Regierungsfeinde
Wie das Verhältnis zwischen Ramelow und Vize Maier den Zustand der Koalition repräsentiert
Erfurt.. Er hat es wieder getan. Am Samstag stand Georg Maier in sommerbeiger Hose und mit hochgekrempelten Hemdsärmeln in der Ilmenauer Festhalle vor einer Versammlung der ländlichen Jusos. Er sprach über Digitalisierung, Klimawandel und die Ukraine, bevor er am Ende, ganz kurz bloß, noch etwas zur politischen Lage in Thüringen mitteilen wollte.
„Also diese Windkraftnummer von Ramelow fand ich persönlich völlig daneben“, sprach Maier ins Mikrofon. Die Unionsfraktion im Landtag habe geplant, gemeinsam mit der AFD ein Gesetz zu beschließen. „Aber dass dann der Ramelow kommt und denen eine Brücke baut ...“Maier schüttelt den Kopf und setzt seine Klage fort: „Vor allem aber, er hat mit niemandem darüber geredet. Du stehst morgens auf, machst den Pressespiegel auf und sagst, ach so ...“
Um diese Sätze zu verstehen, sollte man drei Dinge wissen. Erstens: Maier ist in Thüringen Innenminister, Spd-landesvorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident. Zweitens: Ministerpräsident, also der formale Vorgesetzte Maiers in der rot-rot-grünen Minderheitsregierung, ist der Linke Bodo Ramelow. Und drittens: Spätestens in gut zwei Jahren findet die Landtagswahl statt – und, wie Maier in Ilmenau sagte: „Ich kann Ministerpräsident werden.“
Dies ist der machtpolitische Kern der Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern, die seit Jahren andauert und die eh missgelaunte Koalition zunehmend zerrüttet: Maier (55) will den Posten von Ramelow (66). Parteiinteresse trifft auf Parteiinteresse, Ambition auf Amt, Ego auf Ego. Hinzu kommt der zermürbende Alltag einer Minderheitsregierung am Anschlag.
Der aktuelle Kampfanlass in Kurzform: Die CDU hatte vor Pfingsten einen lange siedenden Streit aufkochen lassen. Sie beschloss einfach mal mit AFD und FDP im zuständigen Fachausschuss ihren Gesetzentwurf, der einen Einkilometer-mindestabstand von Windkraftanlagen zu Wohngebäuden vorsieht, und setzte ihn auf die Tagesordnung der nächsten Landtagssitzung.
Insbesondere Maiers SPD trug die Nachricht von einer angeblich dräuenden Wiederauflage des Thomas-kemmerich-tabubruchs nach Berlin, was die gewünschte Empörung und Berichterstattung zur Folge hatte. Ramelow, der sich bis dahin nur am Rande um den Konflikt gekümmert hatte, setzte sich eilig mit Cdu-fraktionschef Mario Voigt zusammen – und gab weitgehend nach. Nebenbei wurde auch der Streit über das Schulgeld für die Gesundheitsschulen abgeräumt.
Auch der Cdu-fraktionschef stand unter Druck
Voigt war selbst stark an einer Einigung interessiert – und dies nicht nur, weil der Cdu-bundeschef Friedrich Merz, der wenig später in Thüringen auftreten sollte, besorgt aus Berlin angerufen hatte. Die gesamte Angelegenheit drohte der CDU politisch und medial zu entgleiten.
Aber da war ja Ramelow, der oft lange zuwartet, um dann alle mit einer tatsächlichen oder vermeintlichen Lösung zu überraschen. Nachdem er am Dienstagabend voriger Woche das Gespräch mit Voigt absolviert hatte, setzte er am Morgen darauf Maier und seine andere Stellvertreterin Anja Siegemund (Grüne) in einem internen Chat in
Kenntnis. Danach informierte er kurz die eigene Linke-fraktion, bevor er vor die Presse trat, um den Kompromiss zu verkünden, natürlich als bescheidenen Vorschlag. Drumgebunden war ein „Masterplan für die Südthüringer Glasindustrie“, zu dessen Planung er die CDU herzlichst einlud.
Für viele Grüne, manche Linke aber vor allem für den Sozialdemokraten Maier war dies einfach nur der nächste Affront. Vor allem der Innenminister, der als einziger im Kabinett auch noch einer Landespartei vorsitzt, lässt seit Langem seinen Frust öffentlich heraus. Nachdem er immer wieder die Spontanwendungen des Ministerpräsidenten in der Corona-politik kritisch kommentiert hatte, echauffierte er sich zuletzt über relativierend klingende Äußerungen des Linken zum Ukraine-krieg.
Ramelow reagierte wiederum arg angefasst, schimpfte in Chatgruppen und Parteirunden über Maier, der illoyal, ehrabschneidend und Schlimmeres sei. Nur wirklich miteinander reden: Das machen die beiden Männer nicht. Lieber bleiben sie, anders lässt sich das kaum noch sagen: Feinde.
Es geht um mehr als die Konkurrenz zweier Politiker
Taktisch balanciert vor allem Maier auf einem schmalen Grat. Wähler sind ambivalente Wesen. Sie mögen keinen öffentlichen Streit. Aber sie mögen auch Leute, die sie kennen, die sichtbar sind, die für ihre Haltung kämpfen.
Aber der Konflikt illustriert mehr als die Konkurrenz zweier Koalitionspolitiker. Es geht längst um das Bündnis an sich. Es geht um das sogenannte Projekt Rot-rot-grün.
Natürlich wolle er die Koalition nach der Landtagswahl fortsetzen, sagte Maier im Ilmenau, am besten mit „einer stärkeren SPD“. Aber er lade seine Juso-genossen gerne mal in den Innenausschuss des Landtags ein, wo er regelmäßig von den angeblich befreundeten Linke-abgeordneten „verhört“werde.
Dort, sagte er, könnten sie „das Projekt“fühlen.
Und: „Es fühlt sich nicht gut an.“