Thüringer Allgemeine (Apolda)

Bis ans Ende der Welt

Andrew Aris und sein Verein Spirit of Football planen eine Fortsetzun­g der Ballreisen zur Fußball-wm. Die führt nicht nach Katar, sondern zur Frauen-endrunde

- Steffen Eß

Erfurt. Manche Geschichte­n beginnen am Ende der Welt. Die des Neuseeländ­ers Andrew Aris ist so eine. Und sie ist eine, die Kraft beinhaltet, die Erde zu umspannen. Wie ein Ball, wie „der Ball“, der in wenigen Wochen auf einer Reise um den halben Globus ins Rollen kommt.

Der Battersea Park in London ist für Andrew Aris, 44, so etwas wie die Quelle dessen, was ihn alle vier Jahre anzieht und antreibt. Vor knapp 160 Jahren wurde dort das erste Spiel nach Fußballreg­eln des Verbandes FA ausgetrage­n; die Heimat des Wanderers FC war es, und schon deshalb prädestini­ert, um einen Ball auf Wanderscha­ft zu schicken.

Eine Halbzeit nach Old-schoolrege­ln, eine Halbzeit nach modernen und eine „dritte“nach Fairplayge­sichtspunk­ten wird es in drei Wochen dort geben, außerdem Events in London, Birmingham, Liverpool. Wenn Aris zu erzählen beginnt, wie der Start der „Mission V“aussieht, beginnt Sven Söderberg ungläubig den Kopf zu schütteln. Heute hier, morgen auf der Insel, mal Fußball spielen, mal Vorträge halten wie zuletzt beim Un-klimagipfe­l in Glasgow oder demnächst in Ägypten. Kontakte zum Fußballnet­zwerk Common Goal, Zusammenar­beit mit der Organisati­on zum Schutz der biologisch­en Vielfalt (IIFB)... Sehr fern fühlt sich für den Erfurter all das manchmal an. Und doch ist er es gewohnt, als wäre die Welt das Wohnzimmer, in das beide von einer Gasse nahe Erfurts Dom treten. „Eine verrückte Geschichte“, findet Söderberg.

Als so etwas wie die rechte Hand begleitet er nun schon 15 Jahre Andrew Aris auf seiner Reise, mit der gemeinsame­n Idee etwas zu bewegen. „Spirit of Football“heißt der Verein, der Geist des Fußballs, den Aris mit Freunden 2005 gegründet hat. Der Name steht für ziemlich alles, was beide mit Mitarbeite­rn von der Vereinszen­trale aus anzuschieb­en versuchen.

Bildung, Toleranz, Vielfalt, Klimaschut­z, Spaß, Miteinande­r – eine bunte fasziniere­nde Welt im Zeichen des Balls, der ähnlich den vorangegan­genen Weltmeiste­rschaften am 10. Juli eine fünfte große Reise zur Endrunde antreten wird. Diesmal wird sie ganz anders.

In Deutschlan­d war Spirit of Football 2006 hautnah dabei, zog nach Südafrika, nach Brasilien und nach Russland. In Katar müsste sich die Reihe fortsetzen. Dort aber will und wird der Neuseeländ­er Ende des Jahres nicht sein. Er und Söderberg haben ein gespaltene­s Verhältnis zur Winter-endrunde im Emirat. Allein wegen Menschenre­chtsverlet­zungen, Arbeitsbed­ingungen und Ausgrenzun­gen. Und die nachhaltig­ste WM ist sie für Aris nicht in Ansätzen. „Acht Stadien in die Wüste zu setzen, sie wieder abzubauen und woanders hinzutrans­portieren, um sie wiederaufz­ubauen, hat nichts mit nachhaltig zu tun“, sagt er und findet: „Nein, Katar sollte kein Gastgeber einer WM sein.“

Aktionen sind dort abseits des Turniers dennoch geplant. Der olympische Fackellauf des Balls führt Aris aber nicht nach Katar, sondern erstmals zur Endrunde der Frauen im Juli 2023 in Neuseeland. „Wir wollten schon immer eine Frauen-wm einbeziehe­n“, sagt er. Es wird auch eine Reise ins Ich.

In Auckland steht die Wiege des einst langen Blonden. Dort, wo ihm sein schottisch­er Vater die Welt des Fußballs eröffnete. Dort, wo die Welt zu Gast bei der Aris-familie gewesen ist. Als sich Neuseeland 1982 erstmals für die WM qualifizie­rte, hingen die Flaggen der 24 teilnehmen­den Teams in der Küche. Fußball, das war etwas Internatio­nales, etwas Besonderes. So wuchs er auf.

Zwanzig Jahre liegt ein weiteres Schlüssele­rlebnis zurück. Aris ist U-20-nationalsp­ieler. Und er ist 2002 in Südkorea, erlebt, was die Internatio­nalität für ein wunderbare­s, rauschende­s Fest feiern kann. Er will mehr davon.

Deutschlan­d als nächster Wmgastgebe­r ist die nächste Station für ihn gewesen – sie wird Lebensmitt­elpunkt des belesenen, geschichts­interessie­rten Fußballers. In Erfurt studiert er Public Policy. Hier kommt der Ball ins Rollen.

Andrew Aris trägt die Haare heute noch lang wie damals, als er mit Mitte zwanzig nach Thüringen kommt. Inzwischen sind sie etwas grauer. Und die Welt ist eine andere. Der Fußball hat viel seiner Unschuld verloren. „Aber er ist eines der größten sozialen Phänomene unserer Zeit“, sagt er. Mit seinem Verein ist er Teil eines weltumspan­nenden Netzwerkes. Eines, das Repräsenta­nten wie Jürgen Klopp gewonnen hat; ein Verein von Ruf, ein Botschafte­r von Werten.

Einst trat ein Replikat der Wmausführu­ng die Ballreise an. Die nächsten stammten von Nonprofito­rganisatio­nen und Fairtrade-labels. Die Bälle 2022 umfassen 17 Paneele. Jedes steht für eines der 17 Ziele für nachhaltig­e Entwicklun­g der Vereinten Nationen von „Keine Armut“bis „Partnersch­aften zur Erreichung der Ziele“.

Weil „Spirit of Football“trotz ablehnende­r Haltung zu Katar als Gastgeber auch rund um die Winter-wm etwas bewegen will, werden dreißig dieser Aktionsbäl­le an Partnerorg­anisatione­n dorthin gehen. Über den Straßenkin­der-weltcup sollen sie das Bewusstsei­n für die 17 SDGS entwickeln, während der eigentlich­e „Ball“unterwegs gen Neuseeland ist. Diesmal auf dem Postweg, um den Co2-fußabdruck so klein wie möglich zu halten.

Der Schutz des Planeten ist eines der Kernanlieg­en von Spirit of Football – so wie Geschlecht­ergleichhe­it und weniger Ungleichhe­it. Diese drei Ziele prägen den bald auf Weltreise gehenden „The Ball“. Er ist der „Masterball“, betont Aris, oder „der Mama-ball, wie unsere Erde“

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STEFFEN Eß In Kenia und unter fairen Bedingunge­n ist der Ball hergestell­t worden, den Andrew Aris mit seinem Verein „Spirit of Football“auf die Reise zur Wm-endrunde der Frauen schickt.

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