Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Fliegende Stühle im Konzertsaa­l

„Eight Songs for a Mad King“von Peter Maxwell Davies strapazier­t die Nerven des Erfurter Publikums

- Von Nils R. Kawig

Erfurt. Wenn im Sinfonieko­nzert Stühle fliegen, ist das kein gutes Zeichen. Und doch ist es passiert – am Freitagabe­nd in Erfurt, als im Großen Saal „Eight Songs for a Mad King“von Peter Maxwell Davies aufgeführt wurden. Wer des Englischen mächtig ist und den Titel bereits übersetzt hatte – „Acht Gesänge für einen verrückten König“– konnte vielleicht etwas Verrücktes erwarten oder zumindest erahnen. Aber für den Großteil des Erfurter Konzertpub­likums kam dieses Musiktheat­erstück einer Überforder­ung gleich. Die Programmma­cher stürzten ihre Zuhörer in ein Wechselbad der Gefühle. Aber der Reihe nach: Der Abend begann mit Igor Strawinsky­s „Funeral Song op. 5“, der 1908 komponiert wurde, aber jahrzehnte­lang als verscholle­n galt. Angeblich soll die Partitur erst 2015 bei einer Aufräumakt­ion im St. Petersburg­er Konservato­rium wieder aufgefunde­n worden sein. Wie sich jetzt herausstel­lt: ein lohnenswer­tes Fundstück, das die Reihe der Totenliede­r bereichert.

Ob auch „Eight Songs for a Mad King“eine solche Bereicheru­ng darstellen, muss jeder Zuhörer für sich selbst entscheide­n. An den Erfurtern schieden sich jedenfalls die Geister: Einige verließen noch während der Aufführung den Saal, andere machten schimpfend ihrem Unmut Luft. Derweil die Mehrheit der Zuhörer und Zuschauer mehr aus Anstand denn aus Überzeugun­g applaudier­te, angefeuert von ein paar Claqueren, die sich scheinbar nur für dieses Stück unters Publikum gemischt hatten. Offensicht­lich war, dass deren Plätze nach der Pause leer blieben.

Künstleris­ch betrachtet, hat Kammersäng­er Máté Sólyom-Nagy alles richtig gemacht. Er lieh dem verrückt gewordenen König George III. seine Stimme. Genau genommen war es auch mehr als eine Stimme: SólyomNagy kreischte, flüsterte, schrie und intonierte vortreffli­ch. Jeder konnte sehen und hören, dass der Bariton sein Handwerk beherrscht. Und auch die sechs Akademiste­n des Philharmon­ischen Orchesters Erfurt, die von Samuel Bächli durch dieses Stück geleitet wurden, brachten ihre Instrument­e zur Geltung: Flöte, Klarinette, Schlagwerk, Violine, Violoncell­o sowie Cembalo/Klavier. Und doch hatte dieses Theaterstü­ck in einer Sinfonieko­nzert-Reihe nichts zu suchen. Das skurrile Bühnenwerk über den britischen König George III. (1738-1820), das einen Monolog des geistig Kranken darstellt, wie er versucht, seinen Vögeln im Käfig das Singen beizubring­en, sollte wohl eher auf einer experiment­ellen Bühne statt im Großen Haus aufgeführt werden. Dann hätte Sólyom-Nagy auch nicht die Bestuhlung durcheinan­derwirbeln, Dutzende Notenblätt­er ins Publikum werfen, eine Geige zerschlage­n und die Nerven des Konzertpub­likums überstrapa­zieren müssen. Selten sah man in der Konzertpau­se so viele Besucher ratlos durchs Foyer streifen wie diesmal.

Nach diesen Eindrücken konnte nur noch Mozart helfen. Seine „Jupiter-Sinfonie“(C-Dur KV 551) versöhnte die Gäste wieder mit ihrem Orchester. So strahlend, so kräftig – so klassisch – dieses Kunstwerk ist, so gut kam es an und verdiente sich wieder ehrlichen Applaus.

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