Bundeswehr soll Putin abschrecken
Nato will weitere Brigaden an der Ostgrenze stationieren – Deutschland könnte Vorreiterrolle spielen
Brüssel. Seit Beginn des Ukrainekrieges herrscht in Osteuropa eine große Sorge: Will der russische Präsident Wladimir Putin nach der Ukraine auch weitere Länder angreifen, Polen etwa oder die baltischen Nachbarn? So befürchtet es nicht nur der polnische Premier Mateusz Morawiecki. Selbst aus der Ukraine kommt eine Warnung: „Wenn es uns nicht mehr gibt, werden Lettland, Litauen und Estland die Nächsten sein“, sagt Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Putin gießt jetzt gezielt Öl ins Feuer und erhebt Anspruch auf einen russischen Herrschaftsbereich, wie ihn einst Zar Peter der Große vor drei Jahrhunderten regierte: Dafür müsste sich Russland das Baltikum, Finnland und Teile Polens einverleiben. Peter der Große habe seinerzeit Land zurückgeholt, meint Putin. „Jetzt sind wir an der Reihe, das Land zurückzuholen.“Im russischen Parlament hat der Putinunterstützer Jewgeni Fjodorow passend dazu einen Gesetzentwurf zur Aberkennung der Unabhängigkeit Litauens eingebracht.
Die Drohungen hinterlassen ihre Spuren in Osteuropa. Neun östliche Nato-staaten fordern jetzt alarmiert eine massive Stärkung der sogenannten Nato-ostflanke.
Kurzfristig ist Russland nach Einschätzung westlicher Militärs zwar keine Gefahr: Ein Großteil der verfügbaren Streitkräfte ist im Krieg gegen die Ukraine gebunden, die Verluste an Soldaten und Material sind hoch, für weitere militärische Abenteuer fehlen die Kapazitäten. Aber, heißt es im Nato-hauptquartier in Brüssel: „Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, wenn wir die russische Armee auf Dauer abschreiben würden.“
Längst hat die Nato reagiert. Im Eiltempo hat die Allianz die Ostgrenze massiv aufgerüstet wie noch nie seit Ende des Kalten Krieges. Die Zahl der Soldaten unter direktem Nato-kommando an der östlichen Flanke hat sich auf 40.000 gleich verzehnfacht. In allen acht Grenzstaaten stehen sogenannte Nato-battlegroups, vor dem Krieg waren es nur vier. Zudem ist die schnelle Eingreiftruppe der Allianz mit bis zu 40.000 Soldaten in Alarmbereitschaft. Alles in allem befinden sich zwischen Ostsee und Schwarzem Meer nun 330.000 Soldaten aufseiten des Westens, dazu hat die Nato 130 Flugzeuge und 150 Kriegsschiffe im Einsatz.
Auch nach einem möglichen, vielleicht nur vorläufigen Ende des Ukraine-krieges bleibt die Bedrohung nach Einschätzung westlicher Militärs für viele Jahre oder Jahrzehnte
hoch. Bei einem Nato-gipfeltreffen in zwei Wochen in Madrid wollen die 30 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer deshalb die dauerhafte Verstärkung der Ostgrenze besiegeln und ein klares Bekenntnis zur massiven Abschreckung Russlands und zur Bündnissolidarität abgeben.
Russland gilt nun offiziell als Sicherheitsgefahr, was auch eine massive Aufrüstung der Luftabwehr vor allem gegen Kurz- und Mittelstreckenraketen nach sich ziehen soll.
Beschlossen werden soll aber vor allem der Aufbau von zusätzlichen Brigaden mit jeweils 3000 bis 5000 Soldaten in den Nato-ostländern.
Nato könnte bald weitere 40.000 Kräfte in Russlands Nähe haben Deutschland könnte eine Vorreiterrolle spielen: Mit den Plänen für eine solche Brigade in Litauen war Kanzler Olaf Scholz (SPD) schneller als andere Verbündete. Derzeit führt die Bundeswehr in Litauen ein Nato-bataillon mit 1600 Soldaten, davon 1000 aus Deutschland. Zu- sätzlich soll die Bundeswehr nun eine Brigade stellen, der nach vor- läufigen Überlegungen etwa 3000 deutsche Soldaten angehören wür- den. Bis zur Hälfte der Soldaten, einschließlich schwerer Ausrüstung und eines Kommando-brücken- kopfes, würden dann in Litauen eingesetzt.
Die anderen Soldaten würden erst im Spannungsfall aus Deutsch- land ins Krisengebiet verlegt. Ähnli- che Pläne gibt es in unterschiedli- chen Reifestadien für die gesamte Ostflanke: Gibt der Gipfel in Mad- rid grünes Licht, wird die Nato bald zusätzlich bis zu 40.000 Soldaten in Russlands Nähe stationieren oder in Einsatzbereitschaft halten.
Das Konzept würde allerdings ein Sicherheitsabkommen mit Mos- kau von 1997 tangieren: In der Nato-russland-grundakte hatte die Allianz zugesagt, nicht dauer- haft substanzielle Kampftruppen in den östlichen Nato-ländern zu stationieren. Die Nato wolle den Vertrag nicht aufkündigen, aber lasse sich auch nicht daran hindern, das Notwendige zu tun, heißt es.
Auf die Stationierung von Atomwaffen an der Ostgrenze will das Bündnis aber nach Angaben von Nato-diplomaten vorerst weiter verzichten, auch diese Zusage war Teil des Abkommens.
Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, wenn wir die russische Armee auf Dauer abschreiben würden. Stimme aus dem Nato-hauptquartier