Katastrophen-angst in der Kurve
In der neuen Inszenierung des Jenaer Theaterhauses „Bitte! Auto! Komm!“wird’s absurd
Jena. Vier Leute haben sich in eine irrwitzige Idee verrannt. Sybille (Mona Vojacek Koper), Toni (Henrike Commichau), Mareike (Linde Dercon) und Martin (Paul Wellenhof) glauben, dass genau heute ein Auto in ihr kleines Haus rasen und sie alle töten wird.
Ihre Paranoia basiert auf einer kruden Berechnung, die Geschwindigkeit, Trefferwahrscheinlichkeit und Hoffnung miteinbezieht. Die vier haben deshalb sogar ihre Habseligkeiten verkauft.
Die neue Inszenierung des Jenaer Theaterhauses mit dem bizarren Titel „Bitte! Auto! Komm!“beginnt wie ein Hörspiel. Auf der Bühne von Carolin Pflüger befindet sich lediglich ein großer heller Kubus, der das besagte Außenkurven-haus darstellt.
Darin erstellen die Protagonisten wie in einem Science-fictionblockbuster gerade noch einen letzten Audio-logbuch-eintrag für die Nachwelt. Dann ist tatsächlich ein Auto-dröhnen zu hören. Die vier schreien hysterisch durcheinander, bis plötzlich die zwei vorderen Hauswände fallen und der Blick auf das paralysierte Quartett freigegeben wird. Die ausgebliebene Katastrophe versetzt die Bewohner in Schockstarre. In ihrer Mimik offenbart sich Angst, Unglaube, Verwirrung
und Verzweiflung. Sie glaubten, alles einkalkuliert zu haben. Doch ihr Realitätsverlust hatte sie die wahrscheinlichste Option übersehen lassen: das Überleben.
Nach einem langen Moment der comikreifen Pantomime retten sich die Niedergeschlagenen übersprungartig in abstruse Gespräche über eingefrorenes Brot und Blattläuse. Obendrein machen sie sich daran, den Fehler in ihrer Berechnung zu finden. Ihrem Wahn können sie nicht entkommen.
„Bitte! Auto! Komm!“ist ein Gleichnis auf die Gefühlswelt der jungen Generation, der sogenannten Gen Z. Sie fühlt sich durch die Krisen unserer Zeit stark verunsichert. Bereits die Pandemie hatte ihre Spuren hinterlassen. Aber auch der Klimawandel und der aktuelle Ukrainekrieg schüren laut Studien diffuse Zukunftsängste.
Das groteske Stück von Regisseurin Nanine Maria Kok zeigt mit Mitteln des Absurden Theaters, dass übersteigerte Sorge zur Lebensunfähigkeit führen kann. Ihre Figuren verlassen so gut wie nicht mehr das Haus. Sie haben eigentlich schon mit dem Leben abgeschlossen. Entsprechend setzt Kok ihre überängstlichen Protagonisten in einen klaustrophobisch-surrealen Raum, der die verquere Enge ihrer Gedankenwelt zu spiegeln scheint. Die Wohnungstür hat zudem Katzentürausmaße.
Man kann sie nur kriechend passieren.
Das irreale Bühnenbild samt gelblicher Kostüme, die zwischen Trauma und Witz wechselnden Szenen, das überraschend optimistische Ende, aber auch das großartige Spiel der Schauspieler auf winziger Spielfläche: In dieser Inszenierung greift alles perfekt ineinander. Alles fügt sich zu einer klugen, ästhetisch wie inhaltlich schlüssigen Parabel. Die kurzen 75 Theaterminuten werden Fans von Kafka und Beckett begeistern – aber nicht nur sie.