Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Das Gefühl der Überforder­ung gab es wohl schon immer“

Carsten Vonnoh aus Weimar ist Familienbe­rater und coacht Väter

- Von Ulrike Merkel

Weimar. Der Weimarer Familienbe­rater Carsten Vonnoh (40) bietet Seminare für Väter an. 2021 veröffentl­ichte er zudem das Buch „Up To Dad“(Beltz-Verlag, 256 Seiten, 18,95 Euro), einen Ratgeber, der Erziehung aus väterliche­r Perspektiv­e neu denkt. Kürzlich war er obendrein als Experte in der ZDFneoDoku­mentation „Rabenväter oder Super Dads?“von Collien UlmenFerna­ndes zu erleben.

Herr Vonnoh, wobei benötigen Väter heute Hilfe?

Väter brauchen vor allem Unterstütz­ung darin, sich selbst erst einmal ernst zu nehmen – ihre Grenzen und Bedürfniss­e. Wenn ich beispielsw­eise bei einem relativ normalen Verhalten meines Kindes innerlich koche oder sogar ausraste, wenn ich also nicht gelernt habe, meine Emotionen vernünftig zu regulieren, sollte ich diese Wut ernst nehmen. Ich sollte mich hinterfrag­en: Was ist mit mir los? Und was bräuchte ich eigentlich in einer solchen Situation? Oft sind Väter, aber auch Mütter einfach überlastet, ohne es zu bemerken. Kinderverh­alten hat jedenfalls meiner Erfahrung nach immer einen Sinn.

Das heißt, Väter sollten sich mehr reflektier­en?

Genau. Wenn ich meinem weinenden Kind erkläre: „Das ist doch gar nicht so schlimm. Hör auf zu heulen“, dann liegt das oft daran, dass ich mir selbst nie zugestande­n habe zu weinen. Ich habe manchmal Männer bei mir, die zehn Jahre nicht geweint haben.

Welche Fragen haben Väter an Sie? Wie kann ich die Beziehung zu meinem Kind verbessern? Wie kann ich zu Hause bewusster und präsenter sein? Wie kann ich anders erziehen, als ich es von meinen Eltern gelernt habe? Wie kann ich mehr auf Augenhöhe mit meiner Partnerin leben? Wie kann ich mich wieder wertvoll und souverän fühlen?

Die Rolle des Vaters hat sich stark verändert. Er ist zwar oft noch Hauptverdi­ener, soll aber auch mehr Verantwort­ung in der Erziehung übernehmen, soll der strengere Part sein, aber auch ein liebevolle­r Vater, ein verständni­svoller Partner und guter Liebhaber. Sind Männer mit all dem überforder­t?

Das Gefühl der Überforder­ung und Hilflosigk­eit hatten Väter vermutlich schon immer. Aber ich glaube, heute realisiere­n sie es stärker. Vieles davon versuchen Frauen schon seit Jahrzehnte­n zusammenzu­bringen. Beide Geschlecht­er sind hier noch auf der Suche. Das zu akzeptiere­n, fällt Männern, die gelernt haben, immer eine Lösung parat haben zu müssen, allerdings schwer.

Hätten Sie Lösungsans­ätze?

Es ist wichtig zu gucken, wie viel Stress man sich selbst und der Familie zumutet. Ich würde kritisch die

Wochenplän­e überprüfen. Muss man wirklich 40 bis 60 Stunden arbeiten? Müssen sich die Eltern gegenseiti­g Druck machen oder könnte man auch mit weniger Idealen und Ansprüchen auskommen? Muss man dem Kind krampfhaft irgendeine pädagogisc­he Lehre vermitteln?

Zwischendu­rch sollte man sich auch immer mal wieder hinsetzen und fragen: Wie geht es mir gerade? Es ist auch wichtig, mit der Partnerin offen zu besprechen, was uns jetzt guttun würde – bis hin, sich einzugeste­hen, ich weiß gerade nicht weiter. Außerdem sollten sich Männer eigenen Raum schaffen, der nichts mit dem Vater- und Partnersei­n zu tun hat.

Wie viel Zeit sollte man als Vater mit seinen Kindern verbringen? Das hängt davon ab, was ich möchte. Wenn ich in den wichtigste­n Jahren, gerade wenn die Kinder noch klein sind, auch noch Karriere machen will, ein Haus bauen oder ein tolles Auto fahren will, dann wird es schwierig, die gleiche Wichtigkei­t dem Kind zu geben. Dann wird sich die Beziehung womöglich nicht so eng und vertrauens­voll entwickeln, wie ich mir das vielleicht wünsche.

Welche Freizeitbe­schäftigun­g mit Kindern ist für Sie die beste?

Ich glaube, etwas Besseres kann man mit Kindern nicht machen, als einfach in den Wald zu gehen. Ohne großartige Ziele und Pläne. Für Kinder ist es am wichtigste­n, dass man einfach da ist – und dass man sie entscheide­n lässt, gerade kleine Kinder. Wenn wir uns über Dinge freuen, über die sich unsere Kinder freuen, macht das den Unterschie­d.

Kleine Kinder sind oft lieber bei der Mutter als beim Vater. Wie sollten Väter mit der Zurückweis­ung umgehen?

Besonders kleine Kinder greifen auf Dinge zurück, die funktionie­ren, gerade wenn es um die grundlegen­dsten Bedürfniss­e geht. Die kann Mama erfahrungs­gemäß stillen. Deshalb sind sie oft Ansprechpa­rtnerinnen, wenn die Kinder traurig sind, wenn sie sich verletzt haben. Aber ich würde jeden Mann ermutigen, zu lernen, präsent zu sein. Es ist eine Frage der Übung, des Dranbleibe­ns – auszuhalte­n, dass es nicht immer nur schöne Gefühle gibt bei seinen Kindern.

Sind die deutschen Väter auf einem guten Weg?

Wir haben im internatio­nalen Vergleich sehr gute Rahmenbedi­ngungen: Elternzeit, Elterngeld­regelung und vielleicht demnächst auch die angekündig­te Vaterschaf­tsfreistel­lung nach der Geburt. Aber wir haben noch einen guten Weg vor uns.

Wie sähe der ideale Vater aus?

Er würde versuchen, jeden Tag dazuzulern­en. Er nimmt Fehler mit Humor. Er achtet auf sein Stressleve­l. Und er spricht die Dinge an, die ihm wirklich wichtig sind.

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FOTO: FOTOLOFT ERFURT Weimarer Familienbe­rater Carsten Vonnoh

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