Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
„SPD muss Wähler von der AfD zurückgewinnen“
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer gibt dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz einige Wahlkampf-Tipps
Berlin.
Sie glaubt immer noch an den Schulz-Effekt. Malu Dreyer, Regierungschefin von Rheinland-Pfalz, rät dem SPDKanzlerkandidaten, nach drei Wahlniederlagen in den Ländern die Nerven zu bewahren und weiter auf Gerechtigkeitsthemen zu setzen – vor allem in Fragen der Bildung.
Sie haben den letzten großen Wahlsieg der SPD eingefahren: 36,2 Prozent gegen die CDU-Kandidatin Julia Klöckner, vor mehr als einem Jahr. Was ist bei den jüngsten Wahlen schiefgelaufen, Frau Dreyer?
Viele hatten mich damals ja schon abgeschrieben. Drei Monate vor der Landtagswahl lag die SPD in den Umfragen zehn Prozentpunkte hinter der CDU. Am Ende hatte ich fünf Punkte Vorsprung und keiner kam auf die Idee zu sagen: Das war der Sieg von Sigmar Gabriel. Jeder sagte: Das war der Sieg von Malu Dreyer. Genauso wenig haben die Niederlagen in Nordrhein-Westfalen und SchleswigHolstein mit Martin Schulz zu tun. Landtagswahlen sind Landtagswahlen.
Warum ist es Hannelore Kraft und Torsten Albig nicht gelungen, ihren Amtsbonus zu nutzen?
Das werden unsere Freunde in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein analysieren. Ich habe am vergangenen Sonntag eine ganz tolle Kollegin verloren. Die Niederlage von Hannelore Kraft in NRW ist einschneidend. Aber man kann jetzt ganz sicher nicht fragen: Was ist los mit der SPD? Wir stellen seit Jahren mit Abstand die meisten Ministerpräsidenten.
Gibt es den Schulz-Effekt?
Den gibt es auf jeden Fall, da bin ich ganz sicher.
Können Sie ihn beschreiben?
Im Januar standen wir bei 20 Prozent. Jetzt stehen wir bei 26 oder 27 Prozent ...
... Tendenz sinkend.
Martin Schulz hat die Fähigkeit, Kernthemen der Sozialdemokraten sehr authentisch rüberzubringen. Er lebt, was er sagt. Verloren gegangene Landtagswahlen sind kein Vorzeichen für die Bundestagswahl. Es wird jetzt darauf ankommen, dass wir in den nächsten Monaten einen sehr guten Wahlkampf machen. Martin Schulz muss seiner Linie treu bleiben. Wenn es stürmt, darf man nicht nervös werden. Unser Kanzlerkandidat hat einen sozialdemokratischen Kompass, den wir jetzt mit Konzepten unterlegen müssen.
Ist es schlau von Schulz, ausgerechnet Deutschland als ungerechtes Land zu beschreiben?
Er sagt ja nicht, dass es Deutschland schlecht geht. Martin Schulz sagt: In Deutschland geht es nicht allen gut. Nicht jeder profitiert vom Fortschritt und Wohlstand unseres Landes. Das muss man ansprechen als Sozialdemokrat. Eine entscheidende Gerechtigkeitsfrage ist die Bildung. Es kann keine soziale Gerechtigkeit geben, wenn es keine Bildungsgerechtigkeit gibt.
Parteien, die auf einfache Lösungen setzen, haben auch in Deutschland einigen Erfolg. In Nordrhein-Westfalen sind viele SPD-Wähler zur AfD abgewandert. Haben Sie darauf eine Antwort?
Es bereitet mir Sorge, dass die AfD in einen weiteren Landtag eingezogen ist. Unser Ziel muss sein, die Rechtspopulisten aus allen Parlamenten herauszuhalten. Jetzt geht es darum, diejenigen AfD-Wähler, die kein geschlossenes rechtes Weltbild haben, sondern Protestwähler sind, zurückzugewinnen. Mit Gerechtigkeitsthemen kann der SPD das gelingen.
Sie regieren in Rheinland-Pfalz mit Grünen und FDP. Können Sie Ihrem Kanzlerkandidaten eine Ampelkoalition empfehlen?
Wir haben eine sehr gute Koalition, und ich würde eine Ampel auch immer empfehlen. Man kann mit diesem Bündnis eine ganz große Bandbreite in der Gesellschaft erreichen und sehr unterschiedliche Bedürfnisse abdecken.
Schulz hat eine Koalition mit der Linkspartei immer noch nicht ausgeschlossen ...
In eine Wahl geht man am besten, indem man für die eigene Stärke kämpft. Wir kämpfen für die SPD und unsere Inhalte und nicht für eine Koalition. Wir müssen noch stärker werden. Wir können das auch schaffen. Und dann muss man sich fragen: Welche Parteien teilen unsere Positionen?
Was bedeutet das für Rot-Rot?
Man kann nicht mit einer Partei koalieren, die gegen den Euro ist und Zweifel an der Nato-Mitgliedschaft hat. Das kann die SPD nicht mitmachen.
Der Merkel-Regierung gehören sieben Frauen an. Wäre es wichtig, dass ein Kanzler Schulz diese Quote übertrifft?
Ich halte es für wichtig, dass Frauen und Männer und ihre jeweiligen Sichtweisen in einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung gleichermaßen vertreten sind. 50:50 wäre eine gute Konstellation.
„Der Politikbetrieb in Berlin kann sehr brutal sein. Zwischen Hochjubeln und Abschreiben liegen manchmal nur Wochen.“
Warum haben so wenige Ministerpräsidenten noch Ambitionen auf eine führende Rolle in der Bundespolitik – anders als einst Helmut Kohl oder Gerhard Schröder?
Das waren damals alles Männer. (lacht) Viele Ministerpräsidenten fühlen sich ganz ihrem Land verpflichtet – und über den Bundesrat können wir in Berlin ja stark mitwirken. Der Politikbetrieb in Berlin kann sehr brutal sein. Das haben viele Beispiele in der Vergangenheit gezeigt. Zwischen Hochjubeln und Abschreiben liegen manchmal nur Wochen. Und man macht schon als Ministerpräsidentin viele Abstriche, was das Private betrifft. Man stellt sich ganz in den Dienst des Landes. Das mache ich gerne und mit Leidenschaft.
Sie können sich einen Wechsel nach Berlin also nicht vorstellen?
Ich fühle mich in RheinlandPfalz absolut wohl. Ich möchte nach dieser Wahlperiode noch einmal als Ministerpräsidentin antreten. Ein Wechsel nach Berlin ist im Moment kein Thema für mich.