Thüringer Allgemeine (Apolda)

Weimarer Jubilar feiert auf den Galapagos-inseln

Bernd Rost, Bäckermeis­ter und Präsident des Weimarer Handwerker-carnevals, kann sich am Frauentag zum 60. Geburtstag gratuliere­n lassen

- Jens Lehnert

8. März? Da war doch was. Frauentag! Richtig, aber da war noch etwas. Bernd Rost, der Bäckermeis­ter aus der Schützenga­sse und Präsident des Weimarer Handwerker-carnevals, hat Geburtstag. Der doch recht schlank geratene Mann wird runde 60.

Im Prinzip hat Rost das mit dem

8. März genial eingefädel­t. Man stelle sich die Situation am heimischen Frühstücks­tisch vor: Die Frau gegenüber – halb in Erwartung eines Geschenkes, eines herzlichen Grußes oder zumindest einer netten Geste, halb so weit auf dem Boden der Realität, dass sie die Vergesslic­hkeit ihres Mannes in Betracht zieht – fragt schneidend: „Na, welchen Tag haben wir heute?“Wenn man dann als latent Angeklagte­r breit grinsend entgegnen kann: „Na meinen Geburtstag!“, dann ist aller Wind raus aus den Segeln. Freilich geht es bei Rosts so nicht zu. Dort herrscht Eintracht. Nicht von ungefähr ist Bernd Rost erklärter Fan des Frankfurte­r Fußball-bundesligi­sten.

Wer sich nun dazu berufen fühlt, dem Bäcker schnell noch ein paar Kornblumen zu besorgen, muss sich gedulden. Seit einer Woche weilt der Jubilar im Urlaub: mitten im pazifische­n Ozean 1000 Kilometer westlich des südamerika­nischen Festlandes auf den Galapagosi­nseln. Am 19. März, so der Plan, wird er wieder zurück im Geschäft sein, das zurzeit geschlosse­n ist. Überhaupt ist Rost leidenscha­ftlich gern Weltreisen­der. Diesem Hobby kann er ob seines Berufes zwar nicht überborden­d viel, aber doch regelmäßig Zeit widmen. An die 70 Länder hat er bisher gesehen. Auf den Geschmack kam der Weimarer 2006 in Ägypten. Seither breitete sich der Rost bis über den nördlichen Polarkreis, das Kap der Guten Hoffnung und Indonesien aus. Highlight sei für ihn Brasilien gewesen, als er beim Karneval in Rio bis morgens um 6 Uhr im Sambodrom das weltgrößte Karnevalss­pektakel miterlebte.

Familienbe­trieb wird in diesem Sommer 100 Jahre alt

Den Geburtstag feiert er nun also fast 11.000 Kilometer entfernt von zu Hause. Aber: Sein 60. bleibt nicht das einzige Jubiläum, das 2024 für ihn ansteht. Am 18. August ist es 100 Jahre her, dass Bernd Rosts Großeltern Franz und Elsa die Bäckerei in der Schützenga­sse übernahmen und damit einen Familienbe­trieb begründete­n, in dem bis heute drei Generation­en langen Atem bewiesen. „Ich habe Franz nie kennengele­rnt. Wir haben uns um zwölf Jahre verfehlt“, sagt sein Enkel. Die zweite Bäcker-generation prägte Bernds Vater Roland.

Bernd Rost selbst wollte eigentlich als Journalist seine Brötchen verdienen. Nicht zuletzt war es die Westverwan­dtschaft, die diesem Berufsweg in der DDR im Wege stand.

So wurde aus dem jungen Mann, der ohnehin in der Backstube groß geworden ist, ebenfalls ein Bäcker und Konditor. 1982 schloss er seine Lehre ab, fünf Jahre später die Ausbildung zum Meister. 1996 übernahm er die elterliche Backstube.

Auch die närrische Ader erbte Bernd von seinem Vater. Roland Rost, seines Zeichens Vizepräsid­ent

des HWC, bekam 1982 ein Schriftstü­ck seines Sohnes zu lesen. Der 18-Jährige, der sich schon damals bestens in Weimars Karnevalsl­andschaft auskannte, hatte über jeden der Altvordere­n im Verein einen Zweizeiler verfasst. In Summe gefielen die den Eltern so gut, dass sie ihn in jenem Jahr zur nahezu staatstrag­enden Absaufe nach

der Saison mitnahmen. Dort durfte Bernd vortragen. Im Jahr darauf hielt er seine erste Bütt im Hwcprogram­m.

Der Anspruch an seine Rollen reichte von Beginn an über gefälligen Klamauk hinaus. So gab Rost schon vor der politische­n Wende einen Studenten der „Hochschule für angewandte Demokratie“. Bis heute hat er es sich bewahrt, das, was ist, zu hinterfrag­en. „Es schadet nicht, hin und wieder die Perspektiv­e zu wechseln. Ich schreibe eine 6, mein Gegenüber sieht eine 9. Und wir haben beide recht“, so Rost.

Auch sein eigenes Leben spart er beim Hinterfrag­en nicht aus. Anders als sein Großvater, der starker Raucher gewesen sei, ist er selbst gut ohne Zigarette durchs Leben gekommen. Inzwischen verzichtet er auch weitgehend auf Fleisch und Zucker, ohne dabei militante Strenge walten zu lassen. „Es ist eine Herausford­erung, wenn du durch die Bäckerei gehst und alles ruft: Iss mich!“, umreißt Rost die täglichen Verlockung­en. Seiner Kundschaft schreibt er den Verzicht nicht vor. „Beim Backen verwende ich Milch, Eier und Butter genauso wie Zucker. Viele meiner Kunden sind nun mal Traditiona­listen. Trotzdem bieten wir auch vegane Schokotort­e an“, sagt der Bäckermeis­ter. Die Traditiona­listen wird überdies freuen, dass er etliche Rezepte seiner Eltern bis heute unveränder­t nutzt – für den Mohnkuchen, die Sandhörnch­en oder die Quarktorte ohne Boden.

Wem er einmal seine Rezepte samt Backstube übergibt, weiß Bernd Rost noch nicht. „Die Kinder machen etwas anderes. Irgendwann werde ich hier abschließe­n. Und das war es dann. Aber darüber mache ich mir noch keine Gedanken. Ich denke nicht ans Aufhören.“

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MAIK SCHUCK/ARCHIV „Es war ein schönes Gefühl, nach oben zu schauen und wieder Haare zu sehen“, sagt Bernd Rost, der in diesem Jahr auf der Hwc-bühne mit Perücke James Bond gab.

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