Warum es Schulen an Digital-kompetenz fehlt
Deutschland schneidet im Europa-vergleich besonders schlecht ab. Firmen beklagen Wissenslücken bei Absolventen
Berlin. Texte, Präsentationen oder Audio-aufnahmen erstellen, persönliche Daten schützen oder Probleme gemeinschaftlich im digitalen Raum lösen: Fähigkeiten, die in der Arbeitswelt gefragter sind denn je, werden an Deutschlands Schulen immer noch sehr begrenzt vermittelt. Das ist das Ergebnis der aktuellen Fida-untersuchung, einer Meta-analyse, die Daten aus mehreren nationalen Studien in Europa ausgewertet hat. Demnach haben derzeit weder Schülerinnen oder Schüler noch ihre künftigen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Vertrauen in die digitalen Kompetenzen von Absolventen.
„Es gilt, Ängste ab- und Kompetenz aufzubauen“
Deutschland ist den Angaben zufolge zusammen mit Portugal im europäischen Vergleich Schlusslicht bei der Internetanbindung von Schulen. Hinzu kommt: Nur neun Prozent der deutschen Lehrerinnen und Lehrer stimmen dem Einsatz digitaler Medien im Unterricht „voll und ganz“zu. Zum Vergleich: In Dänemark sind es 64 Prozent. Und: In Deutschland arbeiten nur zwölf
Prozent der Schüler mindestens einmal pro Woche online zusammen. In Dänemark sind es 86 Prozent. Hauptgrund für die Unterschiede: die frühere Digitalisierung des Schulwesens in Nordeuropa.
Sven Kommer, Professor für Allgemeine Didaktik mit dem Schwerpunkt Technik- und Medienbildung an der RWTH Aachen, sieht die Verantwortung für die Defizite auch bei den Lehrenden und deren Ausbildung: „Keine Lehrerschaft ist so bildungsresistent, was IT angeht, wie die deutsche“, sagt er. Er fordert: „Die Lehreraus- und -weiterbildung muss sich ändern: Es gilt, Ängste abund Kompetenz aufzubauen bei werdenden wie bei schon aktiven Lehrkräften – nur so gelingt die Abkehr von der German Angst hin zur Begeisterung für neue, lernfördernde Technologien.“
Was aber heißt das eigentlich – medienkompetent? In vielen Köpfen ist verankert, dass sogenannte Digital Natives, also junge Menschen, die mit Internet und Co. aufwachsen, ganz von selbst Digitalkompetenz erwerben. Dem aber sei nicht so, sagt Kommer. „Es geht einerseits darum, Programme zu bedienen, und andererseits zu verstehen, wie die Technik hinter der Digitalisierung
in groben Zügen funktioniert. Also: Wie funktioniert das Netz? Was bedeuten Cookies?“, so Kommer. Hinzu komme die Fähigkeit des Hinterfragens, der Medienkritik und das Wissen darum, wie sich die Digitalisierung auf die Gesellschaft auswirke.
Hier offenbart die Fida-untersuchung ein weiteres Problem: Digitale Medien werden in den Schulen meist nur für kleine Forschungsprojekte oder Online-recherchen genutzt. Wichtige digitale Schlüsselkompetenzen wie die Online-zusammenarbeit
kommen dagegen selten zum Einsatz. Und das nicht nur in Deutschland, wo das nur in etwas mehr als einer von zehn Schulen geschieht: Auch in Frankreich (21 Prozent) oder Italien (15 Prozent) gibt es Defizite.
Bei der Vermittlung von verantwortungsvollem Verhalten im Internet sieht es zwar deutlich besser aus, aber auch dort gibt es Luft nach oben: Während dies eine Stärke in Großbritannien (95 Prozent) ist, müssen andere Länder hier nachbessern. In Deutschland etwa fühlen sich nur knapp drei von vier Schülerinnen und Schülern gut geschult (74 Prozent).
Eine weitere Erkenntnis der Studie ist, dass Schülerinnen und Schüler ihre Digitalkompetenz überwiegend außerhalb der Schule erlernen, in vielen Fällen ohne Anleitung und damit ohne Filter. Während nur 23 Prozent der Schüler digitale Medien in der Schule nutzen, tun das 92 Prozent außerhalb.
In Summe führt all das dazu, dass die deutschen Unternehmen laut Studie große Wissenslücken in den Bereichen It-sicherheit, Inhalte und Datenschutz bei den Absolventen der Abschlussklassen wahrnehmen und weder Schüler noch Firmen den digitalen Fähigkeiten von Schulabgängern vertrauen.
Auch Christian Swertz, Professor für Medienpädagogik an der Uni Wien, sieht im Bereich der digitalen Kompetenz Raum für Verbesserungen in den Schulen: „Die meisten Initiativen zur Computerkompetenz im europäischen Bildungssystem konzentrieren sich auf den Umgang mit Computern, versäumen es aber, Kompetenzen darüber hinaus zu vermitteln, die das Leben und die Arbeitswelt heute voraussetzen“, sagt er. „Schüler sollten für den Arbeitsplatz relevante Medien kennenlernen, lernen, Inhalte zu erstellen – in einem interaktiven, kooperativen und individualisierten Klassenzimmer.“Dafür genüge es nicht, die Schulen mit Wlan und Hardware auszustatten. Die Lehrkräfte müssten digitale Kompetenzen in ihre Lehrpläne einbauen, wozu sie selbst Kompetenzen in digitaler Didaktik erwerben müssten. Sven Kommer sagt: „Das fängt an, wenn ich mit Filmmaterial arbeiten will. Muss ich den Film zentral projizieren? Oder drücke ich Lerngruppen jeweils ein Tablet in die Hand und lasse sie andere Beobachtungen machen?“So interagierten die Lernenden wirklich. Und lernten nebenbei, „dass es so viel mehr gibt als nur eine passive Rezeption“.
Keine Lehrerschaft ist so bildungsresistent, was IT angeht, wie die deutsche. Sven Kommer Professor für Didaktik