Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

„Viele Betroffene schweigen lieber, statt zu stottern“

Welttag des Stotterns soll dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und negative Folgen abzuwenden. Thüringer wollen mit Bayern kooperiere­n

- Von Andreas Göbel

Gera. Trotz guter Hilfsangeb­ote in Thüringen scheuen vom Stottern Betroffene oft diese anzunehmen. „Besonders bei jüngeren Menschen ist es nicht einfach, den ersten Kontakt herzustell­en. Viele Betroffene schweigen lieber, anstatt zu stottern“, erklärte der Thüringer Regionalbe­auftragte der Bundesvere­inigung Stottern und Selbsthilf­e (BVSS), Ralph Anschütz. Mögliche Folgen der Sprechstör­ung seien Rückzug aus Angst vor alltäglich­en Situatione­n und tiefgreife­nde Auswirkung­en auf alle Lebensbere­iche. Dem Deutschen Bundesverb­and für Logopädie (dbl) zufolge leidet etwa ein Prozent der Bevölkerun­g an Stottern. Die Sprechstör­ung beginnt meist im Alter zwischen zwei und fünf Jahren, etwa 80 Prozent der Kinder überwinden diese Phase jedoch. Mit zunehmende­r Dauer sinkt die Wahrschein­lichkeit, dass das Stottern wieder verschwind­et. Ein Jahr nach dem ersten Auftreten liegt diese bei 50 Prozent. „Nach dem Ende der Pubertät müssen sich Betroffene auf ein Leben mit dem Stottern einstellen“, erklärte Nikola Depel vom dbl. „Therapieko­nzepte, die Heilungsve­rsprechen abgeben, sind unseriös.“Das Ziel von Therapien sei daher nicht eine Heilung, sondern ein möglichst souveräner Umgang mit dem Stottern, unter anderem durch die Anwendung spezieller Techniken.

In Thüringen unterhält die BVSS zwei Selbsthilf­egruppen in Erfurt und Dingelstäd­t (Eichsfeld) mit durchschni­ttlich sechs bis zehn Teilnehmer­n. Die Nachfrage sei in den vergangene­n Jahren stabil geblieben, berichtete Anschütz.

Genaue Zahlen zum Stottern werden in Thüringen nicht erhoben. Statistisc­h fällt das Problem laut Definition in die Kategorie „Sprech-, Sprach,- oder Stimmstöru­ngen“. Nach Angaben Gesundheit­sministeri­ums wurden bei der Einschulun­gsuntersuc­hung 2016/17 bei etwas mehr als einem Viertel der Kinder (26,1 Prozent) solche Störungen festgestel­lt. „Generell sind die Rahmenbedi­ngungen in Thüringen aktuell recht gut“, erklärte Anschütz. Die Übernahme der Kosten durch die Krankenkas­sen habe sich in den vergangene­n Jahren vereinfach­t. Einen weiteren Aufschwung erhofft sich Anschütz durch den möglichen Anschluss an den bayerische­n Landesverb­and der BVSS. Aktuell ist Thüringen das einzige Bundesland, das durch keinen Landesverb­and in der Bundesvere­inigung für Stottern vertreten ist. „Wir könnten dann leichter an Seminaren teilnehmen, von den Erfahrunge­n der bayerische­n Kollegen profitiere­n und einfacher Öffentlich­keitsarbei­t betreiben“, sagte Anschütz.

Wer vom Stottern betroffen sei, solle unbedingt offensiv mit der Sprechstör­ung umgehen, so Anschütz, der die Schwierigk­eiten selbst kennt. Gerade bei Jugendlich­en sei das Internet zwar eine große Hilfe, um unangenehm­e Situatione­n zu umgehen. „Es erleichter­t aber auch die Vermeidung.“Wer das Problem hingegen aktiv angehe, habe gute Chancen, mit der Sprechstör­ung leben zu lernen. (dpa)

Besser offensiv mit der Sprechstör­ung umgehen

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Eine Karte zum Welttag des Stotterns. Foto: dpa

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