Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Endspiel um die Macht

Die CSU droht Merkel mit einem Alleingang in der Flüchtling­spolitik – und stellt ein neues Ultimatum

- Von Kerstin Münsterman­n, Tim Braune und Christian Unger

Berlin. Es ist ein Showdown, eine Situation, die an Dramatik kaum zu überbieten ist. Deutschlan­d befindet sich mitten in einer Regierungs­krise. Ausgang unbekannt. Der Zwist zwischen CDU und CSU über die richtige Flüchtling­spolitik hat sich zu einem Machtkampf entwickelt, bei dem alles möglich scheint – auch ein Aufkündige­n der Fraktionsg­emeinschaf­t der Union aus CDU und CSU. Im Kern streiten CSU und CDU seit Tagen darüber, ob auch Asylbewerb­er ohne Papiere sowie bereits abgeschobe­ne Bewerber wie von der CSU gefordert nicht mehr über die deutsche Grenze gelangen dürfen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) pfiff am Montag ihren Bundesinne­nminister Horst Seehofer zurück, der CSU-Chef musste die Vorstellun­g seines „Masterplan­s Migration“absagen. Am Dienstag kam es zum Aufstand in der Unionsfrak­tion gegen Merkel. Viele Abgeordnet­e unterstütz­ten Seehofers Plan. Am Mittwochab­end hatte es ein Krisentref­fen zwischen CDU und CSU im Kanzleramt gegeben, ohne Einigung. Am Donnerstag dann sammeln beide Seiten ihre Truppen: Erst berät das CDU-Präsidium – und stellt sich hinter die Kanzlerin. Man unterstütz­e Merkels Initiative für bilaterale Vereinbaru­ngen mit EU-Partnern.

Um 11.30 Uhr treffen sich die Alexander Dobrindt, CSU-Landesgrup­penchef

CDU- und CSU-Abgeordnet­en zu getrennten Sondersitz­ungen. Seehofer droht der Kanzlerin mit einem Alleingang. Sollte es keine Einigung über die Zurückweis­ung von Asylbewerb­ern an der Grenze geben, will Seehofer notfalls per Ministeren­tscheid handeln – also die Zurückweis­ungen von Flüchtling­en kraft seines Amtes anordnen – ohne Zustimmung Merkels. Wohl wissend, dass sie es kategorisc­h ablehnt. Schon am Montag will sich Seehofer dafür den Auftrag des CSU-Parteivors­tands holen. Was danach passiert, ist unklar. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt kommt als einer der Ersten mit ernster Miene und verschränk­ten Armen am Donnerstag, um kurz nach elf Uhr, auf die Fraktionse­bene. „Wir stehen vor einer historisch­en Situation“, sagt er mit Blick auf die getrennten Sitzungen der Unions-Fraktion. Der CSU gehe es um die „Neuordnung des Asylsystem­s“. Die Entscheidu­ngen dazu müssten „jetzt fallen“. Es sei nötig, die Flüchtling­e, die bereits in einem anderen europäisch­en Land registrier­t sind, zurückzuwe­isen.

Im CDU-Teil der Fraktion wirbt die Kanzlerin dagegen um Unterstütz­ung für ihren Plan. Sie bittet die CDU-Abgeordnet­en um Vertrauen und Zeit bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel. Sie wolle bis dahin tief greifende Fortschrit­te für eine gemeinsame Asylregelu­ng in der EU erreichen. Etwa bilaterale Abkommen mit den Haupt-Ankunftslä­ndern Italien und Griechenla­nd.

Als erster Redner nach Merkel ergreift Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble das Wort. Der 75-Jährige stellt sich hinter den Kurs der Kanzlerin. Für seine Rede gibt es starken Applaus. Der dienstälte­ste Bundestags­abgeordnet­e mahnt: Er sei der Einzige, der 1976 erlebt habe, wie der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß in Wildbad Kreuth das Ende der Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU verkündete. Schäuble warnt eindringli­ch: Das darf nie wieder vorkommen. Sein Wort hat Gewicht. Dennoch: „Es wird knapp“, „Lage sehr ernst“, steht in SMS, die CDU-Abgeordnet­e aus dem Fraktionss­aal schicken.

Im Saal nebenan skizziert Seehofer seinen Alleingang: Sollte es keine Einigung geben, wolle er notfalls per Ministeren­tscheid handeln und seinen Masterplan vorstellen, und dazu am Montag den Auftrag des CSUVorstan­des einholen. Doch Seehofer wirke getrieben, so erzählt einer. Ginge es nur nach ihm, so würde ein Kompromiss erzielt. Wirklich? Es ist schwer zu sagen an diesem denkwürdig­en Tag.

„Wir stehen vor einer historisch­en Situation.“

„Wir bewegen uns nicht“, heißt es aus der CSU

„Inhaltlich bin ich bei Seehofer“, sagt der Hamburger CDUAbgeord­nete Christoph de Vries. „Aber der Kurs maximaler Eskalation der CSU mit Ultimatum an die Kanzlerin hat zu einem kompletten Stimmungsu­mschwung bei der CDU geführt.“Die fast 70 Jahre andauernde Fraktionsg­emeinschaf­t wegen eines einzelnen strittigen Punktes von 63 im Masterplan infrage zu stellen, sei „irrational und unverantwo­rtlich“.

„Wir bewegen uns nicht“, lautet derweil die Nachricht aus der CSU. Man sei mit der Geduld mit Merkel am Ende. Weite Teile der CSU scheinen gewillt, um der eigenen Glaubwürdi­gkeit willen den Koalitions­bruch in Kauf zu nehmen. Merkel selbst rechnet nicht damit, dass es so weit kommt. Man werde schneller und konzentrie­rter bei den anstehende­n Projekten arbeiten – und zwar gemeinsam, sagte sie nach der Krisensitz­ung.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder sagt dieser Redaktion: „Zurückweis­ungen an der Grenze sofort sind mit dem geltenden Recht vereinbar, moralisch vertretbar und dringend notwendig, um in der Asylpoliti­k in Europa endlich etwas zu bewegen.“CSU-Generalsek­retär Markus Blume sagt, es gehe nicht um die Frage, „ob irgendwo gewählt wird“. Das glaubt ihm niemand. Am 14. Oktober wird in Bayern gewählt.

 ??  ?? In Bedrängnis: Kanzlerin Angela Merkel, ihr Regierungs­sprecher Steffen Seibert (l.) und Beraterin Eva Christians­en verlassen nach der CDU-Sondersitz­ung den Bundestag. Foto: Michael Kappeler/dpa
In Bedrängnis: Kanzlerin Angela Merkel, ihr Regierungs­sprecher Steffen Seibert (l.) und Beraterin Eva Christians­en verlassen nach der CDU-Sondersitz­ung den Bundestag. Foto: Michael Kappeler/dpa
 ??  ?? Will hart bleiben: CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt auf der Fraktionse­bene im Bundestag. Foto: Ditsch/dpa
Will hart bleiben: CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt auf der Fraktionse­bene im Bundestag. Foto: Ditsch/dpa
 ??  ?? Mit großer Geste: Innenminis­ter Horst Seehofer will seinen „Masterplan Migration“notfalls im Alleingang umsetzen.Foto: epd
Mit großer Geste: Innenminis­ter Horst Seehofer will seinen „Masterplan Migration“notfalls im Alleingang umsetzen.Foto: epd

Newspapers in German

Newspapers from Germany