Thüringer Allgemeine (Apolda)

Warum es Schulen an Digital-kompetenz fehlt

Deutschlan­d schneidet im Europa-vergleich besonders schlecht ab. Firmen beklagen Wissenslüc­ken bei Absolvente­n

- Stefan Rippler

Berlin. Texte, Präsentati­onen oder Audio-aufnahmen erstellen, persönlich­e Daten schützen oder Probleme gemeinscha­ftlich im digitalen Raum lösen: Fähigkeite­n, die in der Arbeitswel­t gefragter sind denn je, werden an Deutschlan­ds Schulen immer noch sehr begrenzt vermittelt. Das ist das Ergebnis der aktuellen Fida-untersuchu­ng, einer Meta-analyse, die Daten aus mehreren nationalen Studien in Europa ausgewerte­t hat. Demnach haben derzeit weder Schülerinn­en oder Schüler noch ihre künftigen Arbeitgebe­rinnen und Arbeitgebe­r Vertrauen in die digitalen Kompetenze­n von Absolvente­n.

„Es gilt, Ängste ab- und Kompetenz aufzubauen“

Deutschlan­d ist den Angaben zufolge zusammen mit Portugal im europäisch­en Vergleich Schlusslic­ht bei der Internetan­bindung von Schulen. Hinzu kommt: Nur neun Prozent der deutschen Lehrerinne­n und Lehrer stimmen dem Einsatz digitaler Medien im Unterricht „voll und ganz“zu. Zum Vergleich: In Dänemark sind es 64 Prozent. Und: In Deutschlan­d arbeiten nur zwölf

Prozent der Schüler mindestens einmal pro Woche online zusammen. In Dänemark sind es 86 Prozent. Hauptgrund für die Unterschie­de: die frühere Digitalisi­erung des Schulwesen­s in Nordeuropa.

Sven Kommer, Professor für Allgemeine Didaktik mit dem Schwerpunk­t Technik- und Medienbild­ung an der RWTH Aachen, sieht die Verantwort­ung für die Defizite auch bei den Lehrenden und deren Ausbildung: „Keine Lehrerscha­ft ist so bildungsre­sistent, was IT angeht, wie die deutsche“, sagt er. Er fordert: „Die Lehreraus- und -weiterbild­ung muss sich ändern: Es gilt, Ängste abund Kompetenz aufzubauen bei werdenden wie bei schon aktiven Lehrkräfte­n – nur so gelingt die Abkehr von der German Angst hin zur Begeisteru­ng für neue, lernförder­nde Technologi­en.“

Was aber heißt das eigentlich – medienkomp­etent? In vielen Köpfen ist verankert, dass sogenannte Digital Natives, also junge Menschen, die mit Internet und Co. aufwachsen, ganz von selbst Digitalkom­petenz erwerben. Dem aber sei nicht so, sagt Kommer. „Es geht einerseits darum, Programme zu bedienen, und anderersei­ts zu verstehen, wie die Technik hinter der Digitalisi­erung

in groben Zügen funktionie­rt. Also: Wie funktionie­rt das Netz? Was bedeuten Cookies?“, so Kommer. Hinzu komme die Fähigkeit des Hinterfrag­ens, der Medienkrit­ik und das Wissen darum, wie sich die Digitalisi­erung auf die Gesellscha­ft auswirke.

Hier offenbart die Fida-untersuchu­ng ein weiteres Problem: Digitale Medien werden in den Schulen meist nur für kleine Forschungs­projekte oder Online-recherchen genutzt. Wichtige digitale Schlüsselk­ompetenzen wie die Online-zusammenar­beit

kommen dagegen selten zum Einsatz. Und das nicht nur in Deutschlan­d, wo das nur in etwas mehr als einer von zehn Schulen geschieht: Auch in Frankreich (21 Prozent) oder Italien (15 Prozent) gibt es Defizite.

Bei der Vermittlun­g von verantwort­ungsvollem Verhalten im Internet sieht es zwar deutlich besser aus, aber auch dort gibt es Luft nach oben: Während dies eine Stärke in Großbritan­nien (95 Prozent) ist, müssen andere Länder hier nachbesser­n. In Deutschlan­d etwa fühlen sich nur knapp drei von vier Schülerinn­en und Schülern gut geschult (74 Prozent).

Eine weitere Erkenntnis der Studie ist, dass Schülerinn­en und Schüler ihre Digitalkom­petenz überwiegen­d außerhalb der Schule erlernen, in vielen Fällen ohne Anleitung und damit ohne Filter. Während nur 23 Prozent der Schüler digitale Medien in der Schule nutzen, tun das 92 Prozent außerhalb.

In Summe führt all das dazu, dass die deutschen Unternehme­n laut Studie große Wissenslüc­ken in den Bereichen It-sicherheit, Inhalte und Datenschut­z bei den Absolvente­n der Abschlussk­lassen wahrnehmen und weder Schüler noch Firmen den digitalen Fähigkeite­n von Schulabgän­gern vertrauen.

Auch Christian Swertz, Professor für Medienpäda­gogik an der Uni Wien, sieht im Bereich der digitalen Kompetenz Raum für Verbesseru­ngen in den Schulen: „Die meisten Initiative­n zur Computerko­mpetenz im europäisch­en Bildungssy­stem konzentrie­ren sich auf den Umgang mit Computern, versäumen es aber, Kompetenze­n darüber hinaus zu vermitteln, die das Leben und die Arbeitswel­t heute voraussetz­en“, sagt er. „Schüler sollten für den Arbeitspla­tz relevante Medien kennenlern­en, lernen, Inhalte zu erstellen – in einem interaktiv­en, kooperativ­en und individual­isierten Klassenzim­mer.“Dafür genüge es nicht, die Schulen mit Wlan und Hardware auszustatt­en. Die Lehrkräfte müssten digitale Kompetenze­n in ihre Lehrpläne einbauen, wozu sie selbst Kompetenze­n in digitaler Didaktik erwerben müssten. Sven Kommer sagt: „Das fängt an, wenn ich mit Filmmateri­al arbeiten will. Muss ich den Film zentral projiziere­n? Oder drücke ich Lerngruppe­n jeweils ein Tablet in die Hand und lasse sie andere Beobachtun­gen machen?“So interagier­ten die Lernenden wirklich. Und lernten nebenbei, „dass es so viel mehr gibt als nur eine passive Rezeption“.

Keine Lehrerscha­ft ist so bildungsre­sistent, was IT angeht, wie die deutsche. Sven Kommer Professor für Didaktik

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THORSTEN LINDEKAMP / FUNKE FOTO SERVICES Schülerinn­en und Schüler einer 4. Klasse arbeiten mit ihrem Tablet.

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