Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Rechtsextreme kaufen sich ein
Immer wieder erwerben oder mieten Radikale vom rechten Rand Immobilien und machen sie zu Szenetreffs. In Sachsen stellten sich Anwohner dagegen. Ein seltener Erfolg
Reinsberg/Berlin. Das Schloss liegt da wie ein Fels in einem Meer aus Bäumen. Der helle Stein schimmert matt in der Mai-Sonne. Eine schmale Brücke führt zum Eingangstor. „Schloss Reinsberg“ist über die Säulen graviert. Doch Zutritt zum Schloss gibt es nicht. Draußen vor den Steinmauern versperren Metallzäune den Eingang. „Betreten des Grundstückes verboten!“, steht auf Schildern. Seit vielen Jahren passiert nichts mit dem Schloss, hier in der sächsischen Provinz zwischen Dresden und Leipzig. Mehrfach wechseln die Besitzer. Zurzeit gehört es zwei Spaniern. Aber sie wollen es loswerden.
„Neonazis und extreme Rechte gehen gezielt nach Sachsen und in andere ostdeutsche Länder“
Im vergangenen Sommer taucht ein Geschäftsmann aus Leipzig am Schloss Reinsberg auf. Er kommt nicht allein. Mit bei der Besichtigung dabei: mindestens ein, womöglich zwei Mitglieder der Identitären Bewegung, einer Organisation, die durch Stimmungsmache gegen Zuwanderer und Flüchtlinge auffällt – und die der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft.
Nach Informationen unserer Redaktion wollen die Identitären Teile des Schlosses von dem Geschäftsmann mieten. Der sächsische Verfassungsschutz bestätigt auf Nachfrage: „Beim Erwerb von Schloss Reinsberg traten bekannte Angehörige der Identitären Bewegung in Erscheinung.“Die Namen sind unserer Redaktion bekannt. Der Verfassungsschutz sagt: „Die Identitäre Bewegung wollte dieses leerstehende Schloss offenbar als Jugendtreff und Hotel nutzen.“
Schloss Reinsberg ist kein Einzelfall. Immer wieder kaufen, mieten oder pachten Rechtsextremisten Immobilien, rund 150 nutzt die Szene bundesweit. Mal für Konzerte von Rechtsrock-Bands oder als Schulungszentrum, mal für Kampfsport-Events oder Vorträge. Eine Umfrage unserer Redaktion zeigt: In allen Bundesländern außer Bremen besitzen Neonazis Grundstücke und Gebäude. Sachsen-Anhalt listet 22 Orte. Thüringen zählt 16 solcher Immobilien. Vor allem der Osten Deutschlands ist Hochburg der rechten Landnahme. Aber nicht nur: In Bayern registrieren die Sicherheitsbehörden 21 Immobilien in rechter Hand, in NordrheinWestfalen
Gebäude in „geringer zweistelliger Zahl“.
In Sachsen registrierten die Behörden im Jahr 2019 insgesamt 27 Immobilien, die in rechtsextremer Hand sind. 2018 waren es noch 22. „Neonazis und extreme Rechte gehen gezielt nach Sachsen und andere ostdeutsche Bundesländer und suchen vor allem im ländlichen Raum nach Grundstücken und Gebäuden“, sagt Henry Krentz, Rechtsextremismus-Experte beim Verfassungsschutz in Sachsen.
Alarmstimmung in der kleinen Gemeinde Reinsberg
In Reinsberg kommt der Leipziger Investor mehrfach vorbei. Im Sommer 2019 einigt er sich mit den Besitzern aus Spanien, unterzeichnet einen Kaufvertrag. Für knapp 600.000 Euro soll das Schloss in seinen Besitz übergehen. Doch in der kleinen Gemeinde Reinsberg herrscht bereits Alarmstimmung.
Nach der Besichtigung meldet sich ein Anwohner beim Bürgermeister. Er habe die Information bekommen, dass Rechte offenbar das Schloss nutzen wollen, sie seien bei dem Termin mit dem Geschäftsmann dabei gewesen, jemand hätte sie erkannt.
In Reinsberg, wo die ausländerfeindliche Pegida-Bewegung ihre Hochburg hat und die AfD Rekordergebnisse einfährt, machen sich einige Anwohner auf, eine drohende Vermietung an extreme Rechte zu verhindern. Reporter unserer Redaktion haben mit Anwohnern gesprochen. Niemand will mit Namen in der Zeitung stehen – auch aus Angst vor den Rechten.
Reinsberg – bald auch ein Szenetreff? Im Ort sehen Anwohner und Politiker noch eine Chance. Der Staat kann das Schloss selbst erwerben. Rechtlich ist dieses Vorkaufsrecht festgeschrieben, wenn im öffentlichen Interesse ist, dass ein Grundstück oder Gebäude im Besitz der Gemeinschaft bleiben soll. Doch im Fall Reinsberg lehnt Sachsen einen Kauf des Schlosses ab. Die klamme Gemeinde müsste den Kauf nun allein stemmen.
Auch die Sicherheitsbehörden sind in den Wochen nach der Besichtigung des Schlosses durch Identitäre alarmiert. Uniformierte und Kriminalbeamte in Zivil schauen sich das Schloss an, gehen durch die Räume. Und sie befragen Menschen im Ort, die etwas von den Plänen des Verkaufs und der Vermietung wissen könnten.
Versuche unserer Redaktion, mit den beiden Identitären ins Gespräch zu kommen, scheitern. Eine persönliche Nachfrage an den Szenetreff in Halle läuft ins Leere.
Reinsberg zieht seinen Plan durch, auch wenn das Budget der Kommune massiv strapaziert wird. 600.000 Euro legt die Gemeinde für Kauf, Nebenkosten und Reparaturen bereit. Mittlerweile ist der Kauf rechtlich unanfechtbar. „Nach all den Jahren soll das Schloss wieder das Herz der Gemeinde werden“, sagt ein Anwohner. Doch der Weg dahin ist weit. Mehrere Millionen Euro würde nun wohl noch einmal die Sanierung des alten Bauwerks kosten. Die Gemeinde kann das nicht finanzieren. Sie braucht noch immer einen Investor.