Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Alice im katalanischen Wunderland
Kunsthaus Meyenburg erzählt mit Dalí, Miró oder Picasso Geschichten, die „Vom Buch zum Bild“führen – und auch wieder zurück
Nordhausen. Seine lange Künstlerbiografie begann der andalusische Dichter Rafael Alberti malend. Aus dieser Innenperspektive sozusagen betrachtete er später schreibend einen Maler: „Wunder mit akrostischen Variationen im Garten Mirós“nannte er seine mit dem Wort malenden Verse. Albertis poetische Maravillas (Wunder) ließ Joan Miró 1975 wiederum lithografisch erblühen.
Fünf dieser Blätter eröffnen nun nicht nur den Rundgang durch die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Meyenburg zu Nordhausen. Sie öffnen und weiten sogleich auch den Blick, indem sie deren Titel relativieren: „Vom Buch zum Bild – Künstler sehen Literatur“, das scheint sozusagen Antworten eines lesenden Malers auf seine Lektüren zu betreffen.
Doch griffe das zu kurz. Diese Ausstellung widmet sich gleichsam den Wahlverwandtschaften: zwischen schönen Künsten und denen, die sie hervorzubringen imstande sind.
Die „Diurnes“zum Beispiel, ein Zyklus, mit dem Pablo Picasso unter anderem vertreten ist, sind nicht literarisch inspiriert worden, sondern vom Licht in Landschaften der Provence. Picasso experimentierte hier 1962 mit belichteten Decoupage-Bildern, durch die dann Dichter Jacques Prévert zu seinen Landschaftsbetrachtungen gelangte: „Gäbe es nur sieben Weltwunder auf der Erde, wäre es nicht wert, sie zu sehen.“
Susanne Hinsching, Leiterin der städtischen Museen, ist eine MiróEnthusiastin. Der Maler, findet sie, lädt das Auge des Betrachters zu Spaziergängen ein. Und sie tut desgleichen – mit Ausstellungen wie dieser, für die sie wiederholt auf die private Sammlung „Sundermann Fine Art“in Würzburg zurückgreifen durfte.
Daraus zeigt sie jetzt insgesamt 100 grafische Werke aus dem 20. Jahrhundert sowie zwei weitere (von Max Ernst) aus der eigenen Kunstsammlung. Miró, Matisse, Picasso, Dalí, Chagall, Ernst, Beckmann – das sind vor allem beim Publikum bis heute wohlklingende Namen. Sie klängen jedoch auch einfach nach üblichen Verdächtigen, verzichtete Hinsching dabei auf eine Erzählung.
Sie präsentiert jedoch hinlänglich bekannt scheinende Künstler von einer auch stilistisch etwas anderen Seite: mit Bildern, die sich dem kollektiven Gedächtnis eher entziehen sowie mit Bezügen, die gemeinhin wenige herstellen können.
Das liegt auch daran, dass die Maler beziehungsweise Grafiker oft bekannter sind als Dichtungen, die in ihren Bildern durchscheinen. Es gibt aber Ausnahmen: insbesondere vollständig gezeigte Zyklen Salvador Dalís zu Goethes „Faust“(in romantisch-mystischer Übertragung von Gerard de Nerval) und zu Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Letzter ist, mit seinen zwölf detailreichen Farbradierungen, ein Höhepunkt. Dalí verwandelte die fantastische Geschichte der Landschaft seiner katalanischen Heimat ebenso an jener seiner surrealen Weltanschauung.
Zugleich ist das ein Beispiel für die Ebene der Malerbücher, auf der sich die Ausstellung in Teilen bewegt. Dalí, den das Alice-Motiv ohnehin nie losließ, war damit 1969 von der New Yorker Bibliophilenvereinigung beauftragt worden, zum 100. Jubiläum der amerikanischen Erstausgabe.
Dem gleichen Auftraggeber verdankten sich drei Jahrzehnte zuvor Bilder von Henri Matisse zum JamesJoyce-Roman „Ulysses“. Matisse erging es wie vielen vor und nach ihm: Er hatte keine Lust auf die moderne Odysseus-Überschreibung und hielt sich bildnerisch lieber an Homer.
Matisse ist hier aber auch mit von leichter Hand entstandenen, ausdrucksstarken Frauenporträts vertreten, mit denen er 1945 an die Antillen-Dichtungen („Poésies Antillaises“von Charles Antoine Nau erinnerte; sein Freund starb schon 1918.
Doch selbst der wohl unvermeidliche Marc Chagall, an dem man sich längst satt gesehen haben müsste, vermag hier mit einigen der Malerbuch-Werke neues Interesse zu stiften, die er für den Pariser Kunsthändler Ambroise Vollard schuf. Das betrifft weniger die Bibel-Motive, aber doch Radierungen La Fontaines Fabeln und Gogols „Die toten Seelen“.
In einem Max-Ernst-Raum schaut man rechts auf Lithografien zur Dichtung „Die Hunde sind durstig“von Jacques Préverts und links auf solche zu Lewis Carrolls „Wunderhorn“. Das unterscheidet sich stilistisch enorm – ebenso wie etwa Picassos Fingermalereien mit Tusche zu Tristan Tzaras „Seit Menschengedenken“von einer „Carmen“-Zeichnung oder den „Diurnes“-Bildern.
So zeigt die Ausstellung, dass nicht nur ein Thema in großer Vielfalt beschrieben werden muss, sondern eben auch einzelne Künstlerleben. Hinsching gelingt dergleichen ohne nennenswerten öffentlichen Ausstellungsetat und entsprechendes Personal, aber doch mithilfe diverser Sparkassen-Einrichtungen und des Fördervereins für das Kunsthaus.
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Zu sehen bis zum . Dezember: jeweils von dienstags bis sonntags zwischen und Uhr.
Anja Eisner (Theater Nordhausen) liest am .., Uhr, im DalíZyklus aus „Alice im Wunderland“.