Thüringer Allgemeine (Apolda)

Große Ignoranz oder Indifferen­z in Eisenach ausgemacht

Forschungs­bericht zum Rechtsextr­emismus belegt das fragwürdig­e Phänomen einer Region

- Jensen Zlotowicz

Eisenach. Gerade wurde der Eisenacher Patrick Wieschke, Kopf der NPD im Stadtrat, bei einem Parteitag der Nationalde­mokraten als Landesvors­itzender wiedergewä­hlt. Gewählt wurde in der Npdlandesz­entrale in Eisenach.

Die Stadt gilt als Hochburg des Rechtsextr­emismus in Thüringen – mit überregion­aler Ausstrahlu­ng und dem Negativima­ge einer Mittelstad­t, in der die NPD dank hoher Stimmenant­eile bei Wahlen fest im Sattel sitzt. So beschreibt es der Soziologe und Psychologe Axel Salheiser als Autor eines Forschungs­berichts des Instituts für Demokratie

und Zivilgesel­lschaft (IDZ). Er bündelt die Ereignisse einer qualitativ-methodisch­en Untersuchu­ng 2020 und leitet daraus Handlungse­mpfehlunge­n für Politiker und alle anderen Akteure ab, denen die Förderung und Stärkung lokaler und regionaler demokratis­cher Kultur ein Anliegen ist.

Salheiser konstatier­t eine „große Kontinuitä­t des Rechtsextr­emismus in der Region“und das „hohe Aktivitäts­niveau von gewaltbere­iten und gewalttäti­gen Rechtsextr­emen, die organisato­risch und personell vor Ort etabliert sind“. Der Rechtsextr­emismus sei Teil einer Stadtgesel­lschaft, in der offenkundi­g nicht nur die Wahrnehmun­gsmuster und

Reaktionss­trategien variieren. Sein Bericht legt nahe, dass in Eisenach insgesamt zu große Ignoranz oder Indifferen­z zu rechtsextr­emen Akteuren und deren Tun bestehe.

Eine Flut rechtsextr­emer Graffitis

Auf die Bedeutung der Npd-landeszent­rale Flieder Volkshaus für Konzerte von Neonazi-bands, Kampfsport­ereignisse­n als Ausgangspu­nkt politische­r Aktivitäte­n und weitere Treffpunkt­e von Rechtsextr­emem im Stadtgebie­t, geht Salheiser ebenso ein wie auf die Flut rechtsextr­emer Graffitis, die vergleichs­weise hohe Zahl polizeilic­h anhängiger Straftaten im Beden reich der politisch motivierte­n Kriminalit­ät oder Einschücht­erungsvers­uche, Bedrohunge­n und Angriffe gegen politische Gegner.

Der Autor schreibt der neutralen „bürgerlich­en Mitte“Eisenachs ins Stammbuch, dass ihre „Damit will ich nichts zu tun haben“-einstellun­g auch im Bezug zu linken Aktionen den rechtsextr­emistische­n Bo

düngen. Die prinzipiel­le Gleichsetz­ung von Rechts- und Linksextre­mismus und damit eine verbundene Täter-opfer-umkehr habe Folgen im Problemkom­plex. Ein eigenes Kapitel widmet der Bericht dem Npd-landesvors­itzenden Patrick Wieschke und anderen Figuren der rechten Szene ebenso wie dem Flieder-volkshaus, der Npd-zentrale, die immer wieder auch ein Anlaufpunk­t für Menschen aus der sogenannte­n bürgerlich­en Mitte ist, wenn dort vermeintli­ch unpolitisc­he Partys stattfinde­n.

Das Haus habe für viele Menschen den „Charakter eines Stadtteilz­entrums“, heißt es, was eine sehr bedenklich­e Entwicklun­g sei.

Der Forschungs­bericht spannt den Bogen zu rechtsextr­emen Führungsun­d Weggefährt­en Wieschkes nach Gerstungen, zur Nationalen Jugend Eisenach-wartburgkr­eis, zu Akteuren der Afd-westthürin­gen und zur Neuen Rechten, skizziert den Zuzug von rechtsextr­emen, teils militanten Akteuren in das „günstige Umfeld Eisenach“und dokumentie­rt Wechselwir­kungen von NPD und AFD nicht nur beim Wählerverh­alten. Den Zusammenha­ng zwischen sozioökono­mischen, -demografis­chen und sozialstru­kturellen Aspekten der Stadt und der riskanten „Leuchtturm­politik Autoindust­rie“zum Rechtsextr­emismus spart der Autor nicht aus.

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MARTIN SCHUTT / DPA Axel Salheiser ist wissenscha­ftlicher Leiter des Institut für Demokratie und Zivilgesel­lschaft.

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