Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Ein Haus für alle
Geteilte Lebenswege: Weil sie Menschen zusammenbringen, erhalten drei Projekte den Thüringer Integrationspreis
Erfurt. Den Roma, sagt Jens Hellmann, werde ein „Wandertrieb“unterstellt. Wenn man Menschen über Jahrhunderte von Ort zu Ort treibt, sei das geradezu zynisch. Jens Hellmann ist Vorsitzender des Landesrates „RomnoKher“. Der Verein kümmert sich um das, was viele neuangekommene Roma in Thüringen nicht können: Er hilft, eine Wohnung zu finden, eine Arbeit, unterstützt bei Behördenbriefen. Jens Hellmann nennt es „sehr frühe Integrationsarbeit“. Denn mit solchen Alltagsfragen beginnt ein Ankommen.
Diese Arbeit ist im Grunde die einzige Struktur, die es für Roma in Thüringen gibt. Er spricht von Familie und wie wichtig sie im Leben eines Volkes ist, das in seiner Geschichte sonst kaum andere Gewissheiten hatte. Von der Sehnsucht, leben wie andere auch. Vom Wunsch eines Ankommens, ohne die eigene Identität, die eigene Kultur infrage stellen zu müssen.
Talal Al-Lujami kommt aus Syrien. An der Volkshochschule in Meiningen bringt er geflüchteten Menschen, die nie eine Schule besuchen konnten, das Lesen und Schreiben bei, und er unterrichtet arabische Sprache.
Die junge Afghanin Fariba Mohammadi leitet einen Kochkurs. Ein Raum für Begegnung, weil gemeinsames Kochen und gemeinsames Essen mehr Verständigung schaffen kann, als jedes wortreiche Postulat und weil das ein Anfang von vielem sein kann. Die Kurse sind Teil eines Projektes des Thüringer Volkshochschulverbandes „Vom Nebeneinander zum Miteinander“, bei dem Migranten als Kursleiter eingesetzt werden.
In Meiningen schafft die Begegnungsstätte „Cabrini“Räume, in denen Geflüchtete nicht nur bei ihren Alltagsproblemen abgeholt werden und wo sie Unterstützung und Ermutigung erfahren. Vor allem werden dort Brücken in die Stadt hinein gebaut. Begegnungen werden gestiftet, die über einen geselligen Nachmittag hinausgehen, weil sie Geflüchteten helfen, ein Teil dieser Stadt und ihres Alltags zu werden. Drei sehr verschiedene Projekte, in deren Intension eine große Gemeinsamkeit steckt: Ein geteilter Alltag und die Wege dorthin. Man könnte es auch „Geteilte Lebensgeschichten“nennen, das Thema des diesjährigen Integrationspreises, mit dem diese Projekte gestern ausgezeichnet wurden. Lebenswege, weil sie immer auch Entwicklung und Veränderung beinhalten, wie es Thüringens Integrationsbeauftragte Mirjam Kruppa beschreibt. Was für alle Seiten gilt. Dafür wünscht sie sich mehr Mut und mehr Offenheit.
Die drei Projekte zeigen, wie Integration nicht nur als ewiges Problemfeld und Großbaustelle, sondern als Bereicherung angenommen werden kann. Wie jenseits aller Debatten Menschen zusammenkommen können, wenn Strukturen und Räume geschaffen werden. Denn zuweilen mangelt es nicht an gutem Willen, sondern an Akteuren, die es einfach tun.
Und weil solche Projekte eine Ermunterung für mehr Menschen sein können, Neuzugewanderten den Start zu erleichtern und Hürden zu nehmen, wie es Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hofft.
„Ein Thüringen für Alle“heißt programmatisch die Kampagne, die genau das bewegen will und deren Start am gestrigen Abend verkündet wurde. Als Botschafter wurden Menschen gewonnen, die aus den unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft kommen, weil auch das Anliegen nur in der Vielschichtigkeit funktionieren kann. Der Erfurter Kammersänger Máté Sólyom-Nagy ist dabei, Olympiasiegerin Mariama Jamanka und Olympiadritter Sascha Benecken, der Präsident der Universität Jena, Walter Rosenthal, LigaVorsitzender Reinhard Müller.
Im Titel des ausgezeichneten Projektes „RomnoKher“steckt das Wort „Haus“. Auch das erzählt von einer Sehnsucht.
Landesweite Kampagne soll ermuntern