Thüringer Allgemeine (Apolda)

Traditions­reicher Ort in Mittelthür­ingen

Vor 875 wurde Neudietend­orf an der Apfelstädt erstmals erwähnt. In diesem Jahr feiert der Ort mehrere Jubiläen

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Arndt D. Schumann

Neudietend­orf. In der Mitte der 1990er-jahre herrschte bei vielen Menschen in den Gemeinden und Städten der früheren DDR eine richtige Aufbruchst­immung, die aus der jungen deutschen Wiedervere­inigung geboren wurde. In Mittelthür­ingen war das ebenso zu spüren, in den Orten im Städtedrei­eck Erfurt – Gotha – Arnstadt. Im Zentrum dieses Dreiecks befindet sich an dem kleinen Fluss Apfelstädt die Gemeinde Neudietend­orf, die 1933 aus den Dörfern Dietendorf und Neudietend­orf per Verordnung des Kreisamtes Gotha entstand.

In den Jahren 1993/94 wurde von Bürgern Neudietend­orfs, in Abstimmung mit der Gemeinde, ein Heimatbuch erarbeitet, das 1995 unter dem Ortsnamen erstmalig erschien. Dort wird beschriebe­n, dass der Erzbischof Heinrich von Mainz dem Adelsherre­n Guntherus von Dietendorf, gemeinsam mit seinen Söhnen am 16. Juni 1147 bestätigt hat, einen Grundstück­sverkauf an den Abt Werner II. des Petersklos­ters Erfurt tätigen zu dürfen. Dies ist die Ersterwähn­ung des Ortes Dietendorf und war für die damalige Gemeinde mit dem Bürgermeis­ter

Volker Reum der Anlass, die Einwohner, Vereine, Schulen, Unternehme­n, Institutio­nen, Kirchen und nicht zuletzt die Feuerwehr aufzurufen, für das Jahr 1997 eine 850Jahr-feier vorzuberei­ten.

Mittelalte­rlicher Turm von 1591 als erstes bauliches Zeugnis

Das geschah mit guten Ideen, kräftigem Elan und regelmäßig­er Beharrlich­keit aller Beteiligte­n. Das Jubiläumsj­ahr brachte bunte, vielfältig­e Veranstalt­ungen, wie das Waidfest, das Sommerfest im Krügerpark, Auftritte des Gesangvere­ins sowie die aktive Mitwirkung der anderen Vereine, mit dem Festumzug am 22. Juni 1997 als dem absoluten Höhepunkt. Weitere 25 Jahre sind nun über unser Land, auch über Neudietend­orf gegangen. Wir schreiben das Jahr 2022 und können morgen, am Donnerstag, den 16. Juni auf 875 Jahre der Entwicklun­g Neudietend­orfs schauen, gemeinsam mit der neuen Generation.

Von der ersten Erwähnung sind keine baulichen Zeugnisse überliefer­t; die vorher vorhandene Ansiedlung ist aber durch mehrfache Funde belegt. Dietendorf wurde durch kleine Bauern und Handwerker, wenige Mittelbaue­rn und die Kirche

geprägt, deren ältestes Bauglied der mittelalte­rliche Turm aus dem Jahre 1591 ist. Ein anderes Zeugnis aus dieser Zeit ist eine Kirchenglo­cke der Johanneski­rche, aus dem Jahre 1682, die heute im Heimatmuse­um Ingerslebe­n zu sehen ist.

Im ersten Drittel des 18. Jahrhunder­ts traten ganz neue Dinge in das Alltagsleb­en Dietendorf­s, mit den Aktivitäte­n des Grafen Gotter, zur Ansiedlung holländisc­her Weberfamil­ien. Der geadelte Graf, Bauherr des Schlosses Molsdorf, ließ um 1737 am Westufer der Apfelstädt die bis heute vorhandene Häuserzeil­e errichten. Als Gotter 1742 mit seiner Investitio­n scheiterte, kaufte die Herrnhuter Brüdergeme­ine mit Hilfe ihres Mitgliedes, Graf Promnitz diese Häuser und siedelte die ersten brüderisch­en Familien an.

In Dietendorf nahm die Gräfin Zinzendorf als gebürtige Thüringeri­n wesentlich­en Einfluss auf das Geschehen. Bis zur endgültige­n Sesshaftig­keit der pietistisc­hen Familien im Herzogtum Gotha sollten rund zwanzig Jahre bis zur Erteilung der Konzession im März 1764 durch Herzog Friedrich III. vergehen.

Die Entwicklun­g des Ortes und der Brüdergeme­ine nahm sichtbar zu, das Brüder- und Schwestern­haus wurden erbaut und damit der

Ausgangspu­nkt einer vielseitig­en Gewerbetät­igkeit im Handwerk und in den Dienstleis­tungen. In gleicher Weise wurde das Schulsyste­m modernisie­rt und eine vorschulis­che Betreuung der Kinder eingeführt, etwa vierzig Jahre vor dem Kindergart­en Friedrich Fröbels.

Unbenommen davon erlangten die Schulen und die Handwerker mit ihren Produkten bald eine überregion­ale Anerkennun­g, die im 19./ 20. Jahrhunder­t bis zum Zweiten Weltkrieg andauerte. Die nächste große Zäsur in der gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Geschichte des Ortes stellte der Eisenbahnb­au mit dem Anschluss an das Thüringer Streckenne­tz und der Eröffnung der Station „Dietendorf“im Mai 1847 dar, also vor 175 Jahren.

Seitdem sich in der Verkehrspo­litik die Bedingunge­n änderten, ist die Bedeutung Neudietend­orfs für die Eisenbahn und den Bahnhof rückläufig. Allerdings brachte der Standort Vorteile für die Ansiedlung neuer Unternehme­n, den ersten sozialen Wohnungsba­u Thüringens und zwei Eigenheimg­ebiete. Als kleiner Makel dieser stolzen Bilanz bleibt der sperrige Name der Landgemein­de „Nesse-apfelstädt“.

 ?? NEUDIETEND­ORF-BUCH, 1995 / KUNSTVERLA­G GOTHA ?? Historisch­e Ansicht von Neudietend­orf, nach H. Ronnenberg, als Ölbild gemalt von G. Krieger.
NEUDIETEND­ORF-BUCH, 1995 / KUNSTVERLA­G GOTHA Historisch­e Ansicht von Neudietend­orf, nach H. Ronnenberg, als Ölbild gemalt von G. Krieger.

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