Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Mexikanische Ritter und Arnstädter Teddys
Vor 64 Jahren brachten einige Oberschüler und ein rühriger Lehrer Swing und Rock ‘n‘ Roll in die Provinz
1953 gab es noch Lebensmittelkarten und viel zu wenig Wohnungen, hinterm Friedrich-Ebert-Platz wurden die ersten Neubaublöcke errichtet. Und in der Erweiterten Oberschule am Schlossplatz fanden sich einige 16-Jährige zusammen, die gern zusammen Musik machen wollten. Gerd Walther konnte Klavier spielen und ein wenig Blockflöte, Gerd Kahl beherrschte ebenfalls das Klavier. Günther Hundertmarck versuchte sich auf Akkordeon und Trompete und Jochen Waldmann am Bass.
Die Leidenschaft fürs Musizieren teilten sie mit dem jungen Lehrer Frithjof Thiele. Der hatte aus der französischen Kriegsgefangenschaft nicht nur die Liebe zum Jazz mitgebracht, sondern auch jede Menge Schallplatten. So saßen die Jungs so manchen Abend bei ihrem Lehrer und ließen sich anstecken. Der Jazz war in Arnstadt angekommen.
„Wir haben an den Kurzwellensendern wie AFN oder Radio Luxemburg gehangen und uns gegenseitig angestachelt“, erzählt Gerd Walther. Aufzeichnungsmöglichkeiten wie Tonbandgeräte gab es noch nicht, also mussten sie das Gehörte sofort in Noten umsetzen, um es selbst spielen zu können. Der Lehrer Frithjof Thiele war nicht nur Spiritus Rector der Band, er konnte auch Schlagzeug und Klavier spielen. Damit war die Besetzung komplett. Woran es noch mangelte, waren ein Name und eigene Instrumente. Frithjof Thiele fand, die Band könne doch „Caballeros Mexicanos“heißen, was soviel wie „mexikanische Ritter“bedeutet. Das hatte zwar mit Swing und Rock ‚n‘ Roll kaum etwas zu tun, aber das Kind hatte einen Namen. Und der klang nicht englisch, was damals von gewisser Bedeutung war.
Die Sache mit den Instrumenten lösten sie mit Unterstützunvon Jochen Waldmanns Vater. Der war Direktor des Arnstädter Milchhofs und konnte so etwas besorgen. Unter anderem auch ein Tenorsaxofon, das zwar niemand spielen konnte, das aber oft bei der Musik vorkam, die sie machen wollten. So brachte sich Gerd Walther auf einem geborgten Instrument selbst das Saxofonspielen bei. „Ich hatte eigentlich fast mein ganzes Musikerleben lang nur geborgte Saxofone“, sagt er heute. Das erste eigene kaufte er sich nach der Wende.
Zum ersten Mal sind die „Caballeros Mexicanos“beim „Penneball“aufgetreten. Aber auch bei den Ernteeinsätzen der Schüler in den benachbarten Dörfern 1954/55 spielte die Band. Sülzenbrücken war eine der Hochburgen der „Caballeros Mexicanos“.
Geprobt wurde in der Aula der Oberschule am Schlossplatz, bis die Schüler die „Penne“verließen. Dann suchten sie sich eine neue Probenmöglichkeit im Ju-
Arnstadt.
gendklubhaus in der Karolinenstraße. Dort wurde danach auch zusammen Bier getrunken. „Die Atmosphäre war richtig schön, t, unvergesslich“, so Gerd Walther. Die Besetzung wechselte, einige gingen nach dem Abitur weg, Ulli Schmidt, Manfred Seeber und Hans-Jürgen Starke, der später durch Karikaturen bekannt wurde, kamen in die Band. Und es war die Zeit des Rock ’n’ Roll von Elvis Presley, Bill Haley und anderen. Auch diese Entwicklung fand Eingang ins Repertoire. Die neuen Titel kamen bei den Fans im Chema-Klubhaus oder in der Karolinenstraße an. Getanzt wurde nicht nur am Abend. Es gab den „Tanztee“am Sonntag um 15 Uhr für das etwas jüngere Publikum. Etwa ab 1956 nannte die Band sich „Arnstädter Tanzrhythmiker“.
Gerd Walther ging 1958 zum Studium, die Band löste sich auf. Als er 1961 wiederkam, stieß er zu den „Arnstädter Teddys“. Damals spielten Musiker wie Klaus Orlovius, Georg Richtsfeld, Harald Wahl und Rudolf Richter in dieser Band, auch Herbert Dietze war gelegentlich dabei. Nach und nach verließen die alten Mitglieder die Band, dafür kamen bis 1962 Freunde aus früheren Zeiten zu den Teddys. Mit Günther Hundertmarck, HansJürgen Starke, Ulli Schmidt, Arnd Effenberger, Gerd Kahl, und Gerd Walther bildete sich eine lange erfolgreiche Stammbesetzung. Die „Arnstädter Teddys“wurden Sieger im Bezirksausscheid der Laientanzkapellen, erreichten als erste Arnstädter Tanzkapelle eine Einstufung in der Sonderklasse sowie beim DDR-Ausscheid 1962 das Prädikat „Sehr gut“. Lohn waren zahlreiche Rundfunkaufnahmen, eine Band aus Arnstadt war plötzlich bei Radio DDR zu hören. Wermutstropfen dieser Popularität war allerdings, dass Gitarrist Ulli Schmidt von eine Berliner Profi-Big-Band abgeworben wurde.
Die Bandnamen wechselten, später hießen die „Teddys“„Gerd-Kahl-Quintett“und Siegfried Foch kam zur Band. Der Erfolg blieb der Band treu und machte die Arnstädter Musikszene weit über die Kreis- und Bezirksgrenzen bekannt.
Vom Repertoire her fühlte sich die Band nach wie vor dem Jazz verpflichtet, mit der neuen Musik der Beat-Ära konnten die Musiker wenig anfangen. „Der Verstärker-Sound war uns fremd“, sagt Gerd Walther. „Wir haben nie die Kurve gekriegt und wollten auch nicht“.
Das „Gerd-Kahl-Quintett“machte viele Jahre lang gute Musik – mehr und mehr aber als Band für Künstlerbegleitung, für Tanzstundenabschlussbälle und Tanzturniere. Die Bühnen und die Herzen jugendlicher Fans eroberten nun andere. Die Musik wurde lauter, die Haare wurden länger. Mit den „Comets“kam der Beat in Arnstadt an.
Von Tanzrhythmikern zu den Teddys