Taub trifft stumm
Pascal Elbé dreht und spielt „Schmetterlinge im Ohr“als Komödie zur Verständigungskrise
Weimar. Ihr Nachbar auf Zeit geht Claire buchstäblich auf den Wecker. Denn Antoine lässt denselben allmorgendlich schrillen, hört ihn aber nicht. Claire hört ihn umso mehr und ist genervt. Antoine bekommt auch nicht mit, wenn seine Bettfreundin Florence wissen will, was ihn scharf macht, oder wenn die Schule zum Probealarm ruft. Dafür dreht er die Stereoanlage für „La Traviata“bis zum Anschlag auf.
Kurz, Antoine, Geschichtslehrer Anfang Fünfzig, hört plötzlich schwer. Allerdings nicht nur physisch. Sonst wäre dieser Film nach einer Viertelstunde vorbei: nachdem er kleine Hörgeräte bekommt, die er fünf Minuten später aber erstmal wieder rausnimmt. Plötzlich ist alles viel zu laut. Wenn die Kollegin, mit der er auf Kriegsfuß steht, Kartoffelchips knabbert, kracht’s im Ohr. Wenn jemand die Mülltonne zufallen lässt, knallt’s wie ein Schuss. Diese neue Hölle ist ihm dann aber doch lieber als die Stille.
Der französische Schauspieler und Drehbuchautor Pascal Elbé kennt das. Er ist selbst schwerhörig. Nun hat er seine Erfahrungen in eine kleine leise Kinokomödie verwandelt, mit sich selbst darin als männlichem Hauptdarsteller. Es ist sein dritter Spielfilm als Regisseur.
„Schmetterlinge im Ohr“heißt er in der deutschen Fassung, die an diesem Donnerstag auch in sechs Thüringer Lichtspielhäusern startet. Dieser Titel spielt natürlich mit den Schmetterlingen im Bauch, die hier ihren für immer verschlossen geglaubten Raum bekommen. Der Originaltitel spielt anders: mit „s’entendre“zwischen sich (zu-)hören, verstehen und verständigen. „On est fait pour s’entendre“bedeutet: Wir sind füreinander gemacht.
„Wir“– das sind Antoine und Claire (Sandrine Kiberlain), zu Beginn wie Katz und Hund sowie über Umwege und Missverständnisse einer klassischen Komödienstruktur hinweg am Ende ein Herz und eine Seele. Sie fetzen und sie küssen sich. Als Mittlerin und Bindeglied funktioniert dabei Violette (Manon Lemoine), das Töchterchen der aus der Bahn geworfenen Landschaftsgärtnerin Claire, mit dem sie vorübergehend bei der Schwester in Paris lebt. Der Ehemann und Vater starb bei einem Autounfall; eine Gespielin saß auf der Beifahrerseite.
Alle Konflikte lösen sich schnell in Wohlgefallen auf
Seitdem spricht Violette kein Wort mehr, schreit sich dafür aber nächtens durch Albträume. Es begegnet hier also, als besondere Pointe, ein fast Tauber einer Verstummten. Und zwischen ihnen gelingt wortlos, aber eben doch nicht sprachlos, was ansonsten allüberall ein Problem ist: die Kommunikation.
Das zeitigt einige schöne Bilder und Szenen stillen Einvernehmens. Sie sind der Kontrapunkt in den
Kommunikationskrisen, die Elbés konventionell gebauter Film universell machen will. Dass sein Antoine das Gefühl erzeugt, man rede bei ihm gegen Wände, liegt nicht nur an seinem Gehör, sondern auch an der Einstellung eines nach gescheiterter Ehe zynisch gewordenen Eigenbrötlers. Konflikte werden angerissen, lösen sich aber schnell in Wohlgefallen auf, noch ehe man zu deren Kern hätte vordringen können.
So steckt zwar in Antoines Verhältnis zu seinen Schülern, die sich ungehört und unverstanden fühlen, sozialer Zündstoff, gleichsam pars pro toto angerührt für den Zustand insbesondere der französischen Gesellschaft, in der er sich nicht nur bei Wahlen entlädt. Hier aber verpufft das bald und wird weggelächelt.
Und Antoines demente Mutter (Martha Villalonga) ist hier am Ende
eben doch nur die komische Alte, allerdings mit hellen Momenten: „Dein Vater“, sagt sie einmal, „war vielleicht nicht taub, aber er hatte nie Interesse an anderen Menschen. Ihr beide seid gleich!“
„Schmetterlinge im Ohr“erzählt unterm Strich vom Hadern mit dem Älterwerden und Liebe in den fortgeschrittenen Jahren, vertuschten Handicaps und Schwierigkeiten, die Vergangenheit loszulassen (wozu Christophe „Disco“Mincks englischsprachige Kompositionen einen eigenen „Let it go“-song beisteuern). Ein Film, den man immerhin sehr mögen kann. Auf den Wecker geht er uns jedenfalls nicht.
Filmstart am 23. Juni: Erfurt (Kinolub am Hirschlachufer), Gera (Metropol), Gotha (Cineplex), Jena (Kino im Schillerhof), Eisenach (Capitol), Weimar (Lichthaus)