Woraus Elvis gemacht wurde
Baz Luhrmanns opulentes Biopic kommt heute ins Kino. Austin Butler und Tom Hanks sind darin ein ungleiches Paar
Erfurt. Kurz vor dem Ende, dem Ende mehr der Ikone selbst als dieses nur sehr bedingt ikonographischen Films wird aus dem gespielten aufgedunsenen Elvis der echte. Eines der letzten Konzerte, Juni 1977: Er setzt sich ans Klavier, nuschelt was, singt aus voller Kehle und tiefer Seele seine „Unchained Melody.“
Das beginnt als Spielszene und wechselt in die Originalaufnahme, auf die weitere solche folgen, aus dem Leben des King of Rock’n’roll. Für einen Augenblick wenigstens wirkt er ganz fremd, als sei der echte Elvis das Double, nicht Austin Butler, der uns in diesem Film zweieinhalb Stunden lang mit Haut und Haaren zeigte, was es eigentlich heißt, jemanden zu verkörpern.
Wir kennen so etwas. Charlie Chaplin soll mal bei einem Chaplindoppelgänger-wettbewerb nur den dritten Platz belegt haben. Hier ist es ein bisschen ähnlich: Austin Butler zieht gewissermaßen an Elvis Presley vorbei, inzwischen in prothetischer Maske, die auch das Original zu tragen schien. Elvis war, mit 42 Jahren, seine eigene Wachsfigur.
Doch es ist nicht die Maske, es ist auch nicht das Kostüm. Es sind die Mittel wahrhaftigen Spiels, die aus Austin Butler Elvis the Pelvis machen, einen weißen Jungen mit schwarzen Hüften, wie die New York Times anno 1969 mal titelte.
Eine Erzählung wie aus Salieris Mozart-perspektive
Und es ist dabei von einigem Vorteil, dass Butlers Gesicht noch keine eigene Marke im Filmgeschäft war. Man erkennt zum Beispiel nicht zwingend Charles „Tex“Watson aus der Manson-family wieder, den Killer, den Quentin Tarantino in „Once
Upon a Time in Hollywood“killte. Kaum wiederzuerkennen in „Elvis“: Tom Hanks als Musikmanager Colonel Tom Parker, ein diabolischer Fettsack mit rachitischem Gelächter, mit Zigarre, Strohhut und Gehstock. Ihn lässt die Maske von Anfang an aus dem Leim gehen.
Aber wir gehen Tom Hanks nicht unbedingt auf den Leim. Denn dieser Rolle fehlt jene Wahrhaftigkeit, sie ist leider die reine Verstellung. Parker hatte Elvis gemacht, nicht den Musiker, aber die Marke, und er hat ihn womöglich, im übertragenen Sinne, umgebracht. Das opulente Biopic von Baz Luhrmann nimmt da ein wenig Salieris Mozartperspektive aus „Amadeus“ein.
Auch hier blickt ein sehr alter Mann am Ende seiner Tage zurück: Parker schiebt im Op-hemd den Infusionsständer durch die leere Spielhalle in Las Vegas und erinnert sich: Wie er Elvis Stimme, die in diesem Film zunächst mehr die Butlers,
später vor allem die originale ist, erstmals hörte; sie wäre ihm gar nicht einmal so besonders aufgefallen, hätte man ihm nicht gesagt, dass hier ein Weißer singt. Wie er ihn einkauft für seine Tingeltangelshows, den Plattenvertrag managt und bald Elvis’ öffentliches wie privates Leben. Wie das Prinzip des allumfassenden Merchandising erfindet, wie er Elvis erst in Hollywood knebelt, dann in Las Vegas, wo Elvis jahrelang im Hotel International auftritt, anstatt auf internationale Tour gehen zu können.
Hier erzählt Luhrmann die Geschichte vom Pakt eines Rebellen mit dem Teufel, woraus ein ewiger Kampf wird. Und er erzählt vom gnadenlosen Showbusiness, derweil er selbst solches abliefert, mit allen Mitteln einer Überwältigungsstrategie, bunt und wild, in rasanter Abfolge von Szenen und Bildern.
Geboren ist dieser Film ganz aus dem Geist der Musik
Bisweilen ergeht es „Elvis“dabei wie seinem tragischen Titelhelden: Er hängt durch. Doch er beleuchtet ihn von allen Seiten, ohne ihn durchleuchten zu wollen. Er schaut hinter die Kulissen, auch hinein in die Beziehung zu Priscilla Presley (Olivia Dejonge), er deckt dabei nichts Neues auf, deckt aber auch nichts zu. Er wahrt ein Geheimnis.
Geboren ist der Film aber ganz aus dem Geist der Musik. Da ist viel Blues in der Hütte, Gospel im Zelt. Der Knabe Elvis lugt durch einen Bretterverschlag im schwarzen Viertel von Tupelo, als Arthur „Big Boy“Crudup (Gary Clark Jr.) „That’s All Right“singt, woraus später Elvis’ erste Single wird. Wir treffen in der legendären Beale Street von Memphis B.B. King (Kelvin Harrison Jr.), erleben Big Mama Thornton (Shonka Dukureh), Sister Rosetta Tharpe (Yola), Little Richard (Alton Mason/les Greene). Mahalia Jackson (Cle Morgan) trauert um Martin Luther King.
Und sehen also, von wem und woraus Elvis, inmitten einer puritanischen Welt der Rassentrennung, musikalisch recht eigentlich gemacht wurde. Davon weiß Colonel Parker, der sich für Musik nicht interessiert, nur sehr wenig, Luhrmanns „Elvis“hingegen fast alles.