Drill und Druck für die große Show
Freundinnen treffen, Sprüche ins Poesiealbum schreiben, Reitunterricht, Lesen oder vielleicht Tanzen lernen? Es gibt viele Dinge, wie ein elfjähriges Mädchen eine unbeschwerte Kindheit verbringen kann. Bei Olympia um die begehrten Medaillen ringen, gehört eher nicht dazu. Aber die Britin Cecilia
Colledge war genau in jenem Alter, als sie 1932 bei den Winterspielen in Lake Placid im Eiskunstlauf auf Rang acht landete.
Dass schon Kinder unter Drill und Druck auf Erfolg getrimmt werden, damit soll jetzt Schluss sein. Es war keine Überraschung, als vor ein paar Tagen der Eislauf-weltverband beschlossen hat, schrittweise das Mindestalter auf 17 Jahre anzuheben. Für viele aber greift jene Beschränkung nach wie vor zu kurz.
Es brauchte erst den Skandal um das russische Wunderkind Kamila Walijewa bei den Winterspielen vor in Peking, bis der Weltverband reagierte. Erst wurde der 15-Jährigen eine positive Dopingprobe nachgewiesen. Die Sportwelt schaute – erst bestürzt, dann entgeistert und angewidert – zu, wie sie stürzte, weinend das Eis verließ und schließlich von ihrer unerbittlichen Trainerin Eteri Tutberidse mit einem Blick der Verachtung gestraft wurde.
Der öffentliche Druck ist die eine Seite. Aber was passiert eigentlich darüber hinaus mit dem Körper eines Kindes, dass – mitten in der Pubertät – zu sportlichen Höchstleistungen getrieben wird? Ganz gesund kann es gewiss nicht sein, wenn 15-jährige Eiskunstläuferinnen reihenweise mit Vierfachsprünge durch die Luft wirbeln. Sie werden benutzt für eine Show, die Superlative bieten muss.
Vor allem: Was bewirken Misserfolge, die unweigerlich dazugehören? Frustration und Fehlentwicklungen sind die Folge. Oder wie es Jens Kleinert von der Deutschen Sporthochschule als Professor für Sport- und Gesundheitspsychologie in Köln klar beschreibt: „Schlaf, Erholung, Essverhalten und andere wichtige Lebensbestandteile können gestört sein.“
In der Handball-bundesliga der Frauen ist ein Einsatz schon lange erst ab 16 erlaubt. Deshalb musste einst Nationaltorhüterin Dinah Eckerle warten, bis sie im November 2011 einen Monat nach ihrem 16. Geburtstag im Trikot des Thüringer HC ihr Debüt in der höchsten Spielklasse gab.
Ohnehin mag in den Mannschaftssportarten die Frage nach dem Mindestalter unter einem anderen Gesichtspunkt diskutiert werden. Das Teamgefühl kann sinnstiftend sein. Man darf einem 17jährigen Talent durchaus zutrauen, bereits in der Bundesliga zu spielen. Aber die Welt des Profifußballs kennt beim Alter dennoch keine Grenzen. Der FC Arsenal sorgte im vergangenen Jahr für Aufsehen, als er ein fünfjähriges Kind unter Vertrag nahm. Britische Medien bezeichneten den kleinen Ali Salman schon als „kleinen Messi“. Aber was ist, wenn der Junge einfach nur ein Bewegungstalent ist und später lieber Leichtathlet oder Klavierspieler werden will? Über seinen Kopf hinweg wurde entschieden, dass er Fußballprofi werden muss. Gefragt wurde er nicht. Wie auch? Der Kleine ist schließlich erst fünf.
Im Eiskunstlauf hatte in der Vergangenheit jene Entwicklung fatale Folgen. Reihenweise verschwanden junge Mädchen wieder von der Bildfläche, noch ehe ihre große Karriere so richtig begonnen hatte. Julija Lipnizkaja ist nur ein Beispiel. Bei Olympia 2014 in Sotschi gewann die Russin als 15-Jährige zwar umjubelt Gold mit dem Team und wurde Einzel-fünfte. Ganz oben landete sie aber nie wieder, rutschte dafür in die Magersucht ab.
Dass nun im Eiskunstlaufen das Mindestalter schrittweise angehoben werden soll, ist vielleicht ein erster Schritt. Ob er ausreicht, muss sich erst noch zeigen.