Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Gift in Babybrei: Lange Haftstrafe
54-Jähriger erpresste Supermärkte und forderte Millionenbetrag. Jetzt muss er für zwölfeinhalb Jahre ins Gefängnis
Ravensburg/Berlin. Er stellte vergiftete Babynahrung in Supermarktregale: Das Landgericht Ravensburg hat am Montagabend den Erpresser mehrerer Handelsunternehmen zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Urteil gegen den 54Jährigen erging wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung, wie das Gericht mitteilte. Der Täter hatte gestanden, die Gläschen vergiftet zu haben, um 11,75 Millionen Euro von Handelsunternehmen zu erpressen.
Bevor das Gericht sein Urteil fällte, hatte am Montag ein psychiatrischer Gutachter erklärt, warum er den Täter für schuldfähig hält – und nicht für psychisch krank. Um die Frage ging es während des Prozesses immer wieder. Drei Stunden hatte sich Gutachter Hermann Assfalg mit dem Angeklagten unterhalten und ihn in der Verhandlung beobachtet. Eine schwere Persönlichkeitsstörung oder eine sonstige „seelische Abartigkeit“erkenne er nicht, sagte er nun vor Gericht. Der Angeklagte aus dem Raum Tübingen hatte sich in der Verhandlung mehrfach auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung berufen. Sie habe sein Handeln beeinflusst – die Betroffenen gelten als emotional instabil. Tatsächlich bescheinigte Gutachter Assfalg ihm nun eine übertriebene Ich-Bezogenheit. Aber: „Er war nicht hilflos dieser Störung ausgesetzt“, stellt er fest. Der Beschuldigte habe seine Entscheidungen stets aktiv getroffen. Anhaltspunkte für eine Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit gibt es aus seiner Sicht ebenfalls nicht.
Oberstaatsanwalt Peter Vobiller hatte 13 Jahre Haft für den Angeklagten gefordert. Nur dank intensiver Polizeiarbeit – „aber wenn man ehrlich ist, auch einer ganz gehörigen Portion Glück“– sei im September 2017 kein Kind zu Tode gekommen.
Damals hatte der hagere, glatzköpfige Mann fünf Gläschen mit präpariertem Babybrei in Lebensmittel- und Drogeriemärkten am Bodensee deponiert. Zuvor hatte er Ethylenglykol in die Gläser eingefüllt. Die Dosis dieses süßlich schmeckenden, farb- und geruchslosen Giftes wäre für Kleinkinder tödlich gewesen. Außerdem forderte er von mehreren Handelsunternehmen 11,75 Millionen Euro und drohte, weitere Nahrungsmittel zu vergiften. Mit den fünf Babybrei-Gläschen wollte er seiner Forderung Nachdruck verleihen. Seiner eigenen Aussage nach hatte der Mann sich für Babynahrung entschieden, „um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzeugen“. Umso erstaunlicher wirkte es auf Prozessbeobachter, dass der Angeklagte beteuerte, er habe niemanden töten wollen. Er sei sich sicher gewesen, dass kein Kunde die vergifteten Gläschen kaufen werde, behauptete er während der Verhandlung. „Für mich“, formulierte er, „war alles ein großer Bluff.“Tatsächlich standen zwei der Gläser mehrere Tage im Supermarktregal, bevor sie aus dem Verkehr gezogen wurden.
Es dauerte zwei Wochen, bis die Polizei den Mann fasste. Die Verhandlung hatte nun mit einwöchiger Verzögerung begonnen: In der Nacht vor dem geplanten Prozessauftakt hatte sich der Angeklagte in seiner Zelle Schnittwunden am Unterarm zugefügt und wohl auch Schlafmittel eingenommen. Seitdem war er in einem Justizvollzugskrankenhaus in der Nähe von Stuttgart untergebracht. (mit dpa)
Angeklagter nannte seine Tat einen „großen Bluff“