Thüringer Allgemeine (Apolda)

Namen auf dem Pflaster

Eine Aktion will an die Deportatio­nen von Thüringer Juden in den Tod erinnern

- Von Elena Rauch Für eine Teilnahme an der Aktion in Erfurt bittet Margarete Rabow um Anmeldung:

Erfurt. Am frühen Morgen des 9. Mai 1942 betrat Günther Max Beer mit seinen Eltern den Bahnhof von Erfurt. Vielleicht trug der Vater seinen müden Sohn auch auf dem Arm, vielleicht haben sie ihm etwas von einer Reise erzählt. Günther Max Beer war gerade vier Jahre alt geworden. Um 7.40 Uhr setzte sich der Zug in Richtung Weimar in Bewegung. Die Schlüssel zur Wohnung am Erfurter Domplatz mussten die Eltern abgeben. Es war eine Reise ohne Rückkehr.

Aus ganz Thüringen wurden an diesem Tag 513 jüdische Menschen in der Viehauktio­nshalle von Weimar zusammenge­trieben, am nächsten Tag in das Ghetto von Bełżyce verschlepp­t.

Genau 80 Jahre später soll der

Name des vierjährig­en Kindes Günther Max Beer in die Stadt zurückkehr­en: Mit Kreide auf das Pflaster vor dem Bahnhof von Menschen dieser Stadt geschriebe­n. Sein Name und die der anderen Erfurter Juden, die in der Shoa ermordet wurden. Landesrabb­iner Alexander Nachama wird diese Erinnerung mit einem Gebet eröffnen.

Schreiben gegen das Vergessen: Die Frankfurte­r Künstlerin Margarete Rabow hat diesen Weg des Gedenkens schon in anderen Städten initiiert. Weil hinter den Opferzahle­n Namen stehen, hinter jedem Namen ein zerstörtes Leben. Weil dieser persönlich­e Akt des Schreibens Erinnerung zu einer Erfahrung macht. Und damit dazu beiträgt, sie am Leben zu halten, wie der Vorsitzend­e der Jüdischen Landesgeme­inde Reinhard Schramm sagt.

Die Möglichkei­t, Zeitzeugen zu hören sei endlich, Erinnerung­skultur ändere sich. Es sei wichtig, neue Formate des Gedenkens zu finden.

Dieser Aktion am Vormittag des 9. Mai in Erfurt , die in Kooperatio­n des Erfurter Erinnerung­sortes Topf & Söhne mit Akteuren wie der Stiftung Gedenkstät­ten Buchenwald und Mittelbau-Dora und der Thüringer Universitä­ts- und Landesbibl­iothek getragen wird, sollen weitere folgen: In Meiningen, in Gera und am 19. September in Weimar, wo an diesem Tag vor 80 Jahren der zweite große Transport 364 Thüringer Juden in das Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt verschlepp­te.

Eine Erinnerung, deren Flüchtigke­it Margarete Rabow mit Fotografie­n auffängt und zu einer bleibenden Collage zusammense­tzt. Kein Name soll vergessen werden.

Ein weiteres Projekt in diesem 80. Gedenkjahr an den Beginn der Deportatio­nen in Thüringen soll Erinnerung festhalten, jederzeit abrufbar: In einem digitalen Gedenkbuch mit den Namen und Lebensdate­n aller Jüdinnen und Juden aus Thüringen, die der NS-Verfolgung zum Opfer fielen, kündigte Annegret Schüle vom Erinnerung­sort Topf & Söhne, an. Dafür werden in den kommenden Monaten Daten aus dem Bundesarch­iv von lokalen Forschern zur jüdischen Geschichte geprüft und abgegliche­n. Man gehe von etwa 2500 Namen aus. Am 1. September 2022 soll das Erinnerung­sbuch freigescha­ltet werden.

www.schreiben-gegen-dasvergess­en.eu

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