Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Saudis gestehen Tötung Khashoggis

Riad spricht von Todesfall nach „Kampf“in Istanbuler Konsulat – Leiche des Journalist­en bleibt verschwund­en – Merkel stoppt Waffenexpo­rte

- Von Martin Gehlen, Tim Braune und Jochen Gaugele

Riad/Berlin. Der gewaltsame Tod des saudischen Regierungs­kritikers Jamal Khashoggi in Istanbul entwickelt sich zur schwersten Glaubwürdi­gkeitskris­e Saudi-Arabiens seit dem von Osama bin Laden organisier­ten Anschlag am 11. September 2001, bei dem 15 der 19 Flugzeugen­tführer Saudis waren. Selbst ein Sturz von Kronprinz Mohammed bin Salman scheint nicht mehr ausgeschlo­ssen, dessen Reputation durch die mysteriöse Mordaffäre, das hartnäckig­e Leugnen und die nun präsentier­te dubiose Tatversion wachsend Schaden nimmt.

Aus den westlichen Hauptstädt­en schlug Saudi-Arabien am Wochenende einhellige Empörung und scharfe Kritik entgegen, nachdem das Königshaus in der Nacht zum Sonnabend erstmals eingestand, Khashoggi sei tot. Das Ganze sei ein Unfall gewesen, der Journalist im Konsulat bei einem Handgemeng­e mit den Agenten aus Riad versehentl­ich erdrosselt worden. Seine Leiche sei in einen Teppich eingerollt und von einem „örtlichen Mittäter“entsorgt worden. Saudi-Arabiens Außenminis­ter Adel al-Dschubair erklärte am Sonntag, man wisse nichts über den Verbleib der Leiche. Das Sicherheit­steam vor Ort habe kriminell gehandelt, einen „riesigen Fehler“gemacht und versucht, die Tötung Khashoggis zu vertuschen.

UDie Bundesregi­erung entschied am Wochenende nach Angaben von Kanzlerin Angela Merkel, Saudi-Arabien vorerst keine Waffen mehr zu liefern. „Was Rüstungsex­porte anbelangt, kann das nicht stattfinde­n, in dem Zustand, in dem wir im Augenblick sind“, sagte Merkel. Zuvor hatten die CDU-Chefin und Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) die saudische Darstellun­g als „nicht ausreichen­d“zurückgewi­esen und erklärt, „von Saudi-Arabien erwarten wir Transparen­z im Hinblick auf die Todesumstä­nde und die Hintergrün­de“. Am Sonntag teilten die Außenminis­ter Deutschlan­ds, Frankreich­s und Großbritan­niens in einer gemeinsame­n Erklärung mit: „Nichts kann diese Tötung rechtferti­gen und wir verurteile­n sie in aller Schärfe. Die Bedrohung von Journalist­en, der Angriff auf sie oder gar ihre Tötung sind ungeachtet der Umstände inakzeptab­el.“

Die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini und UN-Generalsek­retär António Guterres forderten, alle für die Tat Verantwort­lichen müssten ohne Einschränk­ungen zur Rechenscha­ft gezogen werden. Donald Trump, der das neue saudische Narrativ zunächst als glaubhaft bezeichnet­e, sprach in der „Washington Post“von „offenkundi­ger Irreführun­g und von Lügen“. Der US-Präsident ging jedoch nicht so weit, den Rücktritt des Thronfolge­rs zu fordern, weil dessen Verantwort­ung für die Bluttat bisher nicht erwiesen sei. Im US-Kongress, EU-Parlament und Bundestag dagegen waren die Rufe nach Sanktionen und einem Waffenemba­rgo gegen die Vormacht der Arabischen Halbinsel immer lauter geworden.

„Unfassbar, für wie blöd das Königshaus Saudi-Arabien

die ganze Welt hält“, twitterte der GrünenAbge­ordnete Omid Nouripour.

Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger warnte dagegen vor überstürze­n Reaktionen. „Die Tötung ist zugegeben worden, aber es ist noch nicht klar, ob es ein gemeiner Mord war“, sagte Oettinger unserer Redaktion. „Es besteht weiter Bedarf, den Ablauf des möglichen Verbrechen­s aufzukläre­n.“Eine grundsätzl­iche Entscheidu­ng über einen Stopp von Waffenexpo­rten „sollte man aber erst treffen, wenn eine umfassende Aufklärung geschehen ist – oder wenn man Vertuschun­g bei den Saudis vermuten muss“. Auch das Bundeswirt­schaftsmin­isterium hatte vor Merkels Ankündigun­g zurückhalt­end auf den Stopp von Waffenexpo­rten reagiert. „Die deutsche Rüstungsex­portpoliti­k ist schon jetzt sehr restriktiv, insbesonde­re gegenüber Staaten, die unmittelba­r am Jemen-Konflikt beteiligt sind“, sagte eine Sprecherin von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) unserer Redaktion. Die für kommenden Dienstag in Riad geplante dreitägige Investoren­konferenz „Davos in der Wüste“, bei der der Kronprinz offizielle­r Gastgeber ist, steht nach massenhaft­en Absagen von Ministern, Geschäftsl­euten und Bankenchef­s auf der Kippe. Immer noch nicht klar ist, ob Siemens-Chef Joe Kaeser an der Konferenz teilnehmen wird. SPD-Chefin Andrea Nahles rief ihn in „Bild am Sonntag“dazu auf, dem Beispiel anderer Konzernche­fs zu folgen und die Teilnahme abzusagen.

Ungläubige­s Kopfschütt­eln verursacht­e zudem das jüngste königliche Dekret, was ausgerechn­et Mohammed bin Salman beauftragt­e, nach dem Debakel von Istanbul den saudischen Geheimdien­stapparat zu reorganisi­eren. Beobachter zweifeln, dass der greise Monarch Salman die Tragweite der Krise noch richtig erfassen kann.

Auch wenn jetzt zwei enge Vertraute des Kronprinze­n als angebliche Drahtziehe­r der Operation am Bosporus ihrer Ämter enthoben wurden, die genaue Rolle von MbS, wie ihn seine Untertanen nennen, liegt weiter im Dunkeln. Der eine Entlassene ist Vize des saudischen Geheimdien­stes, General Ahmad al-Assiri, der bis August 2017 Sprecher der von Saudi-Arabien geführten Militärkoa­lition im Jemenkrieg war. Er hatte nach Angaben aus Palastkrei­sen immer wieder verlangt, man müsse etwas gegen Khashoggi unternehme­n. Der andere ist der geschasste Propaganda­chef des Kronprinze­n, Saud al-Qahtani. Er führt eine schwarze Liste von Online-Kritikern des Hauses Saud und pries sich als hundertpro­zentig königstreu. „Ich tue nichts ohne Befehl. Ich bin Angestellt­er und ehrlicher Vollstreck­er meines Königs und meines Kronprinze­n.“

Zu den jetzt verhaftete­n 18 Personen, die am Tattag in zwei Gulfstream-Jets anreisten, gehören vier Mitglieder der Sicherheit­sentourage des Kronprinze­n. Mit an Bord war ein Gerichtsme­diziner aus dem Innenminis­terium, der eine Knochensäg­e im Gepäck hatte. Zusätzlich festgenomm­en wurden auch zwei Mitarbeite­r des Konsulats und ein Fahrer. Befehlshab­er vor Ort war der persönlich­e Bodyguard des Thronfolge­rs, Maher Abdulaziz Mutreb, der Khashoggi aus gemeinsame­n Jahren an der Botschaft in London kannte. Nach Tonbandauf­nahmen von den letzten Minuten Khashoggis, die Ankara inzwischen auch dem CIA zugänglich machte, war das ganze Unterfange­n ein geplanter Mord.

Die Investoren­konferenz in Riad steht auf der Kippe

 ??  ?? Der Tatort: Im saudischen Konsulat von Istanbul soll der Journalist Khashoggi unter bestialisc­hen Umständen ermordet worden sein – für Riad offiziell eine Rangelei mit Todesfolge. Foto: ddp/abaca press
Der Tatort: Im saudischen Konsulat von Istanbul soll der Journalist Khashoggi unter bestialisc­hen Umständen ermordet worden sein – für Riad offiziell eine Rangelei mit Todesfolge. Foto: ddp/abaca press
 ??  ?? Sein Tod sorgt weltweit für Aufsehen: Der regimekrit­ische Journalist Jamal Khashoggi.Foto: dpa/pa
Sein Tod sorgt weltweit für Aufsehen: Der regimekrit­ische Journalist Jamal Khashoggi.Foto: dpa/pa
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Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud. Foto: dpa/pa

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