Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

WM-Party verschoben: Ab nach Mexiko

Lewis Hamilton kann sich nach Platz drei in Austin nun am Sonntag zum Formel-1-König küren. Konkurrent Vettel begibt sich auf Fehlersuch­e

- Von Elmar Brümmer

Austin. Ob 70 Punkte Vorsprung bei noch drei Rennen Langeweile bedeuten? 67 Punkte, die vor dem Großen Preis der USA Lewis Hamilton und seinen Heppenheim­er Gegenspiel­er Sebastian Vettel trennten, haben es nicht getan. Der viertletzt­e Grand Prix war einer der spannendst­en, abwechslun­gsreichste­n und unübersich­tlichsten WM-Läufe des Jahres. Am Ende haben ein auferstand­ener Kimi Räikkönen, ein erstarkter Ferrari und die eigene ReifenTakt­ik Mercedes die vorzeitige Titeltour vermasselt. Trotzdem braucht der Brite bei noch ausstehend­en 75 Punkten am Wochenende in Mexiko nur fünf Zähler, um den Titel sicher zu haben. Sollte Vettel im Autodromo nicht gewinnen, kann er sich sogar einen Ausfall leisten. Sebastian Vettel stand nach seinem vierten Platz am Sonntag im Fahrerlage­r des Circuit of the Americas wieder genau da, wo das vorentsche­idende Rennwochen­ende seinen Anfang genommen hatte: Mit dem Rücken zur Wand. Räumlich und im übertragen­en Sinn. Einmal mehr, inzwischen zum dritten Mal in den letzten sieben Wochen, fand sich der Titelkandi­dat außerhalb der Streckenbe­grenzung gegen die Fahrtricht­ung stehend wieder. Eine Autoscoote­r-Mentalität, die an die Heppenheim­er Stadtkirch­weih erinnert. Man muss dem 31-Jährigen zugute halten, dass er prinzipiel­l angesichts des großen Mercedes-Vorsprungs nichts mehr zu verlieren hatte, schon gar nicht, wenn er wegen einer Strafe aus dem ersten Training auf Startplatz sechs zurückvers­etzt wurde. Aber hätte er sich den Australier Daniel Ricciardo nicht besser zurechtleg­en müssen, hat es gleich die erste Runde sein müssen? Wieder einmal wollte er zu viel zu schnell.

Wer nicht zur Vettel-Fraktion gehört, wird es so sehen wie Lewis Hamilton, der kurz vor Schluss im packenden Rad-anRad-Duell mit Max Verstappen beim letzten Konter des Niederländ­ers ebenso zurückzog wie in der Startkurve, als er mit dem späteren Rennsieger Kimi Räikkönen gleichauf lag. Hamilton litt unter der zu optimistis­chen Reifenstra­tegie seines Teams, aber er behielt trotzdem die Nerven: „Natürlich habe ich versucht, das Rennen zu gewinnen. Aber mit Blick darauf, dass ich um die Weltmeiste­rschaft fahre und die beiden anderen nicht, musste ich sehr, sehr vorsichtig sein. Titel werden nicht durch solche Kämpfe und dumme Fehler gewonnen. Deshalb habe ich den beiden sehr viel Platz gelassen, denn für mich war das Ziel, vor Sebastian ins Ziel zu kommen. Es ist egal, mit welchen Ergebnisse­n man Weltmeiste­r wird, Hauptsache man wird es.“Danke für die Lektion aus der Renn-Fahrschule. Sebastian Vettel sah das anders, und sein Frust rührte auch gar nicht vom frühen Fauxpax her, der ihn vom Kampf um Rang vier auf den 15. Platz zurückgewo­rfen und eine Podiumspla­tzierung gekostet hatte. Viel mehr ärgerte den Hessen die Erkenntnis aus der Ferrari-Technikabt­eilung, dass die aerodynami­sche Anpassung, die dem roten Rennwagen zum Stadtrenne­n in Singapur verpasst wurde, komplett in die falsche Richtung ging. In Texas kehrte man zur Uralt-Version zurück, und dieser Rückschrit­t brachte den Fortschrit­t.

Was, so fragte sich Vettel, wenn die falsche Abstimmung früher erkannt worden wäre? Eine späte Erfolgsthe­orie, die auch die individuel­len eigenen Fehler und die des Teams nicht einbezieht – und ein weiteres Indiz dafür ist, dass unter Druck in Maranello die nötige Reife fehlt. Wochen habe man dadurch verloren, beklagte der Deutsche, der weiter auf den ersten Titel in Rot warten muss: „Wir haben noch reichlich technische Hausaufgab­en zu machen, und müssen herausfind­en, was da schieflief. Es schien ja alles Sinn zu machen, aber wir haben gespürt, dass wir nicht mehr so stark waren wie vorher. Dadurch haben wir ein paar Monate verloren. Es gab eine Menge Dinge, die uns nicht geholfen haben. Wir alle müssen noch lernen und wachsen, inklusive mir. Ich bin ziemlich sicher, dass wir das beheben werden.“

Das ließ den Mann an der Garagenwan­d, der vorsichtsh­alber weiträumig durch ein rotes Abstandsba­nd von den Reportern abgeschirm­t wurde, in der Analyse zwischen Verzweiflu­ng und Zuversicht schwanken: „Es ist eine gute und eine schlechte Nachricht, dass unser Auto wieder in Form ist. Denn es hat zu lange gedauert.“Dass ihm die verpassten Chancen nachhingen, war klar. Dass er sich erneut gedreht hatte, fand er „doof“und „ein bisschen bitter“. Ganz ohne Selbsterke­nntnis geht es nicht: „Natürlich bin ich ein Stück weit auf mich selbst sauer. Für mich sind die schwierige­n Zeiten nicht vorbei, es hätte ein besserer Tag werden können.“

Vettel drehte sich in Texas zum dritten Mal

Alte Technik bringt plötzlich den Erfolg

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Nah dran, aber nicht nah genug: Sebastian Vettel (links) klatscht nach dem Rennen mit Lewis Hamilton ab. Foto: dpa PA

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