Ein Navi für die zeitgenössische Performance-kunst
Das Theater Nordhausen schenkt drei jungen Choreografien Raum. Das Publikum ist hell begeistert
„Drei!“– So nennt Nordhausens Ballettchef Ivan Alboresi schlicht das kleine Tanz-performance-experiment, jungen, internationalen Choreografen Spielräume zu öffnen, um sie sich und ihren Kosmos an Ideen auszuprobieren. Prompt weht ein Wind von großer, weiter Welt durch die Kleinstadt.
Beim Titel denkt man an erst an die sprichwörtlich „guten Dinge“und alsbald, etwas komplizierter, an Triangulation; das meint die Alltag gewordene, diffizile Technik zur Standortbestimmung per Satellitennavigation. Und doch: Im Tanz wird‘s magisch. Nordhausens Ballettensemble dringt in fremde Welten vor.
Von einem anderen Stern kommt „IP/2061“, eine vom Halleyschen Kometen inspirierte Arbeit des Sizilianers Giovanni Insaudo. In Spanien ausgebildet und längere Zeit am Münchner Gärtnerplatz zu Hause, erkundet er der Menschen Sehnsucht nach kosmischer Unendlichkeit. In nachtblaues Licht taucht er die Bühne, füllt den Raum mit sphärischen Soundscapes und lässt Schattenwesen in den Himmel stieren.
Das wirkt sehr statisch und allmählich, in kalkulierter Langsamkeit, bewegend schön: Veränderlich
die Positionen auf kreiselnder Drehscheibe und die Figuren dieser Wesen, die ihr Verhältnis zueinander, zu den Körpern im Raum behutsam ausmessen, dennoch wissend, dass wir, wie jeder Astrophysiker gesteht, über 90 Prozent dessen, was da draußen im All vorgeht, nichts verstehen. Ihr Staunen steckt an, archaische Magie macht sich breit.
Viel irdischer hat Max Levy seine „Sketches of Atmosphere“organisiert. In Tokio geboren, kam er über San Francisco und New Jersey (USA) nach Nürnberg, arbeitete als Tänzer mit John Neumeier und anderen Größen. Nun schickt er eine Handvoll Tänzer in Freizeit-batikklamotten in einen Wald aus Mikrophonen. Ihr schlichtes Händeklatschen verkompliziert sich rhythmisch per Rückkopplung mit dem Lautsprechersystem, so dass mal dieser, dann jene sich zu bizarren Leibesdehnungen animiert fühlt. Weitgehend bleiben die Akteure aufs Soli(psi)stische konzentriert. Doch geht es in dieser letztlich hermetischen Performance offenbar darum, das interaktive Verhältnis von Sound und Bewegung zu studieren.
Ganz anders die Krönung des Abends. Tu Hoang (Rotterdam/hanoi) und Hiro Murata (Kanagawa in Japan), die als Team im Choreografie-wettbewerb Hannover gewannen, verwandeln die gesamte Nordhäuser Compagnie zu Fernost-reisenden, zu „Travelers“. Im Dreiklang von Licht, Sound und Bewegung liegt ein lebloser Körper im Trockeneisnebel; dann okkupieren Schatten den dystopischen Ort, nehmen den durch ihr energetisches Dasein Beseelten in ihre
Gruppe auf. Die Schemen formieren sich zu einem einzigen, ganzheitlichen Organismus, und zu basalen Trommelklängen entwickelt sich dessen ritueller Tanz. Das löst sich wie aus Trance, gewinnt mitreißenden Drive und strotzt, trotz eigentlich einfachen Körpersprachen-repertoires, dank perfekt homogener Koordination unbändig vor Vitalität. Diese Gänsehaut evozierende Arbeit lässt keinen kalt, das Publikum feiert das Ensemble samt Gast-choreografen geradezu euphorisch. – Die (Tanz-)welt war zu Gast in Nordhausen.
Einzige weitere Aufführung:
30. Mai im Theater Nordhausen