Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Alice im katalanisc­hen Wunderland

Kunsthaus Meyenburg erzählt mit Dalí, Miró oder Picasso Geschichte­n, die „Vom Buch zum Bild“führen – und auch wieder zurück

- Von Michael Helbing

Nordhausen. Seine lange Künstlerbi­ografie begann der andalusisc­he Dichter Rafael Alberti malend. Aus dieser Innenpersp­ektive sozusagen betrachtet­e er später schreibend einen Maler: „Wunder mit akrostisch­en Variatione­n im Garten Mirós“nannte er seine mit dem Wort malenden Verse. Albertis poetische Maravillas (Wunder) ließ Joan Miró 1975 wiederum lithografi­sch erblühen.

Fünf dieser Blätter eröffnen nun nicht nur den Rundgang durch die aktuelle Ausstellun­g im Kunsthaus Meyenburg zu Nordhausen. Sie öffnen und weiten sogleich auch den Blick, indem sie deren Titel relativier­en: „Vom Buch zum Bild – Künstler sehen Literatur“, das scheint sozusagen Antworten eines lesenden Malers auf seine Lektüren zu betreffen.

Doch griffe das zu kurz. Diese Ausstellun­g widmet sich gleichsam den Wahlverwan­dtschaften: zwischen schönen Künsten und denen, die sie hervorzubr­ingen imstande sind.

Die „Diurnes“zum Beispiel, ein Zyklus, mit dem Pablo Picasso unter anderem vertreten ist, sind nicht literarisc­h inspiriert worden, sondern vom Licht in Landschaft­en der Provence. Picasso experiment­ierte hier 1962 mit belichtete­n Decoupage-Bildern, durch die dann Dichter Jacques Prévert zu seinen Landschaft­sbetrachtu­ngen gelangte: „Gäbe es nur sieben Weltwunder auf der Erde, wäre es nicht wert, sie zu sehen.“

Susanne Hinsching, Leiterin der städtische­n Museen, ist eine MiróEnthus­iastin. Der Maler, findet sie, lädt das Auge des Betrachter­s zu Spaziergän­gen ein. Und sie tut desgleiche­n – mit Ausstellun­gen wie dieser, für die sie wiederholt auf die private Sammlung „Sundermann Fine Art“in Würzburg zurückgrei­fen durfte.

Daraus zeigt sie jetzt insgesamt 100 grafische Werke aus dem 20. Jahrhunder­t sowie zwei weitere (von Max Ernst) aus der eigenen Kunstsamml­ung. Miró, Matisse, Picasso, Dalí, Chagall, Ernst, Beckmann – das sind vor allem beim Publikum bis heute wohlklinge­nde Namen. Sie klängen jedoch auch einfach nach üblichen Verdächtig­en, verzichtet­e Hinsching dabei auf eine Erzählung.

Sie präsentier­t jedoch hinlänglic­h bekannt scheinende Künstler von einer auch stilistisc­h etwas anderen Seite: mit Bildern, die sich dem kollektive­n Gedächtnis eher entziehen sowie mit Bezügen, die gemeinhin wenige herstellen können.

Das liegt auch daran, dass die Maler beziehungs­weise Grafiker oft bekannter sind als Dichtungen, die in ihren Bildern durchschei­nen. Es gibt aber Ausnahmen: insbesonde­re vollständi­g gezeigte Zyklen Salvador Dalís zu Goethes „Faust“(in romantisch-mystischer Übertragun­g von Gerard de Nerval) und zu Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Letzter ist, mit seinen zwölf detailreic­hen Farbradier­ungen, ein Höhepunkt. Dalí verwandelt­e die fantastisc­he Geschichte der Landschaft seiner katalanisc­hen Heimat ebenso an jener seiner surrealen Weltanscha­uung.

Zugleich ist das ein Beispiel für die Ebene der Malerbüche­r, auf der sich die Ausstellun­g in Teilen bewegt. Dalí, den das Alice-Motiv ohnehin nie losließ, war damit 1969 von der New Yorker Bibliophil­envereinig­ung beauftragt worden, zum 100. Jubiläum der amerikanis­chen Erstausgab­e.

Dem gleichen Auftraggeb­er verdankten sich drei Jahrzehnte zuvor Bilder von Henri Matisse zum JamesJoyce-Roman „Ulysses“. Matisse erging es wie vielen vor und nach ihm: Er hatte keine Lust auf die moderne Odysseus-Überschrei­bung und hielt sich bildnerisc­h lieber an Homer.

Matisse ist hier aber auch mit von leichter Hand entstanden­en, ausdruckss­tarken Frauenport­räts vertreten, mit denen er 1945 an die Antillen-Dichtungen („Poésies Antillaise­s“von Charles Antoine Nau erinnerte; sein Freund starb schon 1918.

Doch selbst der wohl unvermeidl­iche Marc Chagall, an dem man sich längst satt gesehen haben müsste, vermag hier mit einigen der Malerbuch-Werke neues Interesse zu stiften, die er für den Pariser Kunsthändl­er Ambroise Vollard schuf. Das betrifft weniger die Bibel-Motive, aber doch Radierunge­n La Fontaines Fabeln und Gogols „Die toten Seelen“.

In einem Max-Ernst-Raum schaut man rechts auf Lithografi­en zur Dichtung „Die Hunde sind durstig“von Jacques Préverts und links auf solche zu Lewis Carrolls „Wunderhorn“. Das unterschei­det sich stilistisc­h enorm – ebenso wie etwa Picassos Fingermale­reien mit Tusche zu Tristan Tzaras „Seit Menschenge­denken“von einer „Carmen“-Zeichnung oder den „Diurnes“-Bildern.

So zeigt die Ausstellun­g, dass nicht nur ein Thema in großer Vielfalt beschriebe­n werden muss, sondern eben auch einzelne Künstlerle­ben. Hinsching gelingt dergleiche­n ohne nennenswer­ten öffentlich­en Ausstellun­gsetat und entspreche­ndes Personal, aber doch mithilfe diverser Sparkassen-Einrichtun­gen und des Fördervere­ins für das Kunsthaus.

a

Zu sehen bis zum . Dezember: jeweils von dienstags bis sonntags zwischen  und  Uhr.

Anja Eisner (Theater Nordhausen) liest am ..,  Uhr, im DalíZyklus aus „Alice im Wunderland“.

 ??  ?? Kunsthaus-Leiterin und Kuratorin Susanne Hinsching mit Salvador Dalís Malerbuch zu Carrolls „Alice im Wunderland“. Zwei der zwölf Blätter daraus sind im Hintergrun­d zu sehen. Foto: Marco Kneise
Kunsthaus-Leiterin und Kuratorin Susanne Hinsching mit Salvador Dalís Malerbuch zu Carrolls „Alice im Wunderland“. Zwei der zwölf Blätter daraus sind im Hintergrun­d zu sehen. Foto: Marco Kneise

Newspapers in German

Newspapers from Germany