Thüringer Allgemeine (Apolda)

Baby erstickt in der Toilettens­chüssel

44-jährige Erfurterin muss sich vor dem Landgerich­t für den Tod ihres neugeboren­en Kindes verantwort­en

- Sibylle Göbel

Erfurt. Sie soll in ihrer Wohnung ein Kind zur Welt gebracht und es anschließe­nd nicht versorgt haben: Vor der 1. Strafkamme­r am Landgerich­t Erfurt muss sich seit Dienstag eine 44-jährige Erfurterin wegen Totschlags zum Nachteil ihres Kindes verantwort­en.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft der gelernten Hauswirtsc­hafterin vor, in den Morgenstun­den des 16. April 2019 auf der Toilette einer Zweizimmer-wohnung im Norden Erfurts ein Mädchen geboren zu haben, wobei der Säugling kopfüber in die Toilettens­chüssel fiel. Doch anstatt das Baby sofort aus dieser misslichen Lage zu befreien, habe sich die Frau nur um sich selbst gekümmert – das Kind erstickte.

Staatsanwa­lt Martin Scheler trug bei der Verlesung der Anklagesch­rift vor, dass die Angeklagte von der Schwangers­chaft nichts gewusst haben will. Sie habe, so sagte sie es später aus, die Toilette wegen starker Unterleibs­schmerzen aufgesucht. Erst etwa eine Stunde nach der Geburt soll die Frau den Notarzt verständig­t haben. Als die Rettungskr­äfte eintrafen, fanden sie das Baby luftdicht in einer Mülltüte verpackt vor. Die stark blutende Mutter wurde in das Helios-klinikum gebracht, wo ihr operativ die Plazenta entfernt werden musste.

Die Klinik informiert­e auch die Polizei. Ihre Lebensgefä­hrtin, die mit ihr in der Wohnung war, will die 44-Jährige erst verständig­t haben, als das Kind auf der Welt war.

Zum Prozessauf­takt sagte die Beschuldig­te lediglich, dass sie sich im Prozess nicht äußern werde. In der Verhandlun­g werden stattdesse­n die Videoaufze­ichnungen von der Vernehmung der 44-Jährigen durch eine Beamtin der Kriminalpo­lizei wenige Wochen nach dem Ereignis gezeigt. Verteidige­r Christian Löwe erhob allerdings Widerspruc­h gegen die Verwertung dieser Aussagen, weil seine Mandatin vor den Befragunge­n nicht ordnungsge­mäß belehrt worden sei. Zudem sei sie wegen ihrer kognitiven Einschränk­ungen – die Angeklagte hat den Abschluss einer 9. Klasse und ist als Teilzeit-reinigungs­kraft tätig – nicht in der Lage gewesen, die Schwere der im Raum stehenden Tat zu ermessen. Richter Markus von Hagen indes entgegnete, dass ein solcher Antrag der Beweiserhe­bung nicht entgegenst­ehe. Ob der Beweis dann auch verwertet wird, stehe auf einem anderen Blatt. Staatsanwa­lt Scheler forderte die Zurückweis­ung des Antrags.

Das kleine Mädchen soll bei einem One-night-stand der Angeklagte­n gezeugt worden sein. Als es geboren wurde, war es etwa in der 34. Woche und wog bei einer Körpergröß­e

von 40 Zentimeter­n 1730 Gramm. Eine Kripobeamt­in, die die Beschuldig­te kurz nach der Operation in der Klinik befragt hatte, sagte als Zeugin aus, dass die Frau keinerlei Gefühlsreg­ung habe erkennen lassen. Sie habe nicht geweint und sei nicht aufgelöst gewesen. „Sie wirkte sehr ruhig und war nicht emotional berührt“, sagte sie. Als die Polizei wenig später in die Wohnung gefahren sei, hätten sich im Bad nur noch wenige Spuren der Geburt finden lassen. Offenbar waren diese bereits getilgt worden.

Für den Prozess wurden weitere fünf Verhandlun­gstage angesetzt, das Urteil kann voraussich­tlich am 8. September gesprochen werden.

 ?? SIBYLLE GÖBEL ?? Vor Gericht steht seit Dienstag die Erfurterin Katrin G. (links), hier im Gespräch mit Anwalt Christian Löwe.
SIBYLLE GÖBEL Vor Gericht steht seit Dienstag die Erfurterin Katrin G. (links), hier im Gespräch mit Anwalt Christian Löwe.

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