Keine Bleibe mit Aussicht
Ein Handtuch auf den Kopf geknotet, zwei Fliegenklatschen hängen daran, um einen kleinen Ball hin und her schnippen zu wollen. Es braucht nicht viel mehr, um das Ausmaß der darin versammelten Tragik zu erfassen. Dieses Bild hat sich eingebrannt ins Gedächtnis, wie sein Name auf einige Trophäen geritzt ist, die ihm zum Teil nicht mehr gehören. Die Selbstdemontage des Boris Becker zeichnet sich aber erst neun Jahre später ab.
Die Demütigung in der Show von Oliver Pocher ist heute wie so vieles im turbulenten Leben der TennisLegende: verklärte, verziehene Vergangenheit. Glamour, Eskapaden, ein Dasein zwischen sportlich geschätzter Expertise und Seifenoper, im Schaufenster des Boulevard.
Nun sitzt Boris Becker im Gefängnis in London. Vier Nächte hat er hinter sich, 450 liegen mindestens noch vor ihm. Selbst bei tadelloser Führung muss der Tennisstar von zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe 15 Monate absitzen, weil er in seinem Insolvenzverfahren Vermögenswerte im Umfang von mehr als einer Million Euro verschwiegen haben soll.
Wer den rotblonden Weltenbürger mag, der versteht nach der Härte des Urteils die Welt nicht mehr. Das Mitleid hält sich bei vielen aber auch in Grenzen. Die Gesetze sind für alle gleich. Der Unterschied ist nur: Wer von ganz oben fällt, stürzt am tiefsten.
Boris Becker hat dreimal Wimbledon gewonnen, mit 17 das erste Mal, damals als Jüngster in der Tennis-Geschichte überhaupt. Er holte sechs Grand-Slam-Titel. Wo er aufschlug, ist oben gewesen. Nun ist er so weit unten wie nie. Gemessen an den Bildern, die in diesen Tagen seit dem Prozessende um die Welt gehen, ist er an einem unschönen Ort gefangen: Wandsworth. Keine Bleibe mit Aussicht.
Einige Große aus dem Sport teilten ein ähnliches Schicksal. Boxer wie Jürgen Brähmer, Floyd Mayweather Jr., Gustav „Bubi“Scholz, Graciano Rocchigiani bis hin zu Felix
Sturm und Mike Tyson eint, dass auch sie saßen. Wegen verschiedener Delikte: von Körperverletzung, Steuerhinterziehung bis hin zu Verstoß gegen Bewährungsauflagen. Skisprung-Olympiasieger Matti Nykänen kam ebenso hinter Gitter wie einst Wimbledon-Finalist Roscoe Tanner, Österreichs Eiskunstlauf-Olympiasieger Wolfgang Schwarz oder Bayern-Boss Uli Hoeneß. Nun Boris Becker. Von dem angenommen wurde, dass ihm so etwas nicht passieren könnte.
Auch er wird die bröckelnden Mauern hinter sich lassen. Doch was folgt danach? Im Umgang mit zuvor verdienten Millionen und allerhand Unternehmungen glücklos zu sein, für pleite erklärt zu werden ist die eine Seite. Aber Haft, das ist eine ganz andere Nummer.
Klar scheint wohl nur, dass die Marke Becker eine Bühne braucht. Die Frage bleibt: Ist das Interesse an einem Ex-Häftling aber dann immer noch so gewaltig, dass sich damit viel verdienen ließe? Er wird endlich gute Berater brauchen.
Sport, den konnte er, den kann und den kennt er wie wenige. Sein Leben danach ist mitunter auch eines wie ein Becker-Hecht gewesen, aber auch eines mit Stürzen, Prellungen und Schürfwunden.
Viele Menschen mochten Boris Becker. Den Kerl aus Leimen, dessen jugendliche unbekümmerte Art auf dem Platz die Gegner verzweifeln ließ und eine Art unantastbares Tennis-Idol für Jung und Alt wurde.
Einer von uns, und doch einer, der sich in anderen Sphären bewegte. Einer mit Schwächen, dem alles verziehen wurde. Fehltritte, Besenkammer-Affäre, der fatale Umgang mit Geld – auch das Weiter-so, nachdem er 2002 eine Bewährungsstrafe wegen Steuerhinterziehung kassiert hatte. Stets offensiv, gerade dann, wenn’s 0:2 stand.
Becker hilft das nicht. Vielleicht hat auch das breite Darüberhinwegsehen dazu beigetragen, den Blick auf die Realität zu verwässern. Das Gericht legte diesen nun offen. Einem, der am Pokertisch den Gewieften gab, ist es schwer, Unwissen abzukaufen, wie sich Beteiligungen und privater Besitz verteilen. Man wünschte ihm, es wäre alles anders gelaufen.
Der beste deutsche Tennisspieler aber sitzt im Gefängnis. In dem Land, wo er seine größten Erfolge feierte und mehr noch verehrt wurde. Wo er so unbedarft zu Weltruhm kam, der keinen Platz für Unbedarftheit vorhält. Eine Tragödie.