Willkommen im Schnee
Wie Erfurt Teil einer Luftbrücke für Kriegsflüchtlinge aus der Republik Moldau wird
Erfurt. Die Ankunft in Thüringen ist, rein meteorologisch betrachtet, ein Schock. Als der Charterflug DE 8221 am Freitagnachmittag bei strahlendem Sonnenschein in Chișinău startete, waren es dort 25 Grad. Als der Airbus gegen 16.30 Uhr in Erfurt aufsetzt, liegt auf der Landebahn nasser Schnee.
Veronika, eine junge Frau mit rotgefärbten Haaren, steht im T-Shirt in der Eingangshalle des kleinen Flughafens und versucht, sich in eine Decke zu wickeln. Seit zehn Tagen seien sie und drei kleinen Söhne auf der Flucht, erzählt sie. Auch ihr Mann ist dabei, Väter mit mindestens drei Kindern werden nicht eingezogen.
Aber immerhin, sie haben es aus dem südukrainischen Mykolajiw ins Nachbarland Moldau und von dort nun ins sichere Deutschland geschafft. Und sie sind herzlich willkommen: Das Rote Kreuz hat Holztische und Bänke in der großen Halle des Flughafengebäudes aufgebaut. Bobbycars und Bälle stehen für die Kinder bereit. An einem improvisierten Essenstand gibt es Nudeln mit Tomatensoße, Wasser, Kaffee und Schokoladenosterhasen.
Polizisten, Behördenmitarbeiter und Helfer wuseln umher, derweil Migrationsminister Dirk Adams (Grüne) die Ankömmlinge begrüßt. Draußen, im Schneegriesel, warten die Busse.
Es ist der zweite sogenannte Übernahmeflug aus Moldau. Der erste war vor einer Woche mit 134 Menschen in Frankfurt gelandet, die Geflüchteten wurden von dort nach Rheinland-Pfalz gebracht.
Die Menschen, die am Freitag in Erfurt ankommen, sollen in Thüringen bleiben. Die meisten stammen aus Odessa an der Schwarzmeerküste. Die Stadt, die sich seit Längerem auf den Angriff der russischen Truppen und Marine vorbereitet, liegt nur drei Autostunden von Chișinău entfernt.
Viele der Geflüchteten befanden sich seit Wochen in Moldau, waren bei Gastfamilien untergebracht. Das Auswahlverfahren, an dem das UN-Flüchtlingshilfswerk, die moldauischen Migrationsbehörden, die Internationalen Organisation für Migration und die deutsche Botschaft beteiligt sind, war streng. Bevorzugt wurden Kinder, alleinstehende Frauen, Ältere, Verwundete sowie Menschen mit Behinderungen oder schweren Erkrankungen.
Am Ende blieben dennoch etwa 50 der Ausgewählten in Moldau. Entweder war ihr Corona-Test positiv oder die Ärzte gaben nicht ihr Okay. Oder sie schafften es nicht rechtzeitig zum Flughafen.
Die Zustände in der kleinen Republik im Südwesten der Ukraine grenzen ans Chaos. Moldau hat 2,6 Millionen Einwohner. Hierher flüchteten seit Ende Februar etwa 350.000 Menschen. Während davon inzwischen etwa zwei Drittel weiterreisten, befinden sich noch etwa 100.000 im Land. Und jeden Tag kommen Tausende hinzu.
Deshalb hatte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei ihrem Besuch am 12. März in Moldau angekündigt, dass Deutschland rasch 2500 Menschen übernehmen werde, das gesamte EU-Kontingent soll 15.000 betragen. Sie und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprachen alsbald von einer „Luftbrücke“, gar einem „Drehkreuz“für die Flüchtlinge.
Doch einschließlich des Erfurter Fliegers ist erst ein Zehntel der von Deutschland versprochenen Zahl gekommen. Noch ist die Brücke ein Brückchen. Am Flughafen werden die Menschen rasch von der Bundespolizei registriert. Medizinisch untersucht wurden sie schon in Moldau, die Daten sind übermittelt.
Nach einem Imbiss auf den Bänken geht es in Bussen in Gemeinschaftsunterkünfte im Ilm-Kreis, im Kyffhäuserkreis und im Landkreis Gotha. Schon nach wenigen Tagen, heißt es, sollen die Menschen aus der Ukraine in angemieteten Wohnungen
und sonstigen Einzelquartieren untergebracht werden.
Thüringen hat bislang eher schlechte Erfahrung mit der zentralen Verteilung der Flüchtlinge gesammelt. Etliche Busse, die aus Berlin angekündigt waren, kamen gar nicht an oder waren bestenfalls halb gefüllt. Zudem fuhren viele Geflüchtete rasch weiter: Solange sie sich nicht mit Wohnsitz registriert haben, können sie visafrei durch ganz Europa reisen.
Woran dieses Phänomen liegt – an der Organisation oder daran, dass die meisten Ankömmlinge aus großen Städten stammen und deshalb die Metropolen streben – darüber wird schon länger gestritten. Der Altenburger Oberbürgermeister André Neumann machte auch das AfD-Image des Ostens dafür verantwortlich.
Aber die Geflüchteten aus Chișinău haben vorerst keine Wahl. Es gab nur diesen einen Flieger nach Deutschland – und der ging nach Erfurt. Jetzt, das sagen alle, vom Minister über den Behördenleiter bis zu den Kommunalbeamten, will das Land versuchen, ihnen den Aufenthalt so gut wie möglich zu gestalten.
Veronika aus Mykolajiw hofft, bei Bekannten in Hessen unterzukommen. Aber sicher, sagt sie, sei das noch nicht.
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