Schwerkriminelle Neonazis
Landgericht Erfurt verhandelt Anklage wegen Drogenhandels, Geldwäsche und Zwangsprostitution
Erfurt. Drogenhandel, Zwangsprostitution, Erpressung, unerlaubter Waffenbesitz und Geldwäsche lauten einige der Anklagevorwürfe gegen die drei Frauen und sechs Männer – immer wieder in Verbindung mit bandenmäßigem Vorgehen oder als Teil einer kriminellen Vereinigung. In einigen wenigen Fällen müssen sich die Angeklagten vor der 8. Strafkammer am Landgericht Erfurt wegen Beihilfe zu diesen Straftaten verantworten.
Die Kammer verhandelt seit Mittwoch gegen mutmaßliche Mitglieder der rechtsextremen „Bruderschaft Thüringen“, die laut Staatsanwaltschaft Gera aus den „Turonen“und deren Unterstützern, der „Garde 20“, besteht. 20 Mitglieder sollen der Bruderschaft angehören. Sieben von ihnen als „Turonen“, heißt es in der Anklage.
Auf 83 Seiten listet Staatsanwaltschaft 198 Fälle auf
Auf 83 Seiten werden 198 Fälle mit Straftatvorwürfen aufgelistet, die von den Angeklagten in wechselnder Zusammensetzung zwischen Februar 2020 und März 2021 begangen worden sein sollen. „Turonen“und „Garde 20“fielen in den vergangenen Jahren eher durch das Organisieren rechtsextremer Großveranstaltungen auf. Sie sollen mit ihren kriminellen Geschäften rund 800.000 Euro umgesetzt haben.
Die Strafkammer musste für den Prozess ins Congress-center der Messe Erfurt ausweichen. Für neun Angeklagte mit jeweils zwei Verteidigern, die Staatsanwaltschaft und die Richtern samt Schöffen fehlt im derzeitigen Ausweichquartier des Landgerichts Erfurt der Platz. Das eigentliche Gerichtsgebäude wird über Jahre saniert.
Sechs der Angeklagten, darunter zwei Frauen, sitzen seit einer Großrazzia am 26. Februar 2021 in Untersuchungshaft. Ein weiterer Angeklagter verbringt seine Zeit wegen anderer Straftatvorwürfe hinter Gitter. Entsprechend gut sichert die Polizei das Verfahren.
Allein der 46-jährige Hauptangeklagte Thomas W. muss sich in 64 Fällen wegen bandenmäßigen Drogenhandels mit nicht geringen Mengen in Verbindung mit der Bildung einer kriminellen Vereinigung, gemeinschaftlich begangener Erpressung sowie gemeinschaftlich begangener Zwangsprostitution in Verbindung mit sexueller Nötigung, außerdem noch wegen vorsätzlicher Geldwäsche in zwei Fällen und gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Waffen- und Munitionsbesitzes verantworten. Bei einigen der Anklagepunkte ist von Rädelsführerschaft die Rede.
Sollten die Vorwürfe zutreffen, droht dem Rechtsextremen eine langjährige Haftstrafe.
Rechtsanwalt muss sich wegen Geldwäsche verantworten
Unter der Regie von Thomas W. sei das Gelbe Haus in Ballstädt (Kreis Gotha) nach Gründung der Bruderschaft Thüringen ab 2015 als Unterkunft für die Mitglieder ausgebaut worden. Die Immobilie gilt seit Langem als Quartier militanter Neonazis. Allein dort beschlagnahmten Ermittler im Februar 2021 aus einem Tresor 54.318 Euro.
Auf der Anklagebank sitzt auch ein Rechtsanwalt, bis vor anderthalb Jahren noch Verteidiger von Rechtsextremen. Nun wird ihm in zwei Fällen vorgeworfen, bandenmäßig am Handel mit Betäubungsmitteln und damit an einer kriminellen Vereinigung beteiligt gewesen zu sein. Als Anwalt soll er Parteienverrat in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Erpressung begangen haben und in 60 Fällen gewerbsmäßige Geldwäsche. Die Abschottung der Bruderschaft – auch mit juristischen Mitteln – sei eine seiner Aufgabe gewesen, heißt es.
Die Angeklagten sollen laut Staatsanwaltschaft bei ihrem hochkriminellen Tun arbeitsteilig vorgegangen sein. Auch den angeklagten
Frauen fielen demnach bestimmte Aufgaben zu, obwohl sie nicht Mitglied der Bruderschaft sein durften.
Wie weit die Neonazi-netzwerke reichen, zeigen auch die Fälle 161 bis 170 der Anklage. Ralf Wohlleben, als Nsu-waffenbeschaffer 2018 in München zu zehn Jahren Haft verurteilt, soll beim angeklagten Anwalt ab Mai 2020 einen Job als „Büromitarbeiter It-bereich“für 450 Euro monatlich erhalten haben. Die Staatsanwaltschaft Gera ist überzeugt, dass er keine Arbeitsleistungen erbringen musste.
Alle neun Angeklagten wollten sich nicht äußern, erklärten sie am Mittwoch vor Gericht.
Die Kammer hat vorerst Termine bis Weihnachten geplant, allerdings steht das Verfahren trotzdem noch auf tönernen Füßen. Denn derzeit klaffen zwischen einzelnen Prozesstagen zeitliche Lücken, die noch mit weiteren Terminen gefüllt werden müssen, sollen alle Fristen eingehalten werden. Andernfalls könnte der Prozess platzen.