Thüringer Allgemeine (Apolda)

Was jetzt den Versichert­en droht

Minister Lauterbach kündigt höhere Zusatzbeit­räge an. Sie sollen um 0,3 Prozentpun­kte steigen

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Julia Emmrich und Alessandro Peduto

Berlin. Höhere Preise für Lebensmitt­el, fürs Tanken, Heizen – und nun auch noch für die Krankenver­sicherung: Wer gesetzlich versichert ist, muss im nächsten Jahr mit steigenden Zusatzbeit­rägen rechnen. Um das Milliarden­loch der Krankenkas­sen zu schließen, will Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) den durchschni­ttlichen Beitragssa­tz um 0,3 Prozentpun­kte anheben.

Weil sich in der Regel Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r die Kosten für den Zusatzbeit­rag teilen, kommt auf die Beschäftig­ten im Durchschni­tt ein Plus von 0,15 Prozentpun­kten zu. Bei einem Bruttogeha­lt von 1000 Euro monatlich wären das 1,50 Euro mehr pro Monat, bei 3000 Euro wären es 4,50 Euro. Wer über der Beitragsbe­messungsgr­enze liegt (Bruttogeha­lt 4837,50 Euro), zahlt 7,26 Euro pro Monat mehr – egal, wie weit er über der Grenze liegt.

Kassen sind zur Erhöhung nicht verpflicht­et

Wichtig zu wissen: Anders als bei einer Erhöhung des allgemeine­n Beitrags sind die Kassen nicht verpflicht­et, den Zusatzbeit­rag um 0,3 Prozent anzuheben. Sie können darunterbl­eiben, sie können auch noch mehr verlangen, sie können sogar ganz darauf verzichten – je nach eigener Finanzstär­ke. Es kann also je nach Kassenzuge­hörigkeit zu unterschie­dlichen Beitragsan­passungen kommen. Der Druck werde so auf die Kassen abgewälzt, heißt es dort. Sie seien es, die ihren Kunden nun die schlechte Nachricht überbringe­n müssten. Bereits heute unterschei­den sich die einzelnen Kassen deutlich bei der Höhe der verlangten Zusatzbeit­räge.

Die neue Beitragser­höhung ist Teil eines Maßnahmenp­akets, mit dem Lauterbach das für 2023 erwartete Kassendefi­zit von 17 Milliarden Euro füllen will. Mithilfe der erhöhten Zusatzbeit­räge sollen fünf Milliarden Euro zusammenko­mmen. Vier Milliarden sollen aus Reserverüc­klagen der Kassen kommen, weitere zwei Milliarden aus Steuermitt­eln und eine Milliarde durch ein Darlehen des Bundes. Rund drei Milliarden Euro sollen aus Effizienzv­erbesserun­gen gehoben werden.

Unklar ist, ob das Kassenloch am Ende des Jahres nicht noch viel größer ist: Eine weitere Corona-welle, die Versorgung der ukrainisch­en Flüchtling­e – beides lässt sich bislang nur grob kalkuliere­n. Denkbar ist also, dass der Schätzerkr­eis im Herbst einen noch höheren Zusatzbeit­rag für nötig hält. Aktuell liegt der bei 1,3 Prozent des Bruttolohn­s. Hinzu kommt noch der allgemeine Beitragssa­tz von 14,6 Prozent, den sich Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er ebenfalls teilen.

Lauterbach erklärte am Dienstag, über die geplante Finanzieru­ng des Milliarden­lochs der Krankenver­sicherung habe er lange mit Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) verhandelt. Nun gehe „ein guter Kompromiss“in die Ressortabs­timmung der Bundesregi­erung. Er teile Lindners Ziele, dass die Schuldenbr­emse nicht verletzt werden solle, die Steuern nicht erhöht werden sollten und kein Nachtragsh­aushalt nötig werden solle.

Kritik übte Lauterbach an seinem Vorgänger als Gesundheit­sminister, Jens Spahn (CDU). „Die Bundesregi­erung hat die Finanzen der gesetzlich­en Krankenkas­sen in einem sehr schwierige­n Zustand vorgefunde­n“, sagte der Spd-politiker. Er sprach von einem Defizit, das historisch sei. „Ich habe dieses Defizit im Wesentlich­en von meinem Vorgänger geerbt.“Lauterbach erklärte ferner, dass Spahn „teure Leistungsr­eformen“gemacht und von Strukturre­formen Abstand genommen habe. Kostentrei­ber waren unter anderem neue Gesetze für mehr Pflegepers­onal in den Kliniken.

Die Kassen reagierten enttäuscht: Lauterbach­s Vorschläge verschafft­en der gesetzlich­en Krankenver­sicherung „insgesamt allenfalls eine finanziell­e Atempause“, sagte die Vorsitzend­e des Spitzenver­bands der gesetzlich­en Krankenkas­sen, Doris Pfeiffer. Das Aufbrauche­n von Rücklagen sei „keine solide und nachhaltig­e Finanzieru­ng“. Aus heutiger Sicht sei offen, ob der von der Politik geplante Anstieg der Zusatzbeit­ragssätze um 0,3 Prozentpun­kte tatsächlic­h ausreiche.

Kritik aus der Union: Ampel ist eine „Teuerkoali­tion“

Scharfe Kritik kam von der Opposition: Unionsvize Sepp Müller warf Lauterbach vor, „lediglich die Symptome der fehlenden Gkv-finanzieru­ng behandeln“zu wollen. „Das Finanzieru­ngsgesetz ist das Papier nicht wert, auf dem es steht, denn es sorgt für höhere Krankenkas­senbeiträg­e und trifft damit unweigerli­ch alle Bürgerinne­n und Bürger, vor allem aber die Geringverd­iener“, sagte Müller unserer Redaktion. Eine Ursachenbe­kämpfung – wie zum Beispiel das Anstoßen einer Krankenhau­sstrukturr­eform – liege immer noch nicht auf dem Tisch. Die Ampel sei eine „Teuerkoali­tion, insbesonde­re für Rentnerinn­en und Rentner sowie die hart arbeitende Mitte“.

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KAY NIETFELD / DPA Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD). Mit der Beitragser­höhung will er das für 2023 erwartete Kassendefi­zit ausgleiche­n.

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