Die ewige Arbeit am Wort
500 Jahre nach Luthers Bibelübersetzung spannt die Wartburg dazu einen großen Bogen
Eisenach. „Im Anfang“, übersetzt Luther im Evangelium des Johannes, „war das Wort (. . .) Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“Und das lässt sich auch über diese Ausstellung sagen, die an diesem Mittwoch auf der Wartburg offiziell eröffnet wird: „Luther übersetzt. Von der Macht der Worte“.
Wie zeigt man so was? Ausstellungsmacher müssten ja eher mit Goethes Faust rufen: „Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders übersetzen.“In Bilder zum Beispiel. Tatsächlich, gesteht die wissenschaftliche Leiterin der Burg, Grit Jacobs, für sich und für ihr Team, dies habe sie alle durchaus große Kraft gekostet.
Man kann sich durch die Schau lesen oder aber auch spielen gehen
Das zahlt sich aus, zumal sie das eine tun, ohne das andere zu lassen. „Sie kommen nicht umhin, in dieser Ausstellung auch zu lesen“, betont Frau Burghauptmann, Franziska Nentwig. Man kann aber auch spielen gehen: in die Druck-, mehr noch in eine Übersetzungswerkstatt.
Die neue Sonderausstellung aus gegebenem Anlass schließt an jene des Vorjahres an, „Luther im Exil. Wartburgalltag 1521“. Sie beginnt gleichsam punktuell, mit Interventionen in der Dauerausstellung.
Da taucht Johann Gottfried Schadows Luther-Büste in Gips auf, die bis 2017 unerkannt im Depot der Wartburg-Stiftung schlummerte. Zweihundert Jahre zuvor Herzog Carl August zugeeignet, ließ dieser sie auf die auf Wartburg bringen, zu musealen Zwecken, die im 19. Jahrhundert an Bedeutung gewannen.
Eine eben erst am gleichen Ort wiederentdeckte Gipsbüste von unbekannter Hand zeigt uns Luther als Junker Jörg, mit wilhelminischer Barttracht allerdings. Sie stand, wie andere Erinnerungsstücke auch, in der in den 1950ern radikal ausgeräumten Lutherstube. Deren Aura wird seit Jahrzehnten allgemein respektiert, so Grit Jacobs: „Kein Kurator hat jemals wieder so stille Stube angefasst.“Bis jetzt, da sie etwas weniger still wirkt: Der Stuhl scheint zu knarzen, als säße einer darauf, man hört eine Feder übers Papier kratzen, Buchseiten blättern sich wie von Geisterhand um. Sie haben auf der Wartburg einigen Humor.
Sie zeigen uns aber ernsthaft sowie Zeiten umspannend, was, um mit Luther zu sprechen, „fur kunst, fleiß, vernunfft, verstandt zum gutten dolmetschen gehört.“Wir sehen, nebeneinander, eine griechische Handschrift des Neuen Testaments aus dem 13., Hieronymus’ Latein-Übertragung aus dem 15. Jahrhundert („Biblia sacra“), Luthers September-Testament (1522) und ein Tablet mit digitalem Text.
Die Koberger-Bibel von 1483 erinnert uns daran, dass es vor Luther bereits achtzehn Versuche gab, Gottes Wort zu verdeutschen. Doch keiner bedeutete eine solche kulturelle Revolution wie der Luthers, der vor 500 Jahren auf der Wartburg eine
Arbeit am Wort begann, die im Grunde bis heute andauert.
Auch davon sprechen sie hier, in einer blau-türkis gehaltenen Ausstellungsarchitektur der Leipziger Designer von „Kocmoc“, die alte Schriftzeichen gleichsam als Datenströme visualisiert. Die Bibel sei sei „ein großes Werk und wert, dass wir alle daran arbeiten“, hatte Luther dekretiert, nachdem er sich einsam und allein „eine Last aufgeladen“hatte, „die über meine Kräfte geht“.
Vom Theologenkollektiv um Luther kündet ein Revisionsprotokoll Georg Rörers zum Alten Testament, hier Salomos Tempel aus dem Buch der Könige betreffend. Und von langwierigen, strittigen und umstrittenen Revisionen wie auch Neufassungen erzählen sie uns hier auch. Etwa vom „Eimer-Testament“1975, das Walter Jens einen Mord an Luther nannte: Dass man ein Licht nicht unter einen Eimer setze, hieß es damals anstatt „Scheffel“.
Die „Volxbibel“in Jugendsprache und die „Bibel in gerechter Sprache“tauchen auf; die Frage, wer darf, soll und kann überhaupt übersetzen, führt bis zum jüngsten Streit um Amanda Gormans Gedicht „The Hill We Climb“. Das alles spannen sie hier in den Bogen zweier Medienrevolutionen: zwischen Buchdruck und Digitalwelt.
Diese Ausstellung schätzt das Wort keinesfalls gering. Im Gegenteil: Sie achtet, befragt und feiert es.