Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Nächster grüner Ministerpr­äsident?

INF-Vertrag Tarek Al-Wazir könnte diesen Sonntag vom Höhenflug seiner Partei profitiere­n

- Von Theresa martus und Alexander Kohnen

Berlin. INF steht für Intermedia­te-Range Nuclear Forces, also Nuklearwaf­fen mit mittlerer Reichweite. Im INF-Vertrag von 1987 wurden (erstmals) zwei Waffenkate­gorien vollständi­g eliminiert: Mittelstre­ckenrakete­n und Marschflug­körper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5000 Kilometern samt den dazugehöre­nden Startgerät­en und der benötigten Infrastruk­tur. Die bereits stationier­ten Systeme wurden nicht nur zerstört, sondern die Produktion und Flugerprob­ung der relevanten Systeme ist verboten und wird überwacht. Erstmalig akzeptiert­e die Sowjetunio­n „Vor-OrtInspekt­ionen“. Der INF-Vertrag war der Wendepunkt für die Rüstungsko­ntrolle im Kalten Krieg. (eni) Gießen/Berlin. Tarek Al-Wazir kann gar nicht so schnell reagieren, wie sich der Mann vor ihm auszieht: zack, ist das T-Shirt über den Kopf gezogen, Schultern und Rücken entblößt. „Hier, guck!“, sagt der Mann, der eben noch im Café in Gießen an einem Tisch neben dem Grünen-Politiker saß, und dreht seine rechte Schulter zu Al-Wazir, auf der die Offenbache­r Kickers mit einem Tattoo verewigt sind. Al-Wazir – Offenbache­r, Kickers-Fan, Stadion-Dauerkarte­nbesitzer – grinst und verzichtet auf einen Hinweis auf die Wahl am kommenden Sonntag. Ist nicht nötig, sie erkennen ihn hier.

Der 47-Jährige hat schon einige Wahlkämpfe mitgemacht. Aber dass sich dabei jemand für ihn auszieht – „das ist neu“, sagt Hessens Wirtschaft­s- und Verkehrsmi­nister. Vieles ist neu für die Grünen in diesem Wahlkampf. Die ehemaligen CDUAnhänge­r, die bei den Grünen stehen bleiben, um ihnen zu sagen, dass sie dieses Mal ihr Kreuz bei ihnen machen werden. Die Spannung, mit der das ganze Land nach Wiesbaden blickt.

Neu sind auch die Umfragewer­te: Bei 22 Prozent stehen die Grünen eine Woche vor der Landtagswa­hl in Hessen, bei 20 Prozent im Bund. Zweitstärk­ste Partei, nach der CDU. Natürlich ist das nur eine Momentaufn­ahme. Aber am Ende könnte AlWazir Ministerpr­äsident von Hessen werden. Zweiter Landesvate­r aus den Reihen der Umweltpart­ei nach Winfried Kretschman­n in BadenWürtt­emberg.

Der Erfolg in Bayern, wo die Grünen vor einer guten Woche 17,5 Prozent holten, beflügelt auch den Wahlkampf in Hessen. Es könnte reichen für ein Bündnis mit SPD und FDP, oder mit SPD und Linke. Die Ampel gilt bei den Grünen – im Fall der Fälle – als realistisc­here Option, vor allem weil die Linke als unzuverläs­sig gilt. Grün-Rot-Gelb wäre zudem ein Bündnis der Mitte – und damit wahrschein­lich in der Bevölkerun­g akzeptiert­er. Doch FDP-Chef Christian Lindner bremst schon, erteil der grünen Ampel eine Absage. Begründung: Grün-Rot-Gelb wäre ein „Linksruck“. Linke-Chefin Katja Kipping hingegen kann sich ein grün-rot-rotes Bündnis vorstellen. Al-Wazir äußert sich nicht zum Thema, hält den Ball flach: „Da ist so viel Bewegung drin, dass ich mir heute nicht einmal näherungsw­eise zutrauen würde, vorherzusa­gen, wie diese Wahl ausgeht.“Alte Politiker-Regel: Sprich nie über das Amt, das du haben willst.

Seit fünf Jahren regieren die Grünen in Hessen mit der CDU. „Geräuschlo­s“ist das Wort, mit dem die Arbeit des Bündnisses in Wiesbaden am häufigsten beschriebe­n wurde – nicht immer als Kompliment gemeint, sagt Al-Wazir. Erst im vergangene­n Jahr habe sich die Bewertung der vergleichs­weise unauffälli­gen Zusammenar­beit der Partner geändert. Da habe sich die Meinung „angesichts des Jamaikaund vor allem des GroKoGewür­ges in Berlin völlig gedreht“.

Das „GroKo-Gewürge“– also der Dauerkrise­nmodus der großen Koalition, in der CDU, CSU und SPD seit Monaten immer wieder erbittert streiten – ist auch der Grund, warum offen ist, ob das hessische Bündnis weitergefü­hrt werden kann. Der Koalitions­partner ist schwach, gerade mal bei 26 Prozent stand die CDU in den letzten Umfragen. Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) wirkt verbraucht im Vergleich zum jüngeren Al-Wazir. Und dem SPD-Herausford­erer Thorsten SchäferGüm­bel haftet das Etikett des ewigen Verlierers an: TSG, wie er bei der SPD genannt wird, tritt schon zum dritten Mal als Spitzenkan­didat an.

Al-Wazir betreibt seit Wochen Erwartungs­management: keine konkreten Aussagen zu Koalitione­n. Nur nicht übermütig werden. Er habe beschlosse­n, sagt er bei einem Auftritt später am Abend, keine Umfragen mehr zu lesen und nur noch Wahlkampf zu machen.

Der letzte Termin an diesem Tag. Ein Kellergewö­lbe in der Gießener Innenstadt, in dem sonst Konzerte stattfinde­n. Rund 80 Menschen sitzen auf Holzstühle­n, das Licht ist schummrig. „Townhall“heißt das Format – ein Konzept, vor allem in Amerika beliebt, bei dem Kandidaten nicht von einem

 ??  ?? Vorsichtig optimistis­ch und taktisch zurückhalt­end: Tarek Al-Wazir, Spitzenkan­didat der Grünen in Hessen. Foto: Katrina Friese
Vorsichtig optimistis­ch und taktisch zurückhalt­end: Tarek Al-Wazir, Spitzenkan­didat der Grünen in Hessen. Foto: Katrina Friese

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