Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Erfurts Liebe zu den zwei Begonien
Die Stadt versucht, mit 1,4 Millionen Euro ein Emil-Nolde-Bild zurückzukaufen. Sie scheitert bei der Auktion an einem Privatsammler
Erfurt.
„Man drohte damals“, spottete einst George Grosz, „gelegentlich den unartigen Kindern: ,Du, ich sag’s dem Nolde, der holt Dich sofort ab und schmiert Dich auf die Leinwand.‘“Wie Künstler halt so unteroder eben übereinander reden; man konnte das bis vor zwei Wochen in einer Ausstellung des Nordhäuser Kunsthauses Meyenburg lesen.
Mag darin eine pointierte Stilkritik liegen, so gewiss aber nicht diese: „entartete Kunst“. Dieses nationalsozialistische Etikett haftete schließlich beiden an, vielen anderen auch.
Das gipfelte 1937 in einer großen Ausstellung, die ein großer Publikumserfolg wurde und zugleich ein propagandistischer Misserfolg, weil die Leute einfach großartige Kunst sehen konnten – sowie aber im endgültigen Verbot moderner Kunst: Sie wurde zerstört oder verkauft. Allein von Nolde verschwanden über 1000 Bilder aus den Museen. Als Raubkunst gilt das heute aber nicht.
Jena zum Beispiel verlor derart die Sammlung des früheren Kunstvereins: Bilder von Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, August Macke, Franz Marc oder – Emil Nolde.
Und gleiches traf Erfurt: Aus dem Städtischen Museum wurden 14 expressionistische Ölgemälde in der Neuen Galerie entfernt. Eines davon tauchte nun 80 Jahre später wieder auf dem Kunstmarkt auf: Emil Noldes „Begonien“von 1929, die das Museum im Jahr darauf für 8000 Mark bei der Berliner Galerie Möller ankaufte. Dies sei „der bis dato teuerste Museumsankauf eines NoldeGemäldes“gewesen, heißt es heute.
Sieben Jahre später nur verschwand es wieder, 1939 dann ersteigerte es ein Schweizer Privatsammlung in Luzern für 2900 Franken.
Nach dem Krieg hing das Bild vereinzelt noch in Ausstellungen, in Recklinghausen, Zürich und München, zuletzt 1964 in Lausanne. Heute vor einer Woche nun kam es erneut untern Hammer: in der Berner Galerie Kornfeld. Dort erhielt wiederum ein Privatsammler den Zuschlag, für eineinhalb Millionen Euro. Das war dann doch etwas zu viel für die Stadt Erfurt, deren Kulturdirektion in Bern mitgeboten hat. Ihr Budget betrug: 1,433 Millionen. Dass sie dieses Geld binnen drei Monaten auftreiben konnte, ist allerdings bemerkenswert genug – zumal die Landeshauptstadt finanziell denkbar schlecht dasteht, was nicht zuletzt Museen sehr zu spüren bekommen. Für Nolde aber warb man einer Mitteilung vom Mittwoch zufolge Geld bei Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Berlin und der Thüringer Staatskanzlei ein, auch bei der Kulturstiftung der Länder sowie der Ernst von Siemens Kunststiftung.
Erfurt beteiligte sich mit 100 000 Euro, aus dem Haushalt zusammengekratzt – ein gerade in dieser Zeit außergewöhnlicher Vorgang. „Die Begeisterung war einhellig“, berich- tet Kai Uwe Schierz, Direktor der Kunstmuseen, aus dem Kulturausschuss. Auch der Stadtrat insgesamt hat „großartig reagiert“, wird Kulturdezernentin Kathrin Hoyer zitiert.
Gescheitert ist man in Bern letztlich „nur an dem einen Sammler, der partout nicht loslassen wollte“, so Schierz. Der Mann trägt privat Expressionisten zusammen, fürs Berner Kunstmuseum, wie vermutet wird.
Kai Uwe Schierz ist gleichwohl nicht ohne Hoffnung: „Jemand, der dazu bereit ist, hat vielleicht auch ein Herz für die wunderbare Stadt Erfurt.“Er will versuchen, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen.
Dabei hält selbst er das Bild zumindest vordergründig für nicht besonders attraktiv: Zwei Topfpflanzen, eine rote und eine gelbe Begonie, auf einer Tischdecke, „relativ unprätentiös von Hintergrund umfangen“.
Nolde jedoch erweist sich auf dem Bild als „absoluter Kolorist“, so Schierz, mit explodierenden Farben. Der Auktionskatalog stellte das Bild als ein Hauptwerk Noldes vor.
Im Angermuseum hätte es nun eine expressionistische Position in der Sammlungssparte der Stillleben einnehmen sollen. Bislang ist die Stilrichtung im Haus allein durch Erich Heckel vertreten, mit einer Landschaft von 1925 sowie vor allem mit seinen zwischen 1922 und 1924 entstandenen Wandmalereien im Heckel-Zimmer: laut Museum „die wichtigsten erhaltenen Wandbilder des deutschen Expressionismus“.
Zwar verfügt auch dieses Haus nicht über millionenschwere Mäzene aus der Schweiz. Mithilfe eines privaten Sponsors, „der uns nachhaltig unterstützt“, so Kai Uwe Schierz, kann man jetzt aber immerhin die Beleuchtung im Heckel-Zimmer verbessern. Eine computergestützte Info-Ecke kommt ebenfalls hinzu. Erich Heckel hatte in Dresden die Künstlergruppe „Brücke“mitbegründet, der später auch Emil Nolde kurzzeitig angehörte; ihrem einheitlichen Konzept aber wollte er sich nicht dauerhaft verpflichten lassen.
Wohin unterdessen neben dem Nolde die anderen 13 Gemälde nach 1937 verkauft und versteigert worden sind, weiß man im Erfurter Mu- seum ziemlich genau. So gehören heutzutage zum Beispiel zwei Landschaften von Christian Rohlfs zum Landesmuseum Münster, ein Wassily Kandinsky zum Guggenheim-Museum New York und ein GelmerodaBild Lyonel Feiningers zum Walker Art Center in Minneapolis.
Als die „Begonien“aus Erfurt 1939 in Luzern versteigert wurden, bot übrigens ein gewisser Hans Fehr aus Muri mit: ein Schweizer Rechtshistoriker, der von 1906 bis 1912 in Jena gelehrt hatte. Fehr, seit Jahrzehnten eng mit Nolde befreundet, war es, der bei der Auktion „auf Wunsch des Künstlers die Preise für Nolde stützte“, las man jetzt im Berner Katalog. Für sich selbst ersteigerte Fehr Noldes „Christus und die Sünderin“.
In Jena hatte Fehr 1908 den Vorsitz des Kunstvereines übernommen, im selben Jahr besuchte ihn Nolde erstmals an der Saale. Der Künstler malte in Jena und Cospeda zehn Ölbilder und 40 Aquarelle.
Zur besonderen Geschichte Emil Noldes gehört aber auch, dass er als Künstler zum NS-Opfer mit Berufsverbot wurde, obwohl er glühender Hitler-Jünger und Antisemit der allerersten Stunden war – und es blieb.
Er hoffte, als nordisch und staatstragend zu gelten: „besonders weil ich von Beginn der Nationalsozialistischen Bewegung als fast einzigster deutscher Künstler im offenen Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst, gegen das unsaubere Kunsthändlertum und gegen die Machenschaften der Liebermannund Cassirerzeit gekämpft habe“. So schrieb er 1938 an Propagandaminister Joseph Goebbels. Vergeblich.
Museumschef Schierz will mit dem Sammler sprechen
Nolde war Nationalsozialist und als Künstler NS-Opfer