„Nur meiner eigenen Wahrheit verpflichtet“
Autorin Barbara Honigmann erhält in Weimar den Literaturpreis der Konrad-adenauer-stiftung
Weimar. Für ihre Erzählungen jüdischen Lebens in Deutschland und Europa hat die in Straßburg lebende Autorin Barbara Honigmann schon einige Preise erhalten, zuletzt den bayerischen Jean-paul-preis. Diesen Sonntag kommt in Weimar der Literaturpreis der Konrad-adenauer-stiftung (KAS) dazu.
Seit 1993 ehrt die KAS jährlich Autorinnen und Autoren, „die der Freiheit ihr Wort geben“, wie es bei der Stiftung heißt. In ihren autobiografisch geprägten Werken werfe Honigmann Fragen nach Identität, Fremdheit und Integration auf, begründet die Jury ihre Wahl. Die Preisverleihung durch den Stiftungsvorstand Norbert Lammert findet am Sonntag ab 11 Uhr im Musikgymnasium Belvedere statt.
Wieso die Reise dorthin für sie jedoch eine Herausforderung darstellt, und was Identität für sie bedeutet, erklärt Barbara Honigmann im Interview mit dieser Zeitung.
Frau Honigmann, bei der Preisverleihung werden Sie auch aus Ihrem Roman „Eine Liebe aus nichts“lesen. Darin geht es unter anderem um Ihren Vater, der in Weimar gelebt hat. Wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal in Weimar waren?
Barbara Honigmann: Für mich ist es etwas schwierig, weil Weimar ein Abschiedsort für mich ist. Ich habe dort meinen Vater das letzte Mal gesehen. Ich habe zwar im Buch geschrieben, dass er dort begraben ist, ist er aber nicht. Das ist fiktionalisiert, wie auch andere Teile des Romans. Aber er ist dort gestorben. Ich habe ihn kurz vor meiner Ausreise 1984 noch in Weimar gesehen. Da hat er mich mit dem Auto zum Bahnhof gebracht, das ist das letzte Bild in meiner Erinnerung. Deshalb graule ich mich ein bisschen davor, an dem Bahnhof anzukommen.
Ich war 1994 noch mal in Weimar, als ich im Rahmen des Petrarcapreises den Nicolas Born Preis bekam. Aber ich bin vor lauter Schreck sofort krank geworden. Ich hoffe, dass es diesmal nicht so schwierig wird. Aber es bleibt für mich natürlich ein schwieriger Ort.
Ihre Werke sind autobiografisch geprägt. Wieso ist es Ihnen wichtig, darin auch Fiktion zu integrieren?
Also, wenn man ein Buch schreibt, ist das ja keine Zeugenaussage. Ich bin nur meiner eigenen Wahrheit verpflichtet. Und dann ist es ja auch so, dass man aus den inneren Bildern schöpft. Und die verändern sich mit der Zeit. Das ist also keine Fiktionalisierung, um etwas zu verschleiern, sondern einfach, weil der Blick sich verändert. Aber warum ich konkret das Begräbnis meines Vaters nach Weimar verlegt habe: Das hat eher dramaturgische Gründe, nicht psychologische.
Und wie ist das für Sie, wenn so viele Menschen Einblick haben in Ihre persönliche Geschichte oder die Geschichte Ihrer Eltern?
Es bleibt ja immer mir überlassen, was ich erzähle. Und der Roman „Eine Liebe aus nichts“war für mich auch wie eine Skizze für mein vorletztes Buch „Georg“, ein Portrait meines Vaters. Es ist auch nicht so, dass ich meine oder die Geschichte meiner Eltern für so wahnsinnig wichtig halte. Jede Lebensgeschichte ist wichtig. Und meine und die meiner Eltern, gerade in dieser Zeit, ist historisch schwerwiegend. Deshalb finde ich es nach wie vor wichtig, das zu erzählen.
In der Begründung der Jury heißt es, dass Sie in Ihren Werken auch viele Fragen nach der Identität stellen. Hat Ihnen das Schreiben geholfen, Ihre eigene Identität zu finden?
Ehrlich gesagt: Das einzige Problem in meinem Leben, das ich überhaupt nicht habe, ist das meiner Identität. Ich war ein Kind, das in eine jüdische Familie hineingeboren wurde, und da war von Anfang an eine schwierige, um nicht zu sagen feindliche Umwelt. Damit muss man lernen, zu leben. Aber ich konnte mich immer mit mir selbst identifizieren. Das ist irgendwie so ein Konzept, das mir verhältnismäßig fremd ist. Aber ich weiß natürlich, was damit gemeint ist.
Was verstehen Sie unter Identität?
In einem Buch einer französischen Soziologin habe ich eine Definition dazu gelesen. Sie bezeichnet „Identität“als eine Dreierbeziehung: wie ich mich fühle, wie ich mich ausdrücke und wie ich von den anderen gesehen werde. Das finde ich einleuchtend. Es wird mir immer nachgesagt, dass ich ein Problem mit der Identität habe. Aber wissen Sie: Ich lebe seit über 30 Jahren in Frankreich, ich spreche die Sprache, mache aber auch Fehler. Ich bin nah an
wurde 1949 in Ost-berlin geboren. Nach einem Studium der Theaterwissenschaft an der Humboldt-universität arbeitete sie als Dramaturgin und Regisseurin, ab 1975 als freie Schriftstellerin. Mit ihrer Familie lebt sie seit 1984 in Straßburg.
hat sie zahlreiche Preise erhalten, etwa den Kleist-preis, den Max Frischpreis der Stadt Zürich und den Ricarda-huch-preis. Sie ist außerdem als bildende Künstlerin tätig.
Für ihre Werke
„Unverschämt jüdisch“, ihr jüngstes Werk, ist 2021 im Hanser Verlag erschienen. der Grenze, ich schreibe deutsch und verlege meine Bücher in einem deutschen Verlag. Ich habe aber keine doppelte Identität. Ich bin eine deutsche Jüdin in Frankreich. Ich fühle mich da gar nicht hin- und hergerissen. Mein jüdisches Leben findet in Frankreich statt, auf Französisch. Aber mein literarisches Leben findet auf Deutsch statt. Und damit kann ich auch gut leben.
Da Sie Ihr jüdisches Leben ansprechen: Sie nutzen dafür auch den Begriff „koscher light“. Was hat es damit auf sich?
Koscher steht einfach für praktizierendes Judentum. Und man kann ja alles, was man macht, betreiben oder auch übertreiben. Und mit „light“meine ich einfach, dass wir uns nicht total verrückt machen.
Auch wenn Sie das Judentum eher „light“praktizieren, ist es oft Thema in Ihren Büchern. Haben Sie da auch negative Erfahrungen gemacht? Nein, ich habe eher positive Resonanz. Dafür ist es dann wahrscheinlich nicht spektakulär genug. Ich habe zwar einige Preise bekommen, aber das ist ja alles im literarischen Bereich. Und die Leute, die meine Sachen furchtbar finden, die melden sich nicht bei mir. Einen richtigen Verriss habe ich also zum Glück nicht erleiden müssen.