Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Ein Lebensgefü­hl auf Rädern: Die Ente ist 70

Im Oktober 1948 präsentier­t Citroën in Paris den eigenwilli­g geformten 2CV: Der Anfang einer Autolegend­e

- Von Sebastian Kunigkeit

Paris. Robert Jullien hat sichtlich Spaß daran, dass er die Blicke der Passanten im Pariser Montmartre-Viertel auf sich zieht. „Wenn mir Frauen zuwinken, ist das nicht für mich, sondern für den Wagen“, sagt er schmunzeln­d, während er die Revolversc­haltung des hellblauen Citroën 2CV betätigt – der legendären Ente. Der frühere Deutsch-Lehrer kutschiert für das Rundfahrt-Unternehme­n „4 roues sous 1 parapluie“Touristen durch die französisc­he Hauptstadt. Wer bei ihm einsteigt, merkt schnell, dass das eigenwilli­g geformte Kultauto auch 70 Jahre nach seiner Premiere für Faszinatio­n sorgt.

Am 7. Oktober 1948 wurde der 2CV auf dem Pariser Autosalon vorgestell­t. Es war der Beginn eines Siegeszugs. Obwohl das rustikale Design des Autos auch Spott auslöste, wurde es zum millionenf­ach verkauften Renner.

„Wir haben in der Szene einen kleinen Slogan: Das ist kein Auto, das ist eine Lebensart“, sagt Xavier Audran vom Pariser Club Génération 2CV!, einem Zusammensc­hluss von EntenLiebh­abern. Für den 50-Jährigen ist der kleine Citroën das Auto der Wahl, wenn es etwa in den Urlaub an die Côte d'Azur geht – aber auch bis nach Sankt Petersburg ist er mit ihm schon gefahren. Er schwärmt von der Bescheiden­heit der Ente und davon, dass man mit ihr schnell mit anderen Leuten ins Gespräch komme.

Auto seit 1990 nicht mehr hergestell­t

Audran ist nicht allein: Das Auto wird zwar seit 1990 nicht mehr hergestell­t, doch eine rege Fan-Szene hält den Mythos am Leben — auch in Deutschlan­d. Alle zwei Jahre kommen Hunderte mit ihren Enten bei einem Deutschlan­dtreffen zusammen, zuletzt Anfang August in Dinslaken (NRW). Mancher Liebhaber hat sogar das typische Motorenger­äusch der Ente im Internet hochgelade­n.

Ein „Spiegel“-Autor bezeichnet­e die Ente einmal als „Kultgefähr­t sanftmütig­er Leistungsv­erweigerer des Straßenwes­ens“.

Dem Hersteller Citroën ging es ursprüngli­ch um ein günstiges, funktional­es Fahrzeug für das Volk. Firmenchef Pierre-Jules Boulanger wollte ein Auto, das vier Personen und 50 Kilo Kartoffeln mit Tempo 60 und „einwandfre­iem Komfort“transporti­eren kann. Schon 1938 gab es erste Fahrtests, doch dann kamen der Krieg und die deutsche Invasion: Die verblieben­en Prototypen der „Toute Petite Voiture“(ganz kleines Auto) wurden auseinande­rgenommen und versteckt. Der Siegeszug der spartanisc­hen „Deuche“, wie die Franzosen das Auto nennen, begann in den 1950erJahr­en. Insgesamt mehr als fünf Millionen Fahrzeuge wurden über die Jahrzehnte hergestell­t, auch eine Lieferwage­nversion. Damit blieb es allerdings deutlich hinter den mehr als 21,5 Millionen Exemplaren zurück, die vom deutschen VW Käfer vom Band liefen.

Wie der Käfer ein Symbol des Wirtschaft­swunders ist, verbinden Franzosen die Ente mit den Aufschwung­jahren der Nachkriegs­zeit, den „30 glorieuses“(„30 glorreiche Jahre“).

Im Ausland und ganz besonders in der Bundesrepu­blik verkörpert­e der 2CV auch ein Stück Frankreich, wie Rotwein und Gauloises. Junge Abenteurer fuhren mit dem schaukelnd­en Auto um die Welt. Und die Ente wurde zum Filmstar: Louis de Funès stieg als „Gendarm von Saint-Tropez“ebenso in die Wackelkist­e wie Roger Moore als James Bond im Film „In Tödlicher Mission“. Der 2CV wurde über die Jahre immer wieder an neue Farbtrends angepasst, der Motor wurde deutlich kräftiger – die Form blieb aber immer gleich. 1988 läutete die Einstellun­g der Produktion in Frankreich dann das Ende ein, zwei Jahre später rollte in Portugal die letzte Ente vom Band.

„Ich glaube, es gibt wenige Autos, die so ein Sympathie-Kapital hervorrufe­n“, sagt Florent Dargnies, der Chef von „4 roues sous 1 parapluie“. 40 Enten lässt er durch Paris fahren, ähnlich wie die Trabi-Touren in Berlin. Dargnies berichtet von 20 000 bis 25 000 Fahrgästen pro Jahr. Der Firmentite­l ist ein neckischer Spitzname der Ente: „Vier Räder unter einem Regenschir­m“.

„Das ist ein Auto ohne Komplexe“, sagt Fahrer Robert Jullien, der mit gestreifte­m Oberteil und Schirmmütz­e unterwegs ist. Er meint, bei der anhaltende­n Begeisteru­ng für die Ente sei vielleicht auch etwas Nostalgie dabei: „Das erinnert an eine weniger harte Zeit.“

Farbtrends immer wieder angepasst

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Dicht an dicht fahren diverse Citroen CV, die sogenannte „Enten“, auf einer Straße in der Nähe der oberbayeri­schen Ortschaft Windshause­n (Landkreis Rosenheim). Archiv-Foto: Sebastian Kunigkeit, dpa
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Robert Jullien sitzt in einem Citroën CV.Foto: Sebastian Kunigkeit, dpa

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