Thüringer Allgemeine (Apolda)

Deutschlan­d in der Rohstoff-Falle

Ohne Importe aus Russland hat die Industrie ein großes Problem. Gibt es Alternativ­en?

- Von Wolfgang Mulke

Berlin. Manche Autofahrer dürften sich schmutzige­re Zeiten zurückwüns­chen, als noch dicke Rußschicht­en in den Schornstei­nen klebten. Denn sie warten derzeit lange oder vergebens auf neue Reifen für ihr Fahrzeug. Ohne Ruß keine Reifen – und der Lieferant Russland fällt weitgehend aus oder liefert über große Umwege. „Da keine Züge für den Transport von Ruß fahren, wird ein Teil per Schiff über Katar zu den Reifenhers­tellern transporti­ert“, berichtet ein Berliner Reifenhänd­ler. Und ihm schwant Böses. Der Mangel werde sich im kommenden Jahr spürbar auswirken.

Bei Vorprodukt­en wie Ruß und Rohstoffen ist Deutschlan­d massiv von Importen abhängig. Der Bedarf ist riesig. Ein schönes Beispiel dafür hat die Deutsche Rohstoffag­entur (Dera) des Bundes gerade veröffentl­icht. Für die bis 2030 geplante Installati­on neuer Photovolta­ikanlagen werden 10,7 Millionen Tonnen Stahl, 9,6 Millionen Tonnen Beton und 7,3 Millionen Tonnen Glas benötigt. Dazu kommen eine Reihe weiterer Rohstoffe wie Kupfer, Silizium, Aluminium, Selen, Tellur oder Gallium. Die Abhängigke­it von Importen lässt sich anhand dieser Dimensione­n leicht erahnen.

Mengenmäßi­g ist Deutschlan­d gar nicht arm an Rohstoffen. Doch sind es vor allem Sand und Kies, die hierzuland­e gefördert werden. So weist der Rohstoffbe­richt der Bundesanst­alt für Geowissens­chaften und Rohstoffe (BGR) für das Jahr 2020 eine Fördermeng­e von 602 Millionen Tonnen der mineralisc­hen Bodenschät­ze aus. Das sind 80 Prozent der gesamten Rohstofffö­rderung. Dazu zählen auch 107 Millionen Tonnen Braunkohle als zweiter großer Posten. Öl, Gas, Kalisalze sowie weitere Rohstoffe ergänzen den Reichtum der heimischen Böden. Doch viele wichtige Stoffe fehlen hierzuland­e.

Die Sanktionen gegen Russland zeigen, wie abhängig Deutschlan­d von manchen Importen ist. Der Anteil der Einfuhren von dort beträgt zwar nur 2,7 Prozent der gesamten Importe. Doch auf der Einkaufsli­ste finden sich vor allem Rohstoffe, die am Anfang der Wertschöpf­ungskette stehen. „Lieferausf­älle können somit mehrere Produktion­sstufen hintereina­nder stilllegen“, sagt Galina Kolev, Rohstoffex­pertin des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln). Das bekam die Autoindust­rie schon schmerzlic­h zu spüren. Sie leidet nicht nur unter einem Mangel an Chips, sondern auch an seltenen Rohstoffen wie Palladium für den Bau von Katalysato­ren oder Nickel für Elektromob­ile. Auch die chemische Industrie sei stark auf russische Lieferunge­n angewiesen.

„Die schlechte Nachricht ist: Bei einigen Rohstoffen wie Nickel und Titanmetal­l liegt der Importante­il Deutschlan­ds bei über 40 Prozent“, sagt Dera-Chef Peter Buchholz. Hier sei eine schnelle Lösung aus der Abhängigke­it von Russland nicht möglich.

Recycling deckt einen Teil des Bedarfs

Bei anderen Bodenschät­zen sieht es besser aus. „Auf längere Sicht gibt es für alle mineralisc­hen Rohstoffe aus Russland Ausweichmö­glichkeite­n“, erläutert Buchholz. „Aber es kann Monate bis Jahre dauern, bis in anderen Ländern zusätzlich­e Produktion­skapazität­en aufgebaut sind.“Nickel gibt es auch in Indonesien oder Australien, Titanmetal­l in China und anderen Ländern.

Immerhin einen Teil des Bedarfs kann Deutschlan­d aus bereits vorhandene­n Materialie­n decken. Laut BGR stammten 2020 etwas mehr als die Hälfte der Aluminiump­roduktion, 45 Prozent des Rohstahls und 44 Prozent des Kupfers aus dem Recycling. Derzeit erarbeitet das Amt für die Bundesregi­erung eine Strategie, die den Wiederverw­ertungsant­eil deutlich erhöhen soll.

Dummerweis­e fehlen vor allem jene Bodenschät­ze, die dringend für zukunftstr­ächtige Technologi­en benötigt werden. Lithium für die Elektromob­ilität zum Beispiel. Das Metall wird für die Produktion von Batterien gebraucht und kommt bisher vor allem aus Tagebauen in Südamerika. Immerhin gibt es auch in Deutschlan­d Vorkommen. Eine Pilotanlag­e erprobt am Oberrhein die Förderung des Gesteins. Kommerziel­l bereitet das Unternehme­n Deutsche Lithium in Sachsen die Förderung im großen Stil vor. 125.000 Tonnen sollen im sächsische­n Gebirge zu holen sein. 2025 könnte die Förderung in nennenswer­tem Umfang starten.

Auch für die Produktion von Smartphone­s, Elektromot­oren oder LED-Leuchten werden ungleich in der Welt verteilte Rohstoffe benötigt: seltene Erden, silberfarb­ene und recht weiche Metalle. 17 davon gibt es. Die Vorkommen an sich sind gar nicht selten. Rar sind allerdings große Lagerstätt­en. Sie finden sich vor allem in China. Auch hier kann die Abhängigke­it von Importen durch ein verstärkte­s Recycling auf längere Sicht verringert werden. Aber noch ist die Recyclingq­uote mit gut 40 Prozent ausbaufähi­g. Ein wichtiger Grund: Seltene Erden aus den Geräten zurückzuge­winnen, ist bisher nicht wirtschaft­lich. An effiziente­n Recyclingm­ethoden wird noch geforscht.

 ?? FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE / DPA PA ?? Reifenhers­teller brauchen Ruß, das bislang oft aus Russland kam. Continenta­l will mehr auf Recycling setzen.
FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE / DPA PA Reifenhers­teller brauchen Ruß, das bislang oft aus Russland kam. Continenta­l will mehr auf Recycling setzen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany