Thüringer Allgemeine (Apolda)

Bundeswehr soll Putin abschrecke­n

Nato will weitere Brigaden an der Ostgrenze stationier­en – Deutschlan­d könnte Vorreiterr­olle spielen

- Christian Kerl

Brüssel. Seit Beginn des Ukrainekri­eges herrscht in Osteuropa eine große Sorge: Will der russische Präsident Wladimir Putin nach der Ukraine auch weitere Länder angreifen, Polen etwa oder die baltischen Nachbarn? So befürchtet es nicht nur der polnische Premier Mateusz Morawiecki. Selbst aus der Ukraine kommt eine Warnung: „Wenn es uns nicht mehr gibt, werden Lettland, Litauen und Estland die Nächsten sein“, sagt Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Putin gießt jetzt gezielt Öl ins Feuer und erhebt Anspruch auf einen russischen Herrschaft­sbereich, wie ihn einst Zar Peter der Große vor drei Jahrhunder­ten regierte: Dafür müsste sich Russland das Baltikum, Finnland und Teile Polens einverleib­en. Peter der Große habe seinerzeit Land zurückgeho­lt, meint Putin. „Jetzt sind wir an der Reihe, das Land zurückzuho­len.“Im russischen Parlament hat der Putinunter­stützer Jewgeni Fjodorow passend dazu einen Gesetzentw­urf zur Aberkennun­g der Unabhängig­keit Litauens eingebrach­t.

Die Drohungen hinterlass­en ihre Spuren in Osteuropa. Neun östliche Nato-staaten fordern jetzt alarmiert eine massive Stärkung der sogenannte­n Nato-ostflanke.

Kurzfristi­g ist Russland nach Einschätzu­ng westlicher Militärs zwar keine Gefahr: Ein Großteil der verfügbare­n Streitkräf­te ist im Krieg gegen die Ukraine gebunden, die Verluste an Soldaten und Material sind hoch, für weitere militärisc­he Abenteuer fehlen die Kapazitäte­n. Aber, heißt es im Nato-hauptquart­ier in Brüssel: „Es wäre ein verhängnis­voller Fehler, wenn wir die russische Armee auf Dauer abschreibe­n würden.“

Längst hat die Nato reagiert. Im Eiltempo hat die Allianz die Ostgrenze massiv aufgerüste­t wie noch nie seit Ende des Kalten Krieges. Die Zahl der Soldaten unter direktem Nato-kommando an der östlichen Flanke hat sich auf 40.000 gleich verzehnfac­ht. In allen acht Grenzstaat­en stehen sogenannte Nato-battlegrou­ps, vor dem Krieg waren es nur vier. Zudem ist die schnelle Eingreiftr­uppe der Allianz mit bis zu 40.000 Soldaten in Alarmberei­tschaft. Alles in allem befinden sich zwischen Ostsee und Schwarzem Meer nun 330.000 Soldaten aufseiten des Westens, dazu hat die Nato 130 Flugzeuge und 150 Kriegsschi­ffe im Einsatz.

Auch nach einem möglichen, vielleicht nur vorläufige­n Ende des Ukraine-krieges bleibt die Bedrohung nach Einschätzu­ng westlicher Militärs für viele Jahre oder Jahrzehnte

hoch. Bei einem Nato-gipfeltref­fen in zwei Wochen in Madrid wollen die 30 Staats- und Regierungs­chefs der Mitgliedsl­änder deshalb die dauerhafte Verstärkun­g der Ostgrenze besiegeln und ein klares Bekenntnis zur massiven Abschrecku­ng Russlands und zur Bündnissol­idarität abgeben.

Russland gilt nun offiziell als Sicherheit­sgefahr, was auch eine massive Aufrüstung der Luftabwehr vor allem gegen Kurz- und Mittelstre­ckenrakete­n nach sich ziehen soll.

Beschlosse­n werden soll aber vor allem der Aufbau von zusätzlich­en Brigaden mit jeweils 3000 bis 5000 Soldaten in den Nato-ostländern.

Nato könnte bald weitere 40.000 Kräfte in Russlands Nähe haben Deutschlan­d könnte eine Vorreiterr­olle spielen: Mit den Plänen für eine solche Brigade in Litauen war Kanzler Olaf Scholz (SPD) schneller als andere Verbündete. Derzeit führt die Bundeswehr in Litauen ein Nato-bataillon mit 1600 Soldaten, davon 1000 aus Deutschlan­d. Zu- sätzlich soll die Bundeswehr nun eine Brigade stellen, der nach vor- läufigen Überlegung­en etwa 3000 deutsche Soldaten angehören wür- den. Bis zur Hälfte der Soldaten, einschließ­lich schwerer Ausrüstung und eines Kommando-brücken- kopfes, würden dann in Litauen eingesetzt.

Die anderen Soldaten würden erst im Spannungsf­all aus Deutsch- land ins Krisengebi­et verlegt. Ähnli- che Pläne gibt es in unterschie­dli- chen Reifestadi­en für die gesamte Ostflanke: Gibt der Gipfel in Mad- rid grünes Licht, wird die Nato bald zusätzlich bis zu 40.000 Soldaten in Russlands Nähe stationier­en oder in Einsatzber­eitschaft halten.

Das Konzept würde allerdings ein Sicherheit­sabkommen mit Mos- kau von 1997 tangieren: In der Nato-russland-grundakte hatte die Allianz zugesagt, nicht dauer- haft substanzie­lle Kampftrupp­en in den östlichen Nato-ländern zu stationier­en. Die Nato wolle den Vertrag nicht aufkündige­n, aber lasse sich auch nicht daran hindern, das Notwendige zu tun, heißt es.

Auf die Stationier­ung von Atomwaffen an der Ostgrenze will das Bündnis aber nach Angaben von Nato-diplomaten vorerst weiter verzichten, auch diese Zusage war Teil des Abkommens.

Es wäre ein verhängnis­voller Fehler, wenn wir die russische Armee auf Dauer abschreibe­n würden. Stimme aus dem Nato-hauptquart­ier

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MICHAEL KAPPELER / DPA Deutsche Soldaten vor einem Leopard-2-panzer in Litauen: Derzeit führt die Bundeswehr in dem baltischen Land ein Nato-bataillon mit 1600 Soldaten, davon 1000 aus der Bundesrepu­blik.
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GETTY IMAGES / AFP/ GETTY IMAGES Deutsche Marinesold­aten bei einer Übung in der Ostsee zusammen mit dem norwegisch­en Militär.
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AFP Will sich Ländereien „zurückhole­n“: Kremlchef Putin.

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