Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Europa vor neuem Wettrüsten?
Amerika will Abrüstungsvertrag über Mittelstreckenwaffen kündigen. Kritik aus Russland und Deutschland
Washington. Es war die erfolgreichste Abrüstungsvereinbarung aller Zeiten. Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten USPräsident Ronald Reagan und der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow in Washington den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces). Er verbot die Entwicklung, Tests und Produktion landgestützter Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern. Bis 1991 wurden, wie verabredet, sämtliche 2700 Raketen dieser Kategorie verschrottet. In Europa war das Aufatmen groß. Genau diesen INF-Vertrag hat US-Präsident Donald Trump nun am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Nevada aufgekündigt.
Begründung: Russland verstoße gegen die Kern-Substanz des Abkommens, indem es bodengestützte Marschflugkörper namens SSC-8 installiert habe, die leicht auch zentraleuropäische Ziel erreichen könnten. Moskau bestreitet die Vorwürfe und gibt den Schwarzen Peter zurück: Zum einen hätten China, Indien und Pakistan in eben jener Waffengattung große Fortschritte gemacht, die nach 1987 auf russischer Seite verschrottet wurde. Zum anderen seien Raketenabwehr-Installationen der Nato in Polen und Rumänien Ausdruck aggressiver Weltmachtfantasien Amerikas.
Ranghohe russische Politiker kritisieren den angekündigten Ausstieg aus dem Vertrag als gefährlichen Alleingang. „Wir verurteilen diese ständigen Erpressungsversuche der USA“, sagt Vize-Außenminister Sergej Rjabkow. Damit wolle man Russland nur Zugeständnisse abverlangen. Der Außenpolitiker Konstantin Kossatschow betont, ein einseitiger Ausstieg würde alle Abrüstungsbemühungen zunichtemachen: „Der Menschheit droht ein totales Chaos im Bereich der Atomwaffen.“
Die Bundesregierung zeigt sich entsetzt. Bundesaußenminister Heiko Maas sagt in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, der INF-Vertrag „ist seit 30 Jahren eine wichtige Säule der europäischen Sicherheitsarchitektur“. Es sei eine „verheerende Entscheidung von Präsident Trump, den INF-Vertrag aufzugeben“, schreibt der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen (SPD), bei Twitter. „Europa muss jetzt eine neue Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen verhindern“, betont Annen.
Scharfe Kritik kommt auch aus der Opposition. Der LinkeVerteidigungspolitiker Alexander Neu betont, die Aufkündigung des INF-Vertrages erhöhe die Gefahr eines Nuklearkrieges immens. Die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger meint: „Dem US-Präsidenten scheint gleichgültig zu sein, welchen immensen Scherbenhaufen er mit allen seinen nationalen Alleingängen hinterlässt.“
FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff fordert von der US-Regierung, die Nato-Verbündeten in ihre Planungen einzubeziehen.