Thüringens dicke Kinder
Verbraucherschützer fordern erneut eine Zuckersteuer. Ein Kinderarzt bezweifelt deren Nutzen
Erfurt. Würden Sie sieben Würfelzucker in ein mit Wasser gefülltes Trinkglas normaler Größe geben, umrühren – und trinken? Bestimmt nicht, aber so viel Zucker – knapp 30 Gramm – sind in einem Glas Cola. In vielen anderen bei Kindern und Jugendlichen beliebten Brausen und Limonaden ist der Zuckergehalt nicht geringer.
Übergewicht und Adipositas, also starkes Übergewicht, ist bei Kindern und Jugendlichen keine Seltenheit. Gibt es da einen Zusammenhang?
Ja, sagt etwa die Verbraucherzentrale Thüringen. Nach einer aktuellen Forsa-umfrage sei jedes sechste Kind seit Beginn der Corona-pandemie dicker geworden, bei den Zehn- bis Zwölfjährigen sogar jedes dritte. Daher fordern die Verbraucherschützer unter anderem eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Werbung und eine Zuckersteuer auf süße Getränke.
„Die Entwicklung ist alarmierend“, warnt Luise Hoffmann, Referatsleiterin Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Thüringen. „Die Gewichtszunahme bei Kindern hat ein Ausmaß erreicht wie noch nie zuvor. Übergewichtige Heranwachsende haben ein hohes Risiko, an Bluthochdruck, Fettleber oder Diabetes zu erkranken.“Eine Zuckersteuer für Getränkehersteller, die je nach enthaltenem Zucker steigt, sei eine geeignete Maßnahme, um den gefährlichen Trend zu stoppen.
„Der Erfolg von Colas und Limonaden resultiert in erster Linie aus deren Geschmack. In diesem Zusammenhang spielt Zucker als Geschmacksträger eine wichtige Rolle“, erklärt dagegen Thomas Heß, Geschäftsführer der Thüringer Waldquell Mineralbrunnen Gmbh mit Sitz in Schmalkalden. „Wir haben aber auch mehrere zuckerfreie Colas und Limonaden in unserem Portfolio und weiten dieses Angebot sukzessive aus. Gegen den maßvollen Genuss einer Vita Cola oder Limonade ist nichts einzuwenden.“
In puncto Zucker setze man auf den verantwortungsvollen Konsum von Erfrischungsgetränken durch die Thüringer Verbraucher, schließlich habe man ein umfangreiches Mineralwasser-sortiment im Angebot, „das im Übrigen das Gros unseres jährlichen Getränkeabsatzes ausmacht“, so Heß, der auch versichert: „Unsere Werbung für Cola und Limonade richtet sich nicht explizit an Kinder. Im Gegenteil: Im
Rahmen unserer Aktion „Volle Pulle Konzentration“haben wir alljährlich verschiedenen Thüringer Schulen jeweils über vier Wochen kostenlos Mineralwasser zur Verfügung gestellt; pro Kind und Tag einen Liter. So konnten die Schüler sozusagen im Selbstversuch erkunden, wie sich ausreichendes und vor allem gesundes, weil kalorienfreies Trinken auf die Konzentration beim Lernen auswirkt.“
Und das zeigte offenbar Wirkung: „Der Anteil von Wasser als Getränk liegt bei den sechs- bis 17-jährigen Mädchen und Jungen bei etwa 60 Prozent“, weiß Lutz Hempel, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am SRH Wald-klinikum Gera. „Etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen trinken vorwiegend Säfte und ebenfalls nur 15 Prozent, vorwiegend Jungen, nehmen regelmäßig die süßen Limonaden zu sich. Milch, Tee und Kaffee spielen keine große Rolle. Es könnte also sein“, formuliert der Chefarzt vorsichtig, „dass die Zuckersteuer gar keinen so großen Erfolg bringt.“Es sei trotzdem vernünftig, über so eine Steuer nachzudenken, betont der Mediziner. „Die erwähnten 15 Prozent Limonadentrinker
sind ja keine Kleinigkeit.“Zudem könne es ja sein, dass übergewichtige Kinder öfter Cola und Brause trinken als der Durchschnitt. Das sei in der zugrundeliegenden Studie des Robert-kochinstituts zum Ernährungs- und Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen nicht erfasst. Die Studie habe aber gezeigt, so Lutz Hempel,
dass sich Kinder und Jugendliche inzwischen bewusster und gesünder ernähren und gar nicht mehr übermäßig viel gesüßte Getränke zu sich nehmen würden.
Es habe, bilanziert der Kinderarzt, ein Umdenken stattgefunden. „Es wird zudem weniger fettreich gegessen und noch nie haben sich so viele Kinder und Jugendliche vegan oder vegetarisch ernährt. Auch hat etwa jedes zweite übergewichtige Mädchen mindestens eine Diät absolviert, sich also selbstständig um eine Gewichtsreduktion bemüht. Das Bewusstsein ist also da.“
Das größte Problem ist aus der Sicht des Mediziners die mangelnde Bewegung. „Der Anteil derer, die sich mindestens eine Stunde am Tag bewegen, ist erschreckend gering.“
Die Tatsache, dass die zunehmend bewusstere und gesündere Ernährung nicht zur deutlichen Verbesserung der Gewichtsproblematik führt, läge vorwiegend daran, dass sich vor allem die Jugendlichen immer weniger bewegen und immer länger am Handy oder vor dem Computer sitzen. „Ganz schlimm ist es bei den pubertierenden Mädchen. Sie bewegen sich – salopp gesagt – überhaupt nicht mehr.“
Viele Jugendliche sitzen nur noch am Handy oder vor dem Computer. Pubertierende Mädchen bewegen sich – salopp gesagt – überhaupt nicht mehr. Lutz Hempel, Kinderarzt