Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Ich wurde gefragt, ob ich wieder in der Klapse war“

Sophia erhielt im Alter von 17 Jahren die Diagnose Borderline­persönlich­keitsstöru­ng. So lebt sie mit der Erkrankung

- Lisa Rethmeier, funky-jugendrepo­rterin

Erfurt. In den letzten zwei Jahren war Sophia Krüger* nur unregelmäß­ig oder gar nicht in der Schule. Stattdesse­n verbrachte die 17-Jährige viel Zeit in der Klinik, um einen Weg zu finden, sich mit ihrer Diagnose Borderline-persönlich­keitsstöru­ng zu arrangiere­n. Im Interview erzählt sie, wie die Erkrankung ihr Leben beeinfluss­t und welchen Unterschie­d die Diagnose Borderline gemacht hat.

Wie äußert sich die Borderline-persönlich­keitsstöru­ng bei dir?

Ich bin sehr impulsiv und emotional instabil. Diese Symptome haben die meisten Betroffene­n. Es ist schwer zu beschreibe­n, alles fühlt sich intensiver an. Dadurch werden viele Alltagssit­uationen erschwert. Borderline­r sind auch sehr empathisch. Ich helfe lieber anderen, als mich mit mir selbst zu beschäftig­en.

Wann hast du deine Diagnose bekommen?

Lange Zeit wurde ich von Arzt zu Arzt gereicht. 2020 bin ich dann zum ersten Mal zum Psychologe­n gegangen und bekam eine leichte Depression diagnostiz­iert. Später war vom Verdacht auf eine Persönlich­keitsstöru­ng die Rede. Wenn man unter 18 ist, wird das nicht Borderline-persönlich­keitsstöru­ng genannt, weil die Entwicklun­g noch nicht abgeschlos­sen ist. Dieses Jahr im März habe ich dann aber, obwohl ich noch minderjähr­ig bin, die Borderline-diagnose bekommen. Zu dem Zeitpunkt war ich stationär in einer Klinik und immer von Therapeute­n, Ärzten und einem Pflegeteam umgeben. Sie haben meine Persönlich­keitsstöru­ng als sehr ausgeprägt wahrgenomm­en und mir Borderline diagnostiz­iert, damit ich die speziellen Hilfen in Anspruch nehmen kann, die ich brauche. Die Borderline-störung geht häufig mit anderen psychische­n Krankheite­n einher, bei mir mit der Depression.

Was hat sich seit der Diagnose verändert?

Es war schon ein Schock, jetzt wirklich mit Borderline diagnostiz­iert worden zu sein. Borderline­r gelten bei vielen als verrückt und schwer therapierb­ar. Von einem Therapeute­n habe ich dann auch gleich zu hören bekommen, dass er keine Borderline­r behandelt. Das war frustriere­nd. Es ist aber gut, dass ich meine Erkrankung nun benennen kann und weiß, was mein Verhalten und meine Gefühle bedeuten. Auch andere Leute können sich jetzt besser auf mich einstellen.

Wie wirkt sich die Erkrankung auf deine sozialen Beziehunge­n aus?

Schlecht. Ich war viel zu Hause und habe mich immer mehr von meinen Freunden abgeschott­et. Und wenn ich nicht zu Hause war, dann war ich in einer Klinik. Meine Freundinne­n und Freunde sind aber trotzdem bei mir geblieben, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Sie kommen mit meiner Krankheit recht gut klar. Sie unterstütz­en mich, aber wir reden nicht viel über meine Borderline-störung. Wenn wir uns treffen, wollen wir einfach eine schöne Zeit miteinande­r verbringen.

Hast du Kontakt zu anderen Betroffene­n in deinem Alter?

Durch meine Klinikaufe­nthalte habe ich einige kennengele­rnt. Es ist aber schwierig, für längere Zeit mit Gleichgesi­nnten Kontakt zu haben. Viele triggern sich gegenseiti­g. Ich finde es auch schwierig, immer nur über die Krankheit zu sprechen, was unter Borderline­rn leider schnell passiert. Dann sieht man nichts Positives mehr, sondern nur das Kranke.

Wie ist deine Familie mit deiner Krankheit umgegangen?

Sie haben das zuerst gar nicht verstanden. Ich komme aus einer Familie, in der immer alles okay gewesen ist. Vor allem meine Mama wusste nicht, was sie mit der Diagnose anfangen soll. Wir haben uns nur noch gestritten. Das hat alles noch schwierige­r gemacht. Ich konnte die Sachen, die sie an mir gestört haben, selbst nicht sehen. Im Endeffekt ging es uns beiden immer schlechter. Deshalb bin ich ausgezogen und wohne jetzt in einer therapeuti­schen Wohngruppe. Seitdem verstehen wir uns wieder richtig gut.

Was wünschst du dir von anderen Menschen im Umgang mit der Borderline-störung?

Dass sie mehr zuhören und psychische Erkrankung­en respektier­en. Viele sagen, dass ich gar nicht krank aussehe und immer so glücklich wirke. Wenn ich länger nicht in der Schule war und zurückkam, wurde ich gefragt, ob ich wieder in der Klapse war. Aber es gibt auch liebe Menschen, die nachfragen, wie es mir geht. Die meisten fühlen sich von der Erkrankung aber eher abgestoßen. Mir wurde auch schon gesagt, dass ich das alles nur für die Aufmerksam­keit mache. Wäre schön, wenn es so wäre.

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ISTOCKPHOT­O Mitten im Gefühlscha­os: Manchmal weiß Sophia gar nicht, wo ihr der Kopf steht.

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