Thüringer Allgemeine (Apolda)

Woraus Elvis gemacht wurde

Baz Luhrmanns opulentes Biopic kommt heute ins Kino. Austin Butler und Tom Hanks sind darin ein ungleiches Paar

- Michael Helbing

Erfurt. Kurz vor dem Ende, dem Ende mehr der Ikone selbst als dieses nur sehr bedingt ikonograph­ischen Films wird aus dem gespielten aufgedunse­nen Elvis der echte. Eines der letzten Konzerte, Juni 1977: Er setzt sich ans Klavier, nuschelt was, singt aus voller Kehle und tiefer Seele seine „Unchained Melody.“

Das beginnt als Spielszene und wechselt in die Originalau­fnahme, auf die weitere solche folgen, aus dem Leben des King of Rock’n’roll. Für einen Augenblick wenigstens wirkt er ganz fremd, als sei der echte Elvis das Double, nicht Austin Butler, der uns in diesem Film zweieinhal­b Stunden lang mit Haut und Haaren zeigte, was es eigentlich heißt, jemanden zu verkörpern.

Wir kennen so etwas. Charlie Chaplin soll mal bei einem Chaplindop­pelgänger-wettbewerb nur den dritten Platz belegt haben. Hier ist es ein bisschen ähnlich: Austin Butler zieht gewisserma­ßen an Elvis Presley vorbei, inzwischen in prothetisc­her Maske, die auch das Original zu tragen schien. Elvis war, mit 42 Jahren, seine eigene Wachsfigur.

Doch es ist nicht die Maske, es ist auch nicht das Kostüm. Es sind die Mittel wahrhaftig­en Spiels, die aus Austin Butler Elvis the Pelvis machen, einen weißen Jungen mit schwarzen Hüften, wie die New York Times anno 1969 mal titelte.

Eine Erzählung wie aus Salieris Mozart-perspektiv­e

Und es ist dabei von einigem Vorteil, dass Butlers Gesicht noch keine eigene Marke im Filmgeschä­ft war. Man erkennt zum Beispiel nicht zwingend Charles „Tex“Watson aus der Manson-family wieder, den Killer, den Quentin Tarantino in „Once

Upon a Time in Hollywood“killte. Kaum wiederzuer­kennen in „Elvis“: Tom Hanks als Musikmanag­er Colonel Tom Parker, ein diabolisch­er Fettsack mit rachitisch­em Gelächter, mit Zigarre, Strohhut und Gehstock. Ihn lässt die Maske von Anfang an aus dem Leim gehen.

Aber wir gehen Tom Hanks nicht unbedingt auf den Leim. Denn dieser Rolle fehlt jene Wahrhaftig­keit, sie ist leider die reine Verstellun­g. Parker hatte Elvis gemacht, nicht den Musiker, aber die Marke, und er hat ihn womöglich, im übertragen­en Sinne, umgebracht. Das opulente Biopic von Baz Luhrmann nimmt da ein wenig Salieris Mozartpers­pektive aus „Amadeus“ein.

Auch hier blickt ein sehr alter Mann am Ende seiner Tage zurück: Parker schiebt im Op-hemd den Infusionss­tänder durch die leere Spielhalle in Las Vegas und erinnert sich: Wie er Elvis Stimme, die in diesem Film zunächst mehr die Butlers,

später vor allem die originale ist, erstmals hörte; sie wäre ihm gar nicht einmal so besonders aufgefalle­n, hätte man ihm nicht gesagt, dass hier ein Weißer singt. Wie er ihn einkauft für seine Tingeltang­elshows, den Plattenver­trag managt und bald Elvis’ öffentlich­es wie privates Leben. Wie das Prinzip des allumfasse­nden Merchandis­ing erfindet, wie er Elvis erst in Hollywood knebelt, dann in Las Vegas, wo Elvis jahrelang im Hotel Internatio­nal auftritt, anstatt auf internatio­nale Tour gehen zu können.

Hier erzählt Luhrmann die Geschichte vom Pakt eines Rebellen mit dem Teufel, woraus ein ewiger Kampf wird. Und er erzählt vom gnadenlose­n Showbusine­ss, derweil er selbst solches abliefert, mit allen Mitteln einer Überwältig­ungsstrate­gie, bunt und wild, in rasanter Abfolge von Szenen und Bildern.

Geboren ist dieser Film ganz aus dem Geist der Musik

Bisweilen ergeht es „Elvis“dabei wie seinem tragischen Titelhelde­n: Er hängt durch. Doch er beleuchtet ihn von allen Seiten, ohne ihn durchleuch­ten zu wollen. Er schaut hinter die Kulissen, auch hinein in die Beziehung zu Priscilla Presley (Olivia Dejonge), er deckt dabei nichts Neues auf, deckt aber auch nichts zu. Er wahrt ein Geheimnis.

Geboren ist der Film aber ganz aus dem Geist der Musik. Da ist viel Blues in der Hütte, Gospel im Zelt. Der Knabe Elvis lugt durch einen Bretterver­schlag im schwarzen Viertel von Tupelo, als Arthur „Big Boy“Crudup (Gary Clark Jr.) „That’s All Right“singt, woraus später Elvis’ erste Single wird. Wir treffen in der legendären Beale Street von Memphis B.B. King (Kelvin Harrison Jr.), erleben Big Mama Thornton (Shonka Dukureh), Sister Rosetta Tharpe (Yola), Little Richard (Alton Mason/les Greene). Mahalia Jackson (Cle Morgan) trauert um Martin Luther King.

Und sehen also, von wem und woraus Elvis, inmitten einer puritanisc­hen Welt der Rassentren­nung, musikalisc­h recht eigentlich gemacht wurde. Davon weiß Colonel Parker, der sich für Musik nicht interessie­rt, nur sehr wenig, Luhrmanns „Elvis“hingegen fast alles.

 ?? WARNER BROS. PICTURES ?? Hüftschwun­g und Ekstase: Austin Butler als Elvis im Film von Baz Luhrmann.
WARNER BROS. PICTURES Hüftschwun­g und Ekstase: Austin Butler als Elvis im Film von Baz Luhrmann.

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