Die große kleine Dame am DNT geht
Nach 41 Jahren am Nationaltheater verabschiedet sich Antje Bräuer in den Ruhestand
Weimar. Sie ist die wahre Grande Dame am Deutschen Nationaltheater, obwohl sie gerade einmal 1,60 Meter groß ist und in keiner einzigen Inszenierung auch nur als Komparsin auf der Bühne stand. Nach 41 Jahren am Weimarer DNT verabschiedet sich Antje Bräuer, die Leiterin des Besucherservice, nun in den Ruhestand.
Die gebürtige Greifswalderin stammt aus einer Theaterfamilie: Mutter Opernsängerin, Vater renommierter Musiker und Dirigent. Als Antje Bräuer fünf Jahre alt war, kam sie mit ihrer Familie nach Weimar. Rudolf Bräuer übernahm die Funktion des Kapellmeisters. „Dennoch zieht es mich bis heute jedes Jahr an die See“, sagt die 66-Jährige.
Schalt- und Schnittstelle zwischen Publikum und Ensemble
Von Kindesbeinen an habe sie es geliebt, das Theater und dessen Künstler für sich zu entdecken und davon geträumt, selbst einmal die Bühne zu erobern. Als es tatsächlich daran ging, den Weg ins Berufsleben zu ebnen, kreisten ihre Gedanken zunächst um ein Psychologie-studium. Konkret wurden sie nicht. Dafür wuchs ihr Wunsch, Musikwissenschaften zu studieren. Immerhin spielte sie Klavier. Mit dem künstlerischen Anspruch des Vaters vor Augen, der auch an der Hochschule unterrichtete, entschied sie sich jedoch anders. An der Humboldt-uni Berlin studierte sie Kulturwissenschaften, Kulturgeschichte und zumindest im Nebenfach Musikwissenschaft.
1978 kehrte die junge Frau zurück nach Weimar, um bei den „Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur“in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit tätig zu sein und thematische Führungen anzubieten. Damals legte sie den Grundstein für ihre Jahrzehnte währende Berufung: Schalt- und Schnittstelle zwischen künstlerischer Institution und Publikum zu sein. 1981 rief das DNT. Hier begann Antje Bräuer als Pressedramaturgin und baute nach der Wende den Besucherservice auf, dessen Leiterin sie 1993 wurde. Um stärker im Umland fürs Theater zu werben und die Leute im wahrsten Sinne abzuholen, hob sie in den 90er-jahren das „Theater im Paket“aus der Taufe. 15.000 bis 20.000 Besucher wurden pro Jahr zusätzlich akquiriert. Später hatte sie unter anderem den Aufbau des Online-kartenservice zu verantworten.
In ihrer Schaltzentrale hatte Antje Bräuer immer das Ohr an der Masse – sowohl beim Ensemble als auch beim Publikum. Damit wurde sie zur Vermittlerin, die manche Reaktionen und Wünsche von Zuschauern ins Haus weitertrug. Nicht zuletzt bemühte sie sich um Gerechtigkeit sowohl gegenüber den Kollegen, denen sie nicht selten Kassendienste abnahm, als auch gegenüber dem Publikum. „Bei Kartenverkauf habe ich Freunde nicht bevorzugt, nicht bei Premieren, nicht beim Opernball und nicht bei der Silvestergala. Alle mussten sich hinten anstellen. Ganz speziell waren die Tatort-voraufführungen. Da kannten mich plötzlich Leute, mit denen ich vorher eher wenig zu tun hatte“, schildert Antje Bräuer.
Auch an letzten Arbeitstagen hohes Pensum
Der direkte Kontakt zu den Leuten forderte auch Kompromisse. Bei einer Aufführung von Rigoletto in der Inszenierung von Karsten Wiegand und mit George Gagnidze in der Titelpartie habe sie Kassendienst gehabt, als während der Vorstellung Zuschauer herausrannten, sie beschimpften und ihr Geld zurückforderten. Offenbar entsprach es nicht deren Kunstverständnis, dass in der Vergewaltigungsszene tatsächlich Blut über das Bein der Gilda rann. „In solchen Momenten musste ich natürlich abwägen und den Leuten entgegenkommen“, sagt Antje Bräuer. Sie selbst habe die Inszenierung beeindruckt.
In der Corona-zeit habe sie, wenngleich zum Teil in Kurzarbeit, akribisch Abonnentenpflege betrieben. Und auch an ihren letzten Arbeitstagen riss das Pensum nicht ab. „Es ist komischerweise so, dass man bis zum letzten Moment zu tun hat. Und bestimmt fällt mir auch im Urlaub noch was ein. Aber ich habe ja meinen Computer dabei“, sagt die Neu-ruheständlerin. Den Urlaub habe sie sich bewusst mit Stress vollgepackt, um „abtrainieren“zu können. Zunächst geht es nach Dresden, dann für acht Wochen an die Ostsee. Im September kehre sie für vier Wochen nach Weimar zurück, um dann bis November Südafrika zu entdecken. Nächstes Jahr warte das Nordkap auf sie.
Dem DNT bleibe sie freilich verbunden. „Ich werde mir weiterhin jede Premiere anschauen und arbeite natürlich auch im Vorstand unseres Freundeskreises weiter mit.“