Wenn Kündigungen
Achtung, Domino-Effekt: Wie geht man damit um, wenn mehrere Kollegen gleichzeitig die Firma verlassen
Verlässt ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin in Schlüsselfunktion das Team, kann das für die Zurückbleibenden belastend sein. Im schlimmsten Fall aber löst die Person eine Art Schneeballeffekt aus, und auch andere lassen sich von Kolleginnen und Kollegen zur Kündigung inspirieren.
In der Wissenschaft wird dieses Phänomen unter dem Begriff „Turnover Contagion“untersucht. Frei übersetzt etwa: Ansteckende Personalfluktuation. Inwieweit die Kündigungen tatsächlich „ansteckend“sein können, lässt sich wissenschaftlich schwer überprüfen, gibt Armin Trost, Psychologe und Professor für Human Resource Management der Fakultät Wirtschaft an der Hochschule Furtwangen zu bedenken.
Kündigungen als Botschaft an die gesamte Belegschaft
Ob wirklich die Entscheidung eines Teammitglieds allein ausschlaggebend für eine weitere Kündigung sein kann, bezweifelt der Experte daher eher. Er führt einen möglichen Domino-Effekt stattdessen auf einen weiteren Aspekt zurück. „Sind die Arbeitsbedingungen ungünstig, und zum Beispiel der Chef mies, ist es nicht verwunderlich, wenn es erst für den einen, dann für den nächsten Grund ist, das Unternehmen zu verlassen.“
Der Psychologe sieht aber, dass die Kündigung eines geschätzten Kollegen oder einer Kollegin in gewissem Maße ein Botschaft an andere sein kann. „Die Botschaft: Da gibt es etwas Besseres.“Das könne die Entscheidung anderer beeinflussen. Weil aber kaum jemand den Schritt zu einer Kündigung besonders leichtfällig angeht, ist ein solches Signal Trosts Einschätzung zufolge eher ein untergeordneter Effekt in der Gesamtheit des Entscheidungsprozesses.
Cornelius König, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität des Saarlandes, kennt den Effekt dagegen durchaus: „Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass nicht immer Unzufriedenheit der Grund für einen Jobwechsel oder eine Kündigung sein muss“, sagt er. „Das ist wirklich nur ein Faktor. Es gibt auch konkrete
Anlässe, die einen solchen Prozess triggern können.“
Verlässt eine Kollege oder eine Kollegin das Unternehmen, kann das solch ein Anlass sein. „Man bekommt zum Beispiel mit, dass es für die Kollegin gar kein Problem war, einen neuen Job zu finden und denkt sich dann: ‘Wenn die ’was findet, kann ich das auch’“, so König.
Grundsätzlich kommt es bei diesem Effekt auch auf die Umstände an. König zufolge spielt es zum Beispiel eine Rolle, wie nah man dem
Kollegen oder der Kollegin steht, die kündigt – und wie viel man vom Prozess mitbekommt. Arbeitet man viel zusammen und versteht sich besonders gut, kann die Signalwirkung der Kündigung eines Teammitglieds stärker sein, da einen der Weggang auch ganz persönlich betreffen wird.
Auch Finn Rischke, Buch-Autor („Fluktuationsmanagement. Praxishandbuch für Personaler und Führungskräfte“) und Geschäftsführer bei „AEffekt Konfliktmanagement“, betont, dass die soziale Bindung unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine große Rolle spielt. Identifizieren sich Mitarbeiter stark darüber und sehen soziale Bindungen als wichtigen Wert an, ist eine „Ansteckung“oft ausgeprägter. „In Branchen, in denen häufig eher isoliert gearbeitet wird, der IT etwa, ist der Effekt in vielen Fällen eher geringer als zum Beispiel in sozialen Berufen wie der Pflege“, sagt Rischke.
Hat das „Kündigungsvirus“ein Team gepackt hat, sei vor allem die Management-Ebene gefragt, findet König. „Die Führungskraft muss dann das Team zusammenholen.“Andernfalls kann schnell ein Ungerechtigkeitsgefühl entstehen, sollte eine Stelle längere Zeit nicht besetzt werden können und die Arbeit auf das Team zurückfallen. Ganz nach dem Motto: „Warum soll ich das jetzt machen, nur weil Frau Mayer gegangen ist?“Auch Rischke sagt: Aufgabe der Führungskraft sei es in einer solchen Phase vor allem, Verlässlichkeit und Sicherheit auszustrahlen. „Im Team entsteht bei einem solchen Umbruch ein gewisses Chaos. Da muss die Führungskraft signalisieren: „Ich habe einen Plan, wie es weitergeht.““
Respektvoller Umgang mit der Situation ist wichtig
Die Führungskraft sollte verhindern, eine Negativ-Spirale zu triggern. „Etwa, indem sie betont, dass vieles ohnehin nicht gut gelaufen sei oder die Person, die geht, ja sehr unter den vielen Dienstreisen gelitten hat“, illustriert König. „Dann denken sich alle schnell: Ja haste Recht, da geh ich jetzt auch.“Besser sei, sich zu freuen, dass ein ehemaliger Mitarbeiter jetzt eine neue Aufgabe annimmt. Eine wichtige Konstante im Beziehungsnetzwerk wird zudem oft missachtet: „Die soziale Bindung zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist enger als die zur Führungskraft“, so Rischke.
Werde der Weggang eines Mitarbeiters in ein negatives Licht gestellt, sorgt das für Unmut in der Belegschaft und Chef oder Chefin schießen sich ein Eigentor. Wer sein Team gut kennt, kann vor einer Kündigungswelle eingreifen. Der Führungskraft sollte bewusst sein, dass man sich um die, die bleiben, kümmern muss, so König.
„Führen“und „Menschlichkeit“, passt das in der auf Effizienz getrimmten Welt noch? Menschlichkeit ist nicht gleichbedeutend damit, es jedem recht zu machen. Es geht um Empathie, offene Informationspolitik, das Agieren auf Augenhöhe. Viele Führungskräfte wählen als Schutzstrategie „Macht demonstrieren“, um ihre Unsicherheit zu überspielen. Dadurch entsteht unter Umständen ein Mangel an Menschlichkeit.
Stress entsteht oft bereits durch hohe Arbeitsbelastung. Inwieweit können „ganzheitlichere“Methoden da helfen?
Stress zu reduzieren hat viele Wege: im Büro durch Ergonomie, in der Kantine über die Ernährung, durch körperliche oder psychische Methoden, von Yoga bis Coaching. Ein Vorgesetzter, der das verstanden hat, bietet einen „Bauchladen“für Stressreduktion an.
Immer öfter haben Beschäftigte keine Lust, Führungspositionen zu übernehmen. Könnte sich das mit einer anderen Leistungs-Kultur ändern?
Meist liegt es an der Befürchtung, dass das Privatleben zu kurz kommen könnte. Nicht selten steckt auch eine Angst zu versagen dahinter, plötzlich Vorgesetzter zu sein. Auch diese Angst hat Ursachen, die durch ein Mentalcoaching gelöst werden können. Zusammenfassend ist wichtig, von Anfang an als Unternehmen zu zeigen, dass man Bedenken seiner Mitarbeiter versteht und auch auflösen möchte.
„Oft hat eine Kündigungswelle mit ungünstigen Arbeitsbedingungen zu tun.“
Armin Trost,
Psychologe, Hochschule Furtwangen
ZAHL DER WOCHE
Prozent mehr arbeitslose Menschen mit Schwerbehinderung gab es in Deutschland im Jahr 2020 – jeder zweite von ihnen besaß einen Berufsoder Hochschulabschluss.