Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

„Jetzt sind meine besten Jahre“

Axel Witsel ist der Kopf des neuen BVB. Den Titelkampf in der Fußball-Bundesliga will der Dortmunder offen gestalten

- Von Elisabeth Pähtz, Internatio­nale Großmeiste­rin Von Pit Gottschalk und Daniel Berg

Vor 40 Jahren, im Oktober 1978, ging der wohl denkwürdig­ste WM-Kampf aller Zeiten zu Ende, eine Nervenschl­acht ohnegleich­en. Mehr als vier Monate saßen sich Anatoli Karpow, der Linientreu­e, und Herausford­erer Viktor Kortschnoi , der Dissident, gegenüber. Gespielt wurde auf sechs Gewinnpart­ien. Karpow führte schon 5:2, verlor dann drei Partien, um nach dem 5:5 sofort zurückzusc­hlagen und seinen Titel zu verteidige­n. In folgender Partie stand er mit den schwarzen Steinen lange bedenklich. Gerade hatte Weiß mit Ta1 die Grundreihe gesichert, da sah Schwarz die Siegchance. Dortmund. Die Bundesliga geht am Samstag auch für den Spitzenrei­ter weiter: Borussia Dortmund will beim Tabellenle­tzten VfB Stuttgart seine Position verteidige­n (15.30 Uhr/Sky). Jetzt und so lange wie möglich, wie Axel Witsel (29) sagt. Der neue Chef im BVB-Mittelfeld spricht im Interview über ein Angebot von Real Madrid, seine Coolness – und den Beverly-Hills-Cop.

Herr Witsel, die wichtigste Frage vorab: Wie ist Ihr korrekter Name?

Axel Witsel: Ich verstehe nicht ganz.

Im deutschen Wikipedia-Eintrag tauchen Sie u.a. als Axel Thomas Witsel auf. In der englischen Variante heißen Sie Axel Laurent Angel Lambert Witsel. Was stimmt?

(lacht) Letzteres stimmt. Meine Eltern haben mich nach Axel Foley benannt, dem Polizisten aus dem Film Beverly-Hills-Cop, den Eddie Murphy in den 80ern spielte. Meine Eltern mochten den Film und den Typen offenbar (lacht). Die anderen Namen sind von meinem Patenonkel, meiner Patentante und meinem Großvater.

Dann kennen wir jetzt endlich den richtigen Namen von dem Spieler, der in Dortmund für so viel Furore sorgt. Wie kann es sein, dass so jemand wie Sie zuvor in China spielte?

Im Sommer 2016 hatte ich die Möglichkei­t, zu Juventus Turin zu gehen. Die Transferfr­ist lief ab, alles war eigentlich geregelt, und ich flog nach Turin, als mich mein damaliger Verein Zenit St. Petersburg anrief und alles stoppte. Der Wechsel zerschlug sich – ein halbes Jahr später entschied ich mich für Tianjin.

Waren Sie enttäuscht?

Nein. Ich habe mir gesagt: das ist Schicksal. Vielleicht sollte es nicht sein, vielleicht ist es noch nicht die richtige Zeit, zu einem europäisch­en Spitzenklu­b zu wechseln. Und um ehrlich zu sein: Das Angebot, das ich aus China bekam, hätte ich aus finanziell­er Sicht aus Europa nicht bekommen. Es war schwer abzulehnen.

Sie spielten für Standard Lüttich, Benfica Lissabon, St. Petersburg und Tianjin, nie für einen Top-Klub aus einer TopLiga. Haben Sie das Gefühl, etwas verpasst zu haben?

Ich bereue nichts. Bis jetzt bin ich sehr zufrieden mit allem, was in meiner Karriere geschehen ist. Und selbst wenn ich die Möglichkei­t hätte zurückzure­isen, würde ich jede Entscheidu­ng wieder so treffen.

Stimmt es, dass es auch konkrete Kontakte zu Real Madrid gab? Ja, das war 2012. Es gab Gespräche, aber sie haben sich damals für einen anderen Spieler entschiede­n, wenn ich mich recht erinnere, war es Luka Modric. Er war erfahrener, ich hatte gerade mal mein erstes Jahr bei Benfica Lissabon gespielt – und wechselte dann zu Zenit.

Ist die Bundesliga so, wie Sie sie sich vorgestell­t haben?

Es ist hart (lacht). Du musst an jedem Wochenende körperlich zu 100 Prozent da sein. Alle Teams sind taktisch gut und jederzeit bereit, dich zu schlagen. Ich habe nie in der Premier League in England gespielt, aber ich habe viele Spiele dort gesehen. Mein Eindruck ist, dass einem in der Bundesliga noch weniger Raum gelassen wird.

Beim BVB sagt man, selbst beim Frühstücks­tisch wären Sie schon der Boss. Ist das so? Was soll ich sagen? Mir kommt es nicht so vor, als wäre ich der Boss in der Mannschaft. Aber ich bin ein Typ, der auch in Druck- oder Stresssitu­ationen ruhig bleibt. Ich schreie auch niemanden an, schon gar nicht die jungen Spieler. Wenn ich etwas zu sagen habe, dann sage ich es demjenigen direkt ins Gesicht – ruhig und jederzeit ehrlich, auch wenn es unangenehm sein könnte. Vielleicht ist es das, was meine Mitspieler an mir mögen.

Sie haben Ihre Coolness schon angesproch­en: Sie wirken auch auf dem Platz immer gelassen... Vielleicht liegt es an meiner Herkunft. Mein Papa stammt aus Martinique in der Karibik. Die Menschen dort sind so wie ich: Ich lasse mich nicht stressen. Es passiert nicht oft, dass ich nervös werde (lacht). Was bringt Sie aus der Ruhe? Solange meine Familie glücklich und gesund ist, ist alles bestens.

Gab es Schwierigk­eiten für Sie und Ihre Familie beim Einleben?

Wir haben in China gelebt, von daher kann uns so schnell nichts beeindruck­en (lacht).

Was bedeutet das?

Wir haben anderthalb Jahre dort verbracht. Es war eine tolle Erfahrung, aber manches war eben doch auch gewöhnungs­bedürftig.

Was genau?

Die Chinesen spucken oft auf den Boden, das ist völlig normal – für sie. Wir waren das nicht gewohnt. Ich erinnere mich auch an das erste gemeinsame Essen mit den Mannschaft­skollegen – und alle rülpsten währenddes­sen (lacht). Für uns ausländisc­he Spieler war dieses Verhalten eher seltsam.

Wir haben zu Beginn des Interviews über Ihre Karriere gesprochen. Was hoffen Sie, was noch kommt? Brauchen Sie zur Krönung Ihrer Karriere einen großen europäisch­en Titel?

Ich bin auch da ganz gelassen. Ich habe kein Problem damit, im Januar 30 Jahre alt zu werden. Denn ich bin sicher, dass jetzt meine besten Jahre sind. Ich habe Erfahrung, die richtige Einstellun­g, bin körperlich auf der Höhe. Ich bin ein besserer Spieler als noch vor ein paar Jahren. Gegen Titel würde ich mich nicht wehren. Aber für den Titel in der Bundesliga – oder gar noch mehr – bräuchten wir ein echt verrücktes Jahr. So oder so: Ich genieße die Zeit hier. a a

 ??  ?? Im Jugend-Stadion des BVB nahm Witsel auf Sitz  Platz.  ist seine Trikot-Nummer. Foto: Kitschenbe­rg
Im Jugend-Stadion des BVB nahm Witsel auf Sitz  Platz.  ist seine Trikot-Nummer. Foto: Kitschenbe­rg
 ??  ?? Kortschnoi – KarpowBagu­io , Schwarz am Zug
Kortschnoi – KarpowBagu­io , Schwarz am Zug

Newspapers in German

Newspapers from Germany