Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Lust auf Homer
In seinem Buch „Die Odyssee“nähert sich der Altphilologe Jonas Grethlein der Kunst des Erzählens
Unzweifelhaft ist sie einer der größten Schätze der Weltliteratur: Homers „Odyssee“. Kein Kanon, der etwas auf sich hält, kommt um die so lebendig besungenen Irrfahrten des Odysseus herum, dieses von den Göttern geplagten Königs der Insel Ithaka. Weit bis ins vergangene Jahrhundert hinein gehörte in Europa das griechische Epos – neben Homers „Ilias“– zu den Grundlagen jeder Bildung.
In seinem Buch „Die Odyssee“nähert sich der Heidelberger Altphilologe Jonas Grethlein der homerischen Kunst des Erzählens. Was fesselt noch heute von den Abenteuern des listigen Erfinders des Trojanischen Pferdes, der nach dem Willen der Götter zehn Jahre über die Meere irrt, bevor er wieder in die Arme seiner Frau Penelope und seines Sohnes Telemach fallen darf?
Für Grethlein ist das Faszinierende an der „Odyssee“, dass sich die Spannung weniger auf das Was – immerhin wird die Heimkehr des Helden schon während der Lektüre von Wahrsagern vorweggenommen – sondern auf das Wie fokussiert. Hier zieht er augenzwinkernd den Vergleich zu Ian Flemings „James Bond“heran, bei dem auch von vornherein klar ist, dass „007“am Ende jeden Widersacher zur Strecke bringt.
Die packende Frage lautet bei beiden: Wie wird er sich aus den Gefahren befreien? Bei allen Unterschieden zu Homer sieht Grethlein in der Parallele zur antiken Literatur eine Erklärung, warum viele Menschen etwa auch Romanzen und Arztromane lesen: Weil es mitreißend sei, „wie ein von Anfang an absehbares Ende erreicht wird“. Die 12 110 Verse der „Odyssee“nennt der 38-jährige Alt- philologe eine „intellektuelle Herausforderung und ästhetisches Vergnügen zugleich“.
„Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, / Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung.“Generationen von Schülern und Studenten kannten diese ersten Voß’schen Verse der „Odyssee“auswendig.
Homers Epos hat wie kaum ein anderes Werk die abendländische Literaturgeschichte beeinflusst. Durch Grethleins Buch wird einem bewusst, warum das so ist. Es zeigt: Vielleicht ist es (wieder) einmal Zeit, selbst zum Homer zu greifen.
Jonas Grethlein: Die Odyssee. Homer und die Kunst des Erzählens, C. H. Beck, Seiten, , Euro