Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Nächster grüner Ministerpräsident?
INF-Vertrag Tarek Al-Wazir könnte diesen Sonntag vom Höhenflug seiner Partei profitieren
Berlin. INF steht für Intermediate-Range Nuclear Forces, also Nuklearwaffen mit mittlerer Reichweite. Im INF-Vertrag von 1987 wurden (erstmals) zwei Waffenkategorien vollständig eliminiert: Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5000 Kilometern samt den dazugehörenden Startgeräten und der benötigten Infrastruktur. Die bereits stationierten Systeme wurden nicht nur zerstört, sondern die Produktion und Flugerprobung der relevanten Systeme ist verboten und wird überwacht. Erstmalig akzeptierte die Sowjetunion „Vor-OrtInspektionen“. Der INF-Vertrag war der Wendepunkt für die Rüstungskontrolle im Kalten Krieg. (eni) Gießen/Berlin. Tarek Al-Wazir kann gar nicht so schnell reagieren, wie sich der Mann vor ihm auszieht: zack, ist das T-Shirt über den Kopf gezogen, Schultern und Rücken entblößt. „Hier, guck!“, sagt der Mann, der eben noch im Café in Gießen an einem Tisch neben dem Grünen-Politiker saß, und dreht seine rechte Schulter zu Al-Wazir, auf der die Offenbacher Kickers mit einem Tattoo verewigt sind. Al-Wazir – Offenbacher, Kickers-Fan, Stadion-Dauerkartenbesitzer – grinst und verzichtet auf einen Hinweis auf die Wahl am kommenden Sonntag. Ist nicht nötig, sie erkennen ihn hier.
Der 47-Jährige hat schon einige Wahlkämpfe mitgemacht. Aber dass sich dabei jemand für ihn auszieht – „das ist neu“, sagt Hessens Wirtschafts- und Verkehrsminister. Vieles ist neu für die Grünen in diesem Wahlkampf. Die ehemaligen CDUAnhänger, die bei den Grünen stehen bleiben, um ihnen zu sagen, dass sie dieses Mal ihr Kreuz bei ihnen machen werden. Die Spannung, mit der das ganze Land nach Wiesbaden blickt.
Neu sind auch die Umfragewerte: Bei 22 Prozent stehen die Grünen eine Woche vor der Landtagswahl in Hessen, bei 20 Prozent im Bund. Zweitstärkste Partei, nach der CDU. Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme. Aber am Ende könnte AlWazir Ministerpräsident von Hessen werden. Zweiter Landesvater aus den Reihen der Umweltpartei nach Winfried Kretschmann in BadenWürttemberg.
Der Erfolg in Bayern, wo die Grünen vor einer guten Woche 17,5 Prozent holten, beflügelt auch den Wahlkampf in Hessen. Es könnte reichen für ein Bündnis mit SPD und FDP, oder mit SPD und Linke. Die Ampel gilt bei den Grünen – im Fall der Fälle – als realistischere Option, vor allem weil die Linke als unzuverlässig gilt. Grün-Rot-Gelb wäre zudem ein Bündnis der Mitte – und damit wahrscheinlich in der Bevölkerung akzeptierter. Doch FDP-Chef Christian Lindner bremst schon, erteil der grünen Ampel eine Absage. Begründung: Grün-Rot-Gelb wäre ein „Linksruck“. Linke-Chefin Katja Kipping hingegen kann sich ein grün-rot-rotes Bündnis vorstellen. Al-Wazir äußert sich nicht zum Thema, hält den Ball flach: „Da ist so viel Bewegung drin, dass ich mir heute nicht einmal näherungsweise zutrauen würde, vorherzusagen, wie diese Wahl ausgeht.“Alte Politiker-Regel: Sprich nie über das Amt, das du haben willst.
Seit fünf Jahren regieren die Grünen in Hessen mit der CDU. „Geräuschlos“ist das Wort, mit dem die Arbeit des Bündnisses in Wiesbaden am häufigsten beschrieben wurde – nicht immer als Kompliment gemeint, sagt Al-Wazir. Erst im vergangenen Jahr habe sich die Bewertung der vergleichsweise unauffälligen Zusammenarbeit der Partner geändert. Da habe sich die Meinung „angesichts des Jamaikaund vor allem des GroKoGewürges in Berlin völlig gedreht“.
Das „GroKo-Gewürge“– also der Dauerkrisenmodus der großen Koalition, in der CDU, CSU und SPD seit Monaten immer wieder erbittert streiten – ist auch der Grund, warum offen ist, ob das hessische Bündnis weitergeführt werden kann. Der Koalitionspartner ist schwach, gerade mal bei 26 Prozent stand die CDU in den letzten Umfragen. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) wirkt verbraucht im Vergleich zum jüngeren Al-Wazir. Und dem SPD-Herausforderer Thorsten SchäferGümbel haftet das Etikett des ewigen Verlierers an: TSG, wie er bei der SPD genannt wird, tritt schon zum dritten Mal als Spitzenkandidat an.
Al-Wazir betreibt seit Wochen Erwartungsmanagement: keine konkreten Aussagen zu Koalitionen. Nur nicht übermütig werden. Er habe beschlossen, sagt er bei einem Auftritt später am Abend, keine Umfragen mehr zu lesen und nur noch Wahlkampf zu machen.
Der letzte Termin an diesem Tag. Ein Kellergewölbe in der Gießener Innenstadt, in dem sonst Konzerte stattfinden. Rund 80 Menschen sitzen auf Holzstühlen, das Licht ist schummrig. „Townhall“heißt das Format – ein Konzept, vor allem in Amerika beliebt, bei dem Kandidaten nicht von einem