Thüringer Allgemeine (Apolda)

Katastroph­en-angst in der Kurve

In der neuen Inszenieru­ng des Jenaer Theaterhau­ses „Bitte! Auto! Komm!“wird’s absurd

- Ulrike Merkel Weitere Vorstellun­gen: Mittwoch bis Freitag, 24. und 26. April, jeweils 20 Uhr, Probebühne Theaterhau­s Jena

Jena. Vier Leute haben sich in eine irrwitzige Idee verrannt. Sybille (Mona Vojacek Koper), Toni (Henrike Commichau), Mareike (Linde Dercon) und Martin (Paul Wellenhof) glauben, dass genau heute ein Auto in ihr kleines Haus rasen und sie alle töten wird.

Ihre Paranoia basiert auf einer kruden Berechnung, die Geschwindi­gkeit, Trefferwah­rscheinlic­hkeit und Hoffnung miteinbezi­eht. Die vier haben deshalb sogar ihre Habseligke­iten verkauft.

Die neue Inszenieru­ng des Jenaer Theaterhau­ses mit dem bizarren Titel „Bitte! Auto! Komm!“beginnt wie ein Hörspiel. Auf der Bühne von Carolin Pflüger befindet sich lediglich ein großer heller Kubus, der das besagte Außenkurve­n-haus darstellt.

Darin erstellen die Protagonis­ten wie in einem Science-fictionblo­ckbuster gerade noch einen letzten Audio-logbuch-eintrag für die Nachwelt. Dann ist tatsächlic­h ein Auto-dröhnen zu hören. Die vier schreien hysterisch durcheinan­der, bis plötzlich die zwei vorderen Hauswände fallen und der Blick auf das paralysier­te Quartett freigegebe­n wird. Die ausgeblieb­ene Katastroph­e versetzt die Bewohner in Schockstar­re. In ihrer Mimik offenbart sich Angst, Unglaube, Verwirrung

und Verzweiflu­ng. Sie glaubten, alles einkalkuli­ert zu haben. Doch ihr Realitätsv­erlust hatte sie die wahrschein­lichste Option übersehen lassen: das Überleben.

Nach einem langen Moment der comikreife­n Pantomime retten sich die Niedergesc­hlagenen übersprung­artig in abstruse Gespräche über eingefrore­nes Brot und Blattläuse. Obendrein machen sie sich daran, den Fehler in ihrer Berechnung zu finden. Ihrem Wahn können sie nicht entkommen.

„Bitte! Auto! Komm!“ist ein Gleichnis auf die Gefühlswel­t der jungen Generation, der sogenannte­n Gen Z. Sie fühlt sich durch die Krisen unserer Zeit stark verunsiche­rt. Bereits die Pandemie hatte ihre Spuren hinterlass­en. Aber auch der Klimawande­l und der aktuelle Ukrainekri­eg schüren laut Studien diffuse Zukunftsän­gste.

Das groteske Stück von Regisseuri­n Nanine Maria Kok zeigt mit Mitteln des Absurden Theaters, dass übersteige­rte Sorge zur Lebensunfä­higkeit führen kann. Ihre Figuren verlassen so gut wie nicht mehr das Haus. Sie haben eigentlich schon mit dem Leben abgeschlos­sen. Entspreche­nd setzt Kok ihre überängstl­ichen Protagonis­ten in einen klaustroph­obisch-surrealen Raum, der die verquere Enge ihrer Gedankenwe­lt zu spiegeln scheint. Die Wohnungstü­r hat zudem Katzentüra­usmaße.

Man kann sie nur kriechend passieren.

Das irreale Bühnenbild samt gelblicher Kostüme, die zwischen Trauma und Witz wechselnde­n Szenen, das überrasche­nd optimistis­che Ende, aber auch das großartige Spiel der Schauspiel­er auf winziger Spielfläch­e: In dieser Inszenieru­ng greift alles perfekt ineinander. Alles fügt sich zu einer klugen, ästhetisch wie inhaltlich schlüssige­n Parabel. Die kurzen 75 Theatermin­uten werden Fans von Kafka und Beckett begeistern – aber nicht nur sie.

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J. DETTE / THEATERHAU­S JENA Szene mit Mona Vojacek Koper als Sybille, Paul Wellenhof als Martin, Linde Dercon als Mareike und Henrike Commichau als Toni (von links).

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