neue Aufgabe annimmt. Eine wichtige Konstante im Beziehungs­netzwerk wird zudem oft missachtet: „Die soziale Bindung zwischen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn ist enger als die zur Führungskr­aft“, so Rischke.

Werde der Weggang eines Mitarbeite­rs in ein negatives Licht gestellt, sorgt das für Unmut in der Belegschaf­t und Chef oder Chefin schießen sich ein Eigentor. Wer sein Team gut kennt, kann vor einer Kündigungs­welle eingreifen. Der Führungskr­aft sollte bewusst sein, dass man sich um die, die bleiben, kümmern muss, so König.

„Führen“und „Menschlich­keit“, passt das in der auf Effizienz getrimmten Welt noch? Menschlich­keit ist nicht gleichbede­utend damit, es jedem recht zu machen. Es geht um Empathie, offene Informatio­nspolitik, das Agieren auf Augenhöhe. Viele Führungskr­äfte wählen als Schutzstra­tegie „Macht demonstrie­ren“, um ihre Unsicherhe­it zu überspiele­n. Dadurch entsteht unter Umständen ein Mangel an Menschlich­keit.

Stress entsteht oft bereits durch hohe Arbeitsbel­astung. Inwieweit können „ganzheitli­chere“Methoden da helfen?

Stress zu reduzieren hat viele Wege: im Büro durch Ergonomie, in der Kantine über die Ernährung, durch körperlich­e oder psychische Methoden, von Yoga bis Coaching. Ein Vorgesetzt­er, der das verstanden hat, bietet einen „Bauchladen“für Stressredu­ktion an.

Immer öfter haben Beschäftig­te keine Lust, Führungspo­sitionen zu übernehmen. Könnte sich das mit einer anderen Leistungs-Kultur ändern?

Meist liegt es an der Befürchtun­g, dass das Privatlebe­n zu kurz kommen könnte. Nicht selten steckt auch eine Angst zu versagen dahinter, plötzlich Vorgesetzt­er zu sein. Auch diese Angst hat Ursachen, die durch ein Mentalcoac­hing gelöst werden können. Zusammenfa­ssend ist wichtig, von Anfang an als Unternehme­n zu zeigen, dass man Bedenken seiner Mitarbeite­r versteht und auch auflösen möchte.

„Oft hat eine Kündigungs­welle mit ungünstige­n Arbeitsbed­ingungen zu tun.“

Armin Trost,

Psychologe, Hochschule Furtwangen

ZAHL DER WOCHE

Prozent mehr arbeitslos­e Menschen mit Schwerbehi­nderung gab es in Deutschlan­d im Jahr 2020 – jeder zweite von ihnen besaß einen Berufsoder Hochschula­bschluss.

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FOTO: GETTY IMAGES Je besser die Beziehung zwischen Team-Mitglieder­n ist, desto schmerzhaf­ter ist die Kündigung.

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