Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Der verbotene Schatz
In die Bleßberghöhle kommen heute nur noch wenige Höhlenforscher hinein Zehn Jahre nach der Entdeckung wird weiter von einer touristischen Nutzung geträumt
Schalkau. Linien aus gelben Fähnchen ziehen sich über die Wiese am Herrenberg bei Schalkau. Die flatternden Markierungen zeigen den Verlauf der Bleßberghöhle, die hier in etwa 70 Metern Tiefe den Hang quert. In Sichtweite rauscht ein ICE auf der neuen Schnellstrecke Erfurt–Ebenfeld in den Berg.
Beim Bau des „Tunnels Bleßberg“– mit über acht Kilometern der längste Eisenbahntunnel Deutschlands – war die Höhle Ende März 2008 zufällig im Muschelkalk entdeckt worden. Ausmaß und Ausstattung der unterirdischen Gänge erwiesen sich als wahre Sensation. Die damals hineindurften, schwärmen bis heute von der honiggelben Tropfsteinwelt aus filigranen Makkaroni und gigantischen Sintervorhängen. Experten sprechen von einer der schönsten Höhlen Deutschlands.
Zehn Jahre nach der Entdeckung sind die Markierungen für Normalsterbliche die einzige Möglichkeit, sich den Höhlenverlauf vorzustellen. Aus Sicherheitsgründen und nicht zuletzt auf Drängen der Bahn war der Zugang 2009 wieder geschlossen worden. Seitdem träumen Kommunalpolitiker und Touristiker von einer touristischen Nutzung des unterirdischen Spektakels. Dabei bleieb es jedoch bisher. Ein paar SinterRöhren und Steine, ausgestellt im Naturhistorischen Museum auf Schloss Bertholdsburg – mehr Öffentlichkeit ist nicht. Die Hochzeitstorte, ein 2,5 Tonnen schwerer Sinter-Stalagmit, der aus der Höhle entnommen und ins Neue Schloss Rauenstein gebracht wurde, harrt dort weiter seiner Präsentation.
Bestandsaufnahme und Wunden lecken
Touristiker, Geologen und Kommunale trafen sich dieser Tage in Schalkau gleichermaßen zur Bestandsaufnahme wie zum Wundenlecken. Das Interesse an der Bleßberghöhle sei riesig, sagte Ralf Kirchner. Der Geologe und Wanderführer beim Geopark Schieferland führt regelmäßig Wander- und Besuchergruppen über den Herrenberg. Gern würde er dabei mehr zeigen als Fähnchen, Lagepläne und Zeichnungen.
Doch Wunschdenken und Realität in Sachen Bleßberghöhle liegen weit auseinander. Zu Ersterem gehören Vorstellungen, die Höhle von einem Informationszentrum aus über einen Fahrstuhlschacht zugängig zu machen. Unter Tage sollen die Besucher durch Scheiben in die Höhle schauen können.
Abgesehen von der technischen und finanziellen Herausforderung steht dem nicht zuletzt die komplizierte Geologie des Karstsystems im Wege, auf die Lutz Katzschmann, Leiter des Geologischen Dienstes der Landesanstalt für Umwelt und Geologie (TLUG) in Schalkau verwies. Mit einer GrundwasserMessstelle beobachte man den Wasserpegel. Demnach unterliegt dieser Schwankungen von bis zu 15 Metern, mehrmals im Jahr laufe die Höhle komplett voll. „Als öffentliche Schauhöhle ist die Bleßberghöhle ungeeignet“, sagte Lutz Katzschmann.
Nicht nur das. Derzeit scheint die Höhle insgesamt bedroht. Henning Harzer vom Thüringer Höhlenverein (THV) warnte vor unumkehrbaren Schäden infolge der Begehungen vor zehn Jahren. Holzstege wurden danach einfach zurückgelassen.
Die Höhlenforscher sind die Einzigen, die noch in die Höhle hineinkommen. 2012 hatten sie sich dafür im Westteil einen Eingang gegraben und als „Forschungszugang“deklariert. Bei ihren Kontrollgängen stellten sie fest , dass sich durch die Wasserschwankungen bis zu 40 Wegebohlen aus der Verankerung lösten und unkontrolliert durch die Höhle trieben. Zwar habe man sie in Depots gesichert, viele Tropfsteine seien aber bereits zerstört. Zudem verändere das faulende Holz das ohnehin durch die massenhafte Einbringung von Beton gestörte Binnenklima der Höhle weiter.
Um die Bohlen zu entfernen, müssten sie zersägt und stückchenweise herausgebracht werden. Ein Aufwand von gut 300 Befahrungen, den die Höhlenforscher allein nicht stemmen können. Hoffnung brächte vielleicht eine Unterschutzstellung des Höhlensystems. Da es jedoch keinen natürlichen Zugang gibt, fällt es nicht unter das Thüringer Höhlengesetz.
Bei den Verantwortlichen vor Ort setzt man deshalb vorerst auf mehr Öffentlichkeit. Laut Florian Meusel, Geschäftsführer des Naturparkes Thüringer Wald, soll mit Fördergeldern des Landes ein Film über die Bleßberghöhle entstehen, der ICEReisenden im Bleßbergtunnel gezeigt wird. Die Tourist-Information Schalkau wird um eine „Infostelle Bleßberghöhle“erweitert. Da, wo jetzt noch gelbe Fähnchen flattern, werde eine ständige Installation die Höhle oberirdisch sichtbar machen.
Eerste kleine Lichtblicke also in der langen Geschichte des Wartens auf die verborgenen Schätze der Bleßberghöhle. Bei aller Hoffnung bleibt auch Bitterkeit. Viele hätten sich vor zehn Jahren in der Höhle bedient, Schönheiten seien unwiederbringlich verloren, sagt Reinhard Zehner, 2008 Bürgermeister in Schalkau und inzwischen Beigeordneter beim Landkreis Sonneberg. Heute ärgert sich der Kommunalpolitiker, damals nicht mehr Druck gemacht zu haben. Eine verpasste Chance sieht er in der sogenannten Osthöhle, also dem kleineren Teil der Bleßberghöhle östlich des Tunnels. „Hätten wir uns damals nicht nur auf den großen, westlichen Bereich fokussiert, stünden wir heute vielleicht nicht völlig mit leeren Händen da“, so Reinhard Zehner.