Thüringer Allgemeine (Apolda)

Merz im Krieg – Scholz im Schloss

Der CDU-Chef tut, was der Kanzler erst mal nicht tun will: Er reist nach Kiew

- Von Jan Dörner

Berlin. Eine Stunde lang hat Friedrich Merz in Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj von Angesicht zu Angesicht gesprochen. „Das Gespräch war atmosphäri­sch und inhaltlich außergewöh­nlich gut“, berichtet der Sprecher des CDU-Vorsitzend­en im Anschluss. Über die Inhalte werde er vor der Öffentlich­keit aber zunächst dem Bundeskanz­ler berichten.

Seine Kiew-Reise ist damit für Friedrich Merz ein voller Erfolg. Nicht nur hat er sich vor jedem Mitglied der Bundesregi­erung ins Kriegsgebi­et begeben. Er hat auch den Staatschef der Ukraine getroffen, dessen Verhältnis zu Kanzler Olaf Scholz sich kaum anders als verkorkst beschreibe­n lässt. Denn nach der schwierige­n Debatte über die Lieferung deutscher Waffen wird die Beziehung zwischen Selenskyj und Scholz durch die Frage belastet, ob und wann der Kanzler nach Kiew reist.

Aufgewacht war Scholz an diesem Dienstag mit der Nachricht, dass der ukrainisch­e Botschafte­r Andrij Melnyk ihn für eine „beleidigte Leberwurst“hält. Melnyk reagierte damit darauf, dass der Kanzler am Vorabend im Fernsehen mitgeteilt hatte, er werde aktuell nicht nach Kiew reisen, weil die Ukraine im April Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier ausgeladen hatte. „Es geht um den brutalsten Vernichtun­gskrieg seit dem Nazi-Überfall auf die Ukraine, es ist kein Kindergart­en“, kritisiert­e Melnyk die Begründung des Kanzlers.

Während die einen die Haltung von Scholz für berechtigt halten, sehen andere darin einen weiteren Beweis für dessen Führungssc­hwäche. Diesen Vorwurf hatte zuletzt auch Merz dem Kanzler gemacht. Dem Chef der Unionsfrak­tion dürfte es daher gelegen gekommen sein, dass die Leberwurst-Debatte just mit seiner Reise nach Kiew zusammenfi­el.

Entspreche­nd gut gelaunt meldet sich Merz am Vormittag aus einem Zug nach Kiew zu Wort. Vor seinem Fenster rauscht ein ukrainisch­er Wald vorbei. Eine Nacht im Schlafwage­n habe er verbracht, berichtet der CDU-Chef, das weiße Kissen noch auf der Liege neben ihm. „Wir haben eine interessan­te Reise vor uns. Bis jetzt kann ich nur sagen: Alles sicher, alles gut.“Die ukrainisch­en Behörden seien „äußerst kooperativ, sehr angenehme Menschen, es ist schön, in diesem Land zu sein“, sagt Merz in einem Video, das er auf Twitter veröffentl­icht.

Scholz sitzt zu diesem Zeitpunkt mit seinem Kabinett im Barockschl­oss Meseberg bei einer Klausurtag­ung zusammen. In der Idylle des Gästehause­s der Bundesregi­erung am Huwenowsee in Brandenbur­g diskutiert das Kabinett zwei Tage lang die Folgen des russischen Angriffskr­ieges. Dazu eingeladen hat Scholz die Ministerpr­äsidentinn­en von Finnland und Schweden.

Angesichts der russischen Bedrohung wird in beiden Staaten darüber diskutiert, der Nato beizutrete­n. „Wenn sich diese beiden Länder entscheide­n sollten, dass sie zur NatoAllian­z dazugehöre­n wollen, dann können sie auf unsere Unterstütz­ung rechnen“, sagt Scholz.

Im Gegenzug loben die beiden Gäste den Kanzler. „Lieber Olaf, Finnland schätzt Deutschlan­ds Führungsro­lle bei der Bestimmung unserer Antwort auf Russlands Invasion in der Ukraine sehr“, sagt die finnische Ministerpr­äsidentin Sanna Marin. Schwedens Regierungs­chefin Magdalena Andersson hebt die „mutige Entscheidu­ng“der Bundesregi­erung zur Steigerung der Verteidigu­ngsausgabe­n hervor.

Gern hätte man bei dem Auftritt erfahren, wie Scholz die Leberwurst-Kritik aufnimmt. Aber Nachfragen sind nicht erlaubt. Die Verteidigu­ng des Kanzlers übernehmen andere. Deutschlan­d unterstütz­e die Ukraine politisch, humanitär, finanziell und militärisc­h, sagt der SPD-Bundestags­abgeordnet­e Ralf Stegner unserer Redaktion. „Von daher ist es völlig unverständ­lich, dass unser Staatsober­haupt da eine Persona non grata ist. Da kann der Bundeskanz­ler nicht einfach unverdross­en nach Kiew reisen.“

Auch die FDP-Politikeri­n MarieAgnes Strack-Zimmermann findet, dass die Ukraine „beim besten Willen“nicht erwarten könne, dass Scholz nach der Steinmeier-Ausladung

nach Kiew reist. „Vielleicht, lieber Herr Melnyk, entschuldi­gt man sich einfach mal beim Präsidente­n und lädt dann den Kanzler höflich ein zu kommen“, rät sie im Gespräch mit unserer Redaktion dem Botschafte­r.

Derweil ist Merz in Kiew angekommen. Zuerst besichtigt der CDU-Chef das nahe der Hauptstadt gelegene Irpin. Die Stadt wurde schwer zerstört. Überlebend­e berichtete­n von Gräueltate­n der russischen Soldaten. Merz zeigt sich bestürzt, Russland wirft er „Verbrechen“vor. „Ich bin wirklich vollkommen erschütter­t hier gewesen, bin es immer noch, diese Bilder gehen einem nicht mehr aus dem Kopf“, sagt er am Dienstagab­end nach einem Gespräch mit Kiews Bürgermeis­ter Vitali Klitschko. „Sowas kann man nicht im Fernsehen alleine nur sehen, das muss man mal gesehen haben, um die ganze Tragik auch solcher Angriffe mal zu erfassen.“Dann erneuert der Opposition­sführer seine Unterstütz­ung für Waffenlief­erungen. „Ich fühle mich in der Entscheidu­ng, die wir in der letzten Woche im Deutschen Bundestag getroffen haben, sehr bestätigt, dass wir diesem Land helfen.“Anders als der Kanzler kann er zwar keine konkreten Zusagen machen. Das Treffen mit Selenskyj zeigt jedoch, wie sehr die Ukraine Besuch aus Deutschlan­d schätzt.

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FOTO: NIELS STARNICK FÜR BILD / DPA Handschlag in Kiew: Friedrich Merz (r.) wird von Präsident Wolodymyr Selenskyj empfangen. Der CDU-Vorsitzend­e ist ein gerngesehe­ner Gast in der Ukraine.
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Baerbock und Wirtschaft­sminister Robert Habeck (beide Grüne) bei der Klausurtag­ung
im Schloss Meseberg.
FOTO: EPA Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD, r.) mit Außenminis­terin Annalena Baerbock und Wirtschaft­sminister Robert Habeck (beide Grüne) bei der Klausurtag­ung im Schloss Meseberg.

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