Virtuelle Influencer im Einsatz
Wenn die KI die Social-media-welt erobert: Chancen und Grenzen der Online-persönlichkeiten
Berlin. Was sind eigentlich virtuelle Influencer und wo begegnen wir ihnen? Vera Kristina Lenz-kesekamp, Vizepräsidentin für Digitalisierung und Professorin für Marketing mit Schwerpunkt in Onlinemarketing und Social Media an der Euro FH Hamburg, und Tobias Kesting, Professor für Marketing und Innovation an der APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft in Bremen, erklären im Interview, was es mit diesem Phänomen auf sich hat und wie virtuelle Influencer die Nutzerinnen und Nutzer beeinflussen.
Frau Lenz-kesekamp, Herr Kesting, was sind virtuelle Influencer?
Tobias Kesting: Wir sprechen bei virtuellen Influencerinnen und Influencern (VIS) von computergenerierten Persönlichkeiten, also Avataren, die von einem Projektteam erstellt, bearbeitet und gepflegt werden. Wir sehen viele virtuelle Influencer mit eigenen Social-mediaauftritten. Sie haben also, wie reelle Influencer, die Möglichkeit, als Meinungsführerinnen und Multiplikatoren zu agieren und eine breite Anhängerschaft in Form vieler Follower zu generieren. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das kein ganz neues Phänomen ist. Sehr bekannt ist sicherlich die britische Videospielikone Lara Croft, die 1994 entstanden ist. Sie können wir als Urform der virtuellen Influencerinnen und Influencer begreifen. Heutige Beispiele sind vor allem Lil Miquela und Noonoouri.
Vera Lenz-kesekamp:
Diese neue Form der Influencer ist in den letzten Jahren in Amerika und Asien entstanden. Man kann virtuelle Influencer noch weiter unterteilen: Es gibt virtuelle Models, virtuelle Influencer, die markenunabhängig sind und für sich selbst agieren, sowie virtuelle Markenbotschafterinnen und -botschafter.
Wer steckt hinter den Online-persönlichkeiten?
Vera Lenz-kesekamp: Meistens sind das Unternehmen oder Agenturen. Die Schöpferinnen und Schöpfer, die dahinterstehen, möchten häufig ein Produkt oder eine Dienstleistung bewerben. Es steckt somit ein ganzes Team dahinter und keine einzelne Person.
Tobias Kesting: Wir haben es mit einer künstlichen Personenmarke zu tun. Je mehr Input der virtuelle
Influencer erhält, desto mehr wird er zu einer Personenmarke mit eigenem Charakter, eigener Story und eigenem Leben.
Wofür werden diese Online-persönlichkeiten eingesetzt?
Tobias Kesting: Letztlich lassen sich virtuelle Influencer für fast alles einsetzen: für verschiedene Kampagnen, für Werbung, Unternehmens-pr und soziale Botschaften. Auch Wahlwerbung ist zum Beispiel denkbar. Das Ziel ist, Aufmerksamkeit zu generieren und Markensichtbarkeit zu schaffen.
Gibt es bestimmte Kriterien, die erfüllt werden müssen, damit virtuelle
Influencer erfolgreich sind?
Vera Lenz-kesekamp: Influencermarketing und Influencer sein ist ja nichts Neues. Der Begriff, der dahintersteckt, ist die sogenannte Meinungsführerschaft.
Das gab es schon früher auf dem Marktplatz, zum Beispiel mit Marktschreiern, die lauthals Produkte an die Frau und an den Mann bringen wollten.
Das Wichtigste ist dabei, dass es eine Überschneidung mit den Bedürfnissen einer Zielgruppe gibt. Ein Influencer kann ein Vorbild sein und eine Inspiration darstellen. Es gibt drei Merkmale von Meinungsführerinnen und Meinungsführern: hohe Innovationskraft, Nutzung von Special-interest-medien und Beeinflussung von Menschen, die ihnen selbst ähnlich sind. Das ist das Spannende an VIS: Sie können ihre Persönlichkeit so anpassen, dass sie der Zielgruppe ähnlich werden, somit sind die Übergänge von einer Persönlichkeitsausprägung zu der nächsten sehr fließend.
Menschliche Influencer haben hingegen ihre eigene Persönlichkeit, mit der sich die Zielgruppe identifizieren muss. Bei VIS ist es andersherum. Deshalb können sie genauso erfolgreich sein wie menschliche Influencer auch.
Sind Ki-influencer eine Bedrohung für die Arbeit „echter“Influencer?
Vera Lenz-kesekamp: Ja und nein. Die Grenzen zwischen echten und virtuellen Influencern verschwimmen immer mehr. Auch bei menschlichen Influencern geht es darum, sich selbst zu inszenieren. Auf der einen Seite kann dies eine Bedrohung sein, weil VIS alle Bedürfnisse der Zielgruppe bedienen können. Das können Menschen nur bedingt. Auf der anderen Seite haben wir Menschen immer, auch im digitalen Raum, das Bedürfnis nach Menschlichkeit und Gemeinschaft mit anderen (realen) Personen. Da stehen VIS hintan.
Tobias Kesting: Das ist eine ganz klare Grenze von VIS. Sie sind und bleiben fiktive Figuren. Bei Lara Croft gab es damals Darstellerinnen, die die Figur auf Events repräsentierten. Das ist aber letztlich nichts anderes, als wenn ich mich im Disney Land mit der Donaldduck-figur fotografieren lasse. Die Persönlichkeit dahinter fehlt und das wissen die Menschen. VIS sind in der Hinsicht nicht so greifbar.
Ist eine neue Medienkompetenz nötig, um mit den neuen Phänomenen umgehen und sie einordnen zu können? Vera Lenz-kesekamp: Ja, unbedingt. Zum einen sollte man ein gewisses Verständnis dafür haben, wie Kommunikation und Informationsfluss im digitalen Raum funktionieren. Inhalte müssen kritisch eingeordnet werden. Außerdem sollte man wissen, wie man mit sensiblen Daten umgeht und diese auch schützen kann. Zum anderen ist das Bewusstsein darüber, dass die künstlichen Inhalte eine Belastung für die Psyche sein können, wichtig.